Ungewohnter Mutmacher
Lob und klare Worte: Die Neujahrsansprache von Bundeskanzler Olaf Scholz

31.12.2022 | Stand 15.09.2023, 2:18 Uhr
„Putin führt einen imperialistischen Angriffskrieg, mitten in Europa.“ Mit klaren Worten verurteilte Bundeskanzler Olaf Scholz den russischen Einmarsch in die Ukraine. −Foto: Michael Kappeler/dpa

In seiner Ansprache zu Neujahr lobt der Kanzler angesichts des Ukraine-Kriegs den Zusammenhalt der Menschen. 2023 dürfte dieser allerdings auf die Probe gestellt werden.



Vergangenes Jahr war Olaf Scholz‘ Aufgabe einfach, aber undankbar. Gerade einmal zwei Wochen war der Kanzler im Amt, als er seine erste Neujahrsansprache an die Deutschen richtete. Auf Erreichtes konnte er nicht zurückblicken, er musste also nach vorne schauen in einer Zeit, die von der Corona-Pandemie geprägt war. Das Auftauchen der Omikron-Variante hatte gerade die Republik erneut in Schrecken versetzt. An Scholz lag es, zu Vorsicht aufzurufen, zum Einhalten der Beschränkungen, zum Impfen.

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Bei der Neujahrsansprache am Samstag taucht davon nichts mehr auf. Das alles überlagernde Thema Corona wurde in diesem Jahr verdrängt, nicht einmal das Wort findet in der Rede von Scholz mehr Erwähnung. Es macht deutlich, wie einschneidend der 24. Februar war – für Deutschland, für Europa. Bislang haben die Menschen mitgezogen. Scholz lobt das ausdrücklich – und weiß, welche Herausforderung 2023 auf ihn zukommt.

„Schweres Jahr“ geht zu Ende

„Heute Nacht geht ein schweres Jahr zu Ende“, beginnt Scholz seine Rede, die unserer Zeitung in einer vorab veröffentlichten Version vorlag. „In keinem Jahresrückblick fehlen die Bilder des 24. Februar, als im Morgengrauen die ersten russischen Raketen in Kiew, Charkiw, Odessa und anderen ukrainischen Städten einschlugen. Putin führt einen imperialistischen Angriffskrieg, mitten in Europa. Diese Zeitenwende stellt auch uns und unser Land auf eine harte Probe.“

Mehr als diese vier Sätze braucht es kaum, um das vergangene Jahr zusammenzufassen. Die von ihm ins Leben gerufene Zeitenwende darf dabei nicht fehlen. Schnell hatte der Kanzler die historische Zäsur des russischen Angriffs auf die Ukraine erkannt, der Begriff hat sich festgesetzt. Das war nicht selbstverständlich, schließlich waren die politischen Entscheidungsträger allesamt von der Attacke Putins überrumpelt. Bis zum 24. Februar wollte es keiner wirklich wahrhaben, obwohl die Amerikaner seit Wochen gewarnt hatten.

2022 nicht nur von Krieg und Leid geprägt

„Wir alle spüren die Folgen dieses Kriegs auch in unserem Alltag: beim Einkaufen im Supermarkt, an der Tankstelle oder wenn wir die Strom- oder Gasrechnung bezahlen.“ Doch die Geschichte dieses Jahres 2022 handele „nicht allein von Krieg, Leid und Sorge“, erklärt Scholz. „Sie handelt von Zusammenhalt und Stärke – und ja, auch von Zuversicht.“ Denn Putin habe die Ukraine nicht wie geplant in wenigen Tagen überrannt, EU und Nato stünden geeint wie lange nicht da und Deutschland habe sich nicht erpressen lassen, als Russland den Gashahn zudrehte. Gas wurde woanders eingekauft, mit LNG-Terminals eine komplett neue Infrastruktur geschaffen – so schnell wie in diesem Land sonst selten etwas geht. Das Jahr war für alle ein Kraftakt, der Kanzler gibt den Lobenden: „An dieser Geschichte haben Sie alle mitgeschrieben – überall in unserem Land.“

Während die zwei Corona-Jahre vor allem von Spaltung in der Gesellschaft oder zumindest der Angst davor geprägt waren, betont Scholz in diesem Jahr den besonderen Zusammenhalt der Menschen. Er erzählt die Geschichten von den Millionen Freiwilligen und Ehrenamtlichen, die Tag und Nacht ankommenden ukrainischen Flüchtlingen helfen, erinnert an die Energiesparbemühungen der Bürger – das Mahnen überlässt er lieber anderen. Er lobt Deutschland als innovativen Standort, wenn es um die Umsetzung des Klimaschutzes und neue technische Entwicklungen geht: „Ein starkes Land. Ein Land, das mit Tatkraft und Tempo an einer guten, sicheren Zukunft arbeitet. Ein Land, das sich unterhakt, gerade in schweren Zeiten.“

Der Kanzler als ungewohnter Mutmacher

Der Kanzler will Mut machen, denn das weiß auch er: Die wirkliche Herausforderung für die Republik kommt wohl erst im nächsten Jahr. Dann müssen die Gasspeicher gänzlich ohne russisches Gas gefüllt werden. Die Bürger werden ihre Energierechnungen bekommen – dann wird sich zeigen, wie viele Hilfspakete die Regierung noch schnüren muss. Die Ukraine setzt weiter auf finanzielle und vor allem militärische Unterstützung, die Scholz ihr zugesagt hat. Die Zeitenwende muss endlich auch umgesetzt bei der Bundeswehr werden, damit sie keine leere Hülse bleibt.

Letztes Mal wünschte Scholz sich selbst zum Ende seiner Rede: „Bleiben wir zusammen!“ Angesichts der Krisen ist das erstaunlich gut gelungen. Dass er den Faden nun weiter spinnt, ist sicher kein Zufall: „Bleiben wir dem Weg treu, den wir im vergangenen Jahr eingeschlagen haben! Gehen wir ihn mutig weiter! Vor allem aber: Halten wir auch im kommenden Jahr zusammen.“