Porträt
Die Frau mit Nerven aus Stahl

Julia Köppel ist ein Organisationstalent. Als Reinhard Söll im vergangenen Jahr erkrankte, rettete sie die Schlossfestspiele.

26.05.2018 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Julia Köppel ist Konzertmanagerin und Produktionsleiterin bei Odeon Concerte. Foto: altrofoto.de

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Bei Julia Köppel, Jahrgang 1974, geboren in dem Altmühlstädtchen Riedenburg, war dieser alles entscheidende Anfang eine frühe Begegnung mit dem charismatischen Komponisten und Pianisten Franz Hummel. Bei ihm erhielt sie Klavierunterricht. Er führte sie in die Welt der klassischen Musik ein. Man hätte damals also schon ahnen können, was einmal aus ihr wird. Aber die besten Wege sind bekanntlich die Umwege.

Julia Köppel lernte auch alle anderen Künste kennen. Ihr Vater, Günter Köppel, ist Maler und Kunsterzieher. Er lebt heute in Eichstätt. Ihre Mutter, Angelika, Lehrerin, ist inzwischen in München zu Hause. Die Schwester Eva Maria, zwei Jahre jünger, lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in der Nähe von Starnberg. In der Familie Köppel wurde immer viel gelesen. Sie war, mit einem modischen Begriff ausgedrückt, „bildungsnah“.

Viele Talente ausgelebt

Sie selbst ging nach der Grundschule in Riedenburg in Kelheim ins Gymnasium, wo es damals neben hervorragenden Lehrern auch eine Theatergruppe unter der Leitung des sehr engagierten Willi Hirmer gab – zu der übrigens auch Eva Sixt („Mei Fähr Lady“, „Trio Trikolore“) gehörte. Die junge Julia Köppel war sofort „angefixt“.

Das machte sich spätestens während ihres Studiums an der Uni Regensburg bemerkbar. Sie wurde Mitglied der RUPS, also der Regensburg University Players, der englischsprachigen Theatergruppe, die beim studentischen Publikum besonders beliebt war. Julia Köppel: „Wir spielten ja vor allem Komödien.“ Und: „Die Zuschauer konnten bei uns ihre Sprachkompetenz verbessern.“ Prodesse et delectare, das alte aufklärerische Motto: Man hat sein Vergnügen – und lernt noch etwas dabei. Julia Köppel war damals übrigens nicht nur Mitläuferin oder, vielleicht besser, Mitspielerin, sondern auch Bühnenbildnerin. Zweimal führte sie selbst Regie.

Ihr heutiger Job, Leiterin des Odeon-Teams hinter, neben und, im schlimmsten Fall, anstelle des unvergleichlichen Impresarios Reinhard Söll, fordert den ganzen Menschen. Manche studieren deshalb Kulturmanagement – im Zweifel die schlechtere Wahl. Julia Köppel erwarb die später nötigen Kompetenzen schon während ihres Studiums spontan, unbewusst und wie nebenbei, arbeitete in der Behindertenbetreuung und Altenhilfe, kellnerte. „Ich bin gern mit Menschen zusammen. Ich helfe gern. Und ich bin mir für nichts zu schade.“ Soziale Kompetenz nennt man das wohl. Julia Köppel ist aber nicht nur der „Sonnenschein“, der „gute Geist“ – so nehmen sie viele wahr –, sie verfügt auch über enormes Organisationstalent – und sie hat gute Nerven: „Je schwieriger oder aussichtsloser eine Lage wird, desto besser werde ich.“

„Je schwieriger oder aussichtsloser eine Lage wird, desto besser werde ich.“Julia Köppel

Neudeutsch nennt man das Resilienz. Und die stellte sie im letzten Sommer unter Beweis, als ihr Chef Reinhard Söll am 13. Juni, also kurz vor dem Start der Schlossfestspiele, schwer erkrankte und ausfiel. Da bewährte sich die lange, enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit „seiner“ Julia. Das Festival ging reibungslos über die Bühne. Man wusste und spürte, dass Söll fehlte. Aber man bemerkte es im Organisationsablauf kaum. Das war Julia Köppels Leistung – aber auch die Reinhard Sölls. Wie es schon Bert Brecht beschrieb: Ein guter, souveräner Lehrer und Chef zeichnet sich dadurch aus, dass er sich überflüssig macht. Vorübergehend zumindest.

Bert Brecht sagte auch: „Ja, mach nur einen Plan ...“. Julia Köppels Plan war es sicher nicht, Konzertmanagerin zu werden. An der Uni Regensburg studierte sie Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Archäologie? Da werden sofort Kindheitsfantasien wach. Heinrich Schliemann, Troja. Hat sie auch verschüttete Städte ausgegraben? Julia Köppel, ganz cool: „Eher weniger.“ Die so äußerst praktische Julia Köppel arbeitete vor allem theoretisch. Ihre Magisterarbeit galt Niebuhr, einem Historiker des frühen 19. Jahrhunderts, der Epoche machte, weil er seine Disziplin, methodisch, vom Kopf auf die Füße stellte und überhaupt erst so recht begründete. Thema: Wie kann man das, was uns überliefert ist, „lesen“? Darf man, wie das weit verbreitet ist, einfach von „Fakten“ ausgehen? Natürlich nicht.

Der Überlebende aus Regensburg: Eine Gehirnblutung riss Impresario Reinhard Söll aus dem Alltag. Pünktlich zum Musiksommer kehrt der Konzertmanager zurück.

Konkret widmete sich Julia Köppel in ihrer Arbeit Niebuhrs Tacitus-Lektüre. Von Tacitus, dem römischen Geschichtsschreiber mit dem knappen, luziden Stil, gibt es ein Buch: „De Germania“. Das heißt: Er hat über unsere Vorfahren geschrieben, wenn man das leichtsinnigerweise sagen darf. Denn es ist ja in den zweitausend Jahren, die inzwischen vergangen sind, viel geschehen. Die Studentin Julia Köppel interessierte sich in ihrer Abschlussarbeit konkret für „Volkscharaktere“. Soll heißen: Welche Vorstellungen hatten die Römer von ihren barbarischen Nachbarn im Norden? Und wie entstanden diese Vorstellungen?

Spannend! Faszinierend! Julia Köppel widerspricht nicht. Sie hätte die Gelegenheit gehabt zu promovieren. Aber dann kam die Praxis dazwischen. Oder ihre Neugier. Oder was auch immer. Odeon suchte eine Praktikantin. Das wollte sie sehen. In dieser vorübergehenden Leere nach dem Abschluss. Aus dem Praktikum wurde 2002 eine Teilzeit- und im Jahr darauf dann eine Vollzeitstelle. Die Arbeit gefiel ihr. Aber in jedem von uns steckt ja noch der Wandergesell’. Er treibt einen in die Fremde. Man will schauen, wie es die anderen machen. 2006 ging sie für zwei Jahre zu „MünchenMusik“. Als Veranstaltungsmanagerin lernte sie dort die großen Säle kennen.

Sie schwärmt sie in höchsten Tönen

Im Jahr 2008 kehrte sie zu Odeon Concerte zurück. Nicht reumütig, aber sehr gern. Von der Zusammenarbeit mit Reinhard Söll schwärmt sie auch noch nach mehr als einem Jahrzehnt in höchsten Tönen. Julia Köppel: „Er hat mir damals nach meinem Studium die Chance gegeben, alle Bereiche, die zu einer Konzertdirektion gehören, kennenzulernen und selbst mitzugestalten: Veranstaltungsorganisation, Ticketverkauf, EDV und Datenbank-Management, Planung und Verhandlung.“ Und sie präzisiert: „Er als Frontmann, ich im praktischen und organisatorischen Hintergrund.“

Und dann sagt sie noch, was eigentlich schon längst klar ist: „Da ergänzen wir uns ausgezeichnet.“ Söll diskutiert mit ihr alle Details der Programmplanung. Julia Köppel: „Aber natürlich trifft er am Ende die Entscheidung. Er trägt ja auch das Risiko.“ Und man spürt: Sie vertraut ihm total. Und auch er vertraut ihr.

Alles zu den Thurn und Taxis Schlossfestspielen finden sie hier.

Zu ihren Aufgaben gehören auch die Vertragsverhandlungen. Das funktioniert oft nach dem Good-Cop-Bad-Cop-Prinzip. Wobei Julia Köppel, was man sich kaum vorstellen kann, wenn man ihr gegenübersitzt, den Bad-Cop-Part übernimmt. Und sie muss sich um die Künstler kümmern, die oft allein reisen und naturgemäß empfindsam sind. Sie erzählt von zwei Tagen, die sie mit dem legendären Pianisten Alfred Brendel in Mannheim verbrachte. Dort, im Rosengarten, hat Odeon eine Dependance. So wie im Übrigen auch noch in Essen und Berlin. Ziemlich viel Arbeit für ein kleines Team. Julia Köppel erinnert sich: „Wir hatten viel Zeit miteinander, er war ja alleine unterwegs. Man konnte mit ihm über alles reden.“

Feingefühl ist gefragt

Und dann wird es ein wenig makaber: „Vom Hotel zum Saal sind wir mehrmals an einer kleinen Zweitausendeins-Buchhandlung vorbeispaziert und haben uns immer gegenseitig interessante Bücher im Schaufenster gezeigt.“ Seine Wahl: Jan Potockis „Handschrift von Saragossa“. Brendel dazu: Kein so wahnsinnig bedeutendes Buch. „Aber der Autor ist interessant.“ Warum? „Er hat sich aus dem Griff seines Samowars eine Pistolenkugel gefeilt und sich damit erschossen.“ Man sieht: Auch für die Künstlerbetreuung braucht man gute Nerven.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Siein unserem Aboshop.Aktuelles aus der Region und der Welt gibt es über WhatsApp direkt auf das Smartphone:www.mittelbayerische.de/whatsapp