Interview
Infineon steht ein Umbruch bevor

Die Firma will in Regensburg mehr und schneller produzieren. Die MZ hat mit dem neuen Standortleiter Recklies gesprochen.

10.08.2018 | Stand 16.09.2023, 5:57 Uhr

Am Infineon-Standort im Regensburg Stadtwesten arbeiten rund 2700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Foto: altrofoto.de

Herr Recklies, warum sind Sie im April von Dresden nach Regensburg gewechselt?

Ich bin seit 23 Jahren im Unternehmen, die meiste Zeit davon in Dresden. Es war Zeit für eine neue Herausforderung. Und es war für mich eine Gelegenheit, eine neue Stelle zu übernehmen, die nicht mehr so operativ, sondern mehr strategisch geprägt ist.

Wie soll sich Regensburg in den nächsten Jahren entwickeln?

Der Standort ist stark gewachsen. Das wird sich fortsetzen, weil wir hier ein Alleinstellungsmerkmal im Konzern haben: Wir veredeln viele Scheiben, die von anderen Standorten, aber auch von Silicon Foundrys (externe Halbleiterwerke) hierher kommen. Dieser Zulauf von anderen Fertigungsstätten wird deutlich zunehmen. Wir werden zum einen wachsen, zum anderen stark in die Digitalisierung eintreten. Eine weitere Herausforderung ist das steigende Marktvolumen. Wir könnten mehr verkaufen als wir in der Lage sind zu produzieren. Jeder Chip, den wir herstellen, wird sofort verkauft. Wir hinken der Nachfrage immer etwas hinterher. Das wollen wir ändern.

Was bedeutet die Digitalisierung für das Personal?

Es gibt andere Arbeitsaufgaben, teilweise höherwertige Aufgaben. Die Arbeiten entwickeln sich vom stringenten, monotonen Maschinenbedienen zum Beobachten und Entscheiden. Auch der Ressourcenbedarf wird sich dabei verändern.

Und das heißt?

Wir automatisieren erstmal im Bereich der Fertigung. Dort haben wir derzeit rund 700 sogenannte Operator, davon gut 300 Leiharbeiter. Die Zahl der Leiharbeiter werden wir über einen Zeitraum von fünf Jahren anpassen.

Sind höherwertige Stellen durch Nachschulungen zu erreichen?

Wir werden unsere Mitarbeiter kontinuierlich weiterbilden, um sie auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten. Dieses Programm werden wir mit den Arbeitnehmervertretern in den nächsten Wochen abstimmen und dann in die Umsetzung bringen.

Digitalisierung verbreitet vor allem Angst und wird mit Arbeitsplatzabbau assoziiert. Sie sagen, sie bietet Chancen. Inwiefern?

Die Digitalisierung ist nicht als Mittel zum Arbeitsplatzabbau zu verstehenJörg Recklies, Standortleiter von Infineon in Regensburg

Die Digitalisierung ist nicht als Mittel zum Arbeitsplatzabbau zu verstehen. Sie ist dazu da, um Lieferfähigkeiten zu verbessern und ein höheres Qualitätsniveau zu erreichen. Wenn ein Haar auf einen Wafer (eine Silizium-Scheibe mit Chips) fällt, kann das die Wirksamkeit eines großen Eichenbaums haben, der auf ein kleines Gebäude stürzt. Es zerstört die ganzen Chips. Dieses Risiko wird minimiert. Ein Roboter geht mit der Scheibe immer gleich um. Ein weiterer Vorteil der Digitalisierung: Dank mehr Daten produziere ich weniger Ausschuss. Mittelfristig ist es auch ein Kostenthema. Wir stehen im globalen Wettbewerb. In Asien sind die Kosten deutlich niedriger.

Für Ihre Zukunftsthemen bräuchten wir eine gute Infrastruktur...

Wir müssen aufpassen. Im Bereich Smart City und Digitalisierung sind wir deutlich zurück. Vietnam etwa verfügt über einen flächendeckenden 4G-Ausbau, in den Bussen und Bahnen gibt es dort freies WLAN. Das ist in Deutschland leider noch nicht so. Autonomes Fahren etwa baut auf dieser Infrastruktur auf. Wir müssen aufholen. Ich habe allerdings Zweifel. Der Breitbandausbau ist nicht wie versprochen umgesetzt worden. Ich bin überrascht, wie schlecht unser mobiles Netz ist, selbst in Bayern.

Der Automobilbereich ist für Regensburg enorm wichtig. Welche Perspektiven sehen Sie dafür?

Wir werden in zehn Jahren Autonomes Fahren erleben. Infineon Regensburg ist intensiv mit dabei. Wir entwickeln Technologien, die 5G unterstützen und sind Leitstandort für Radartechnologien – eine Voraussetzung für Autonomes Fahren. Das Automobilgeschäft macht aufs Volumen bezogen für Regensburg mehr als 50 Prozent aus. Wobei dieses Volumen weiter wächst.

Welche Produkte sind noch für Infineon entscheidend?

Zum Beispiel Chips für die Energieübertragung. Aber auch für Ladegeräte von Smartphones. Wir fertigen zudem Systeme für die Batteriesteuerung von Elektroautos oder von Windkraft- und Solaranlagen.

Was müsste ich tun, um einen Tag zu erleben, ohne mit Infineon-Produkten in Kontakt zu kommen?

Setzen Sie sich in ein Restaurant ohne Handy. Im Besteck ist noch nichts untergebracht, im Essen hoffentlich auch nicht. Normalerweise hat man immer Kontakt mit Infineon-Produkten.

Das führt zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). Freuen Sie sich darauf nach der Devise: Hurra, das Leben wird leichter? Oder bereitet Ihnen das mehr Kummer?

„Wir alle wissen, dass sich die Arbeitswelt verändert“Jörg Recklies, Standortleiter von Infineon in Regensburg

Ich sehe es eher positiv, aber ohne Frage stecken Risiken drin. Eine komplexe Fertigung wie unsere können Sie mit KI besser steuern als es ein Mensch überblicken könnte. Der Roboter darf aber nur Hilfe bleiben und nicht zur Bedrohung werden. Wir alle wissen, dass sich die Arbeitswelt verändert. Menschen achten auf Life-Work-Balance. Es wird herausfordernder, Arbeitskräfte für jeden Einsatz zu finden. Mit KI können wir eine attraktive Arbeitsumgebung ein Stück weit absichern.

Da kommt viel auf die Unternehmen zu, was Qualifizierung und Gestaltung des Arbeitsumfeldes betrifft...

Ein kontinuierlicher Lernprozess ist extrem entscheidend. Auch die Art, Wissen zu vermitteln, wird sich ändern. Wir werden viel mehr mit Daten umgehen. Heute gibt es Menschen, die sehr gut mit Excel-Tabellen umgehen können. Die gelten als teilweise als Gurus. In fünf Jahren ist das nicht mehr gefragt. Auch diese Spezialisten muss ich in die neue Welt mitnehmen.

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In Regensburg liegen die Wurzeln von Infineon. Hat das noch einen besonderen Stellenwert?

Wir haben nächstes Jahr die 60-Jahre-Standort- und 20-Jahre-Infineon-Feier. Wir wollen diese Jubiläen gebührend begehen. Bei Infineon schätzt man den Standort Regensburg. Wir haben hier Kompetenzen, die im Unternehmen gefragt sind. Jeder Standort hat seine eigene Aura. Das Anderssein im Unternehmen zu nutzen, ist mittlerweile eine Stärke von Infineon. In Regensburg hat Infineon Mitarbeiter aus 43 Nationen. Wir stehen auch für Offenheit und Multikultur. In den letzten 15 Jahren hat der Standort Regensburg immer mal auch ums Überleben gekämpft. Wir haben eine gute Chance, jetzt die nächsten Jahre positiv zu sehen.

Wie haben Sie, der Dresdner, sich in Regensburg akklimatisiert?

So groß ist der Unterschied nicht. Ich fühle mich extrem wohl, auch wenn mein Lebensmittelpunkt nicht hier ist und ich pendle, weil meine Familie noch in Dresden lebt. Es ist für mich eine recht lebendige und junge Stadt. Abends ist viel mehr los.

Bringen Infineon die Netzwerke in Regensburg einen Nutzen?

Wir nutzen sie, um zu lernen. Nehmen wir die Digitalisierung. Ich habe sie in Dresden vollständig miterlebt. Es ist wichtig, Begeisterung zu wecken und das vorhandene Risiko sauber zu erklären. Wir arbeiten intensiv mit der Wissenschaft, zum Beispiel der OTH Regensburg, zusammen, weil wir wissen: In der Begleitung der Digitalisierung brauchen wir die Bereiche Gesundheitswesen und Arbeitspsychologie. Digitalisierung hat Auswirkungen auf die Organisation: Die Teams werden kleiner, die soziale Bindung verändert sich. Warum? Man sitzt vielleicht beim Mittagstisch nicht mehr im ganzen Team. Der Austausch über Themen neben der Arbeit wird spärlicher. Deshalb muss man die Organisation so anpassen, dass die Leute soziale Gemeinschaft nicht verlieren. Das ist sehr wichtig.

2017 war das Werk Dresden „Fabrik des Jahres“. Wann ist es in Regensburg so weit?

Das war eine Arbeit von ungefähr zehn Jahren. Da steckt immenser Aufwand drin. Wenn wir dies in Regensburg wollen – sagen wir mal in vier Jahren.

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