PNP-Interview
Virologe Schmidt-Chanasit: „Anlasslose Massentests wenig sinnvoll“

28.06.2022 | Stand 28.06.2022, 5:00 Uhr
Jonas Schmidt-Chanasit. −Foto: dpa

Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit, Professor an der Universität Hamburg, begrüßt es, dass Bürgertests künftig nicht mehr kostenlos sein sollen.

Machen Ihnen die wachsenden Corona-Neuinfektionen mit Inzidenzen von über 600 aktuell Sorgen?

Jonas Schmidt-Chanasit:Besorgt wäre das falsche Wort. Auch erstaunt über diese Welle bin ich nicht. Es ist generell nicht ungewöhnlich, dass die Infektionszahlen immer mal wieder hoch und runtergehen. Gründe für den Anstieg gibt es viele, etwa die aktuell dominierende BA.5-Virusvariante, Großveranstaltungen und das Reisegeschehen. Das Entscheidende ist, es gibt zwar bei der Krankenhaus-Belastung, den Todesfällen, auch wieder Zuwächse, aber keine dramatischen. Ähnliches erleben andere Länder, wie Portugal. Insgesamt sehe ich sogar eine positive Entwicklung, denn die momentane Corona-Welle zeigt, dass die Gefahr einer Überlastung unseres Gesundheitssystems auch bei deutlich höheren Infektionszahlen nicht mehr droht. Dazu hat ganz wesentlich die hohe Zahl Geimpfter und Genesener beigetragen, so dass es zu keiner dramatischen Krankheitswelle mehr kommt.

Ist mit Blick auf den Herbst der Infektions-Sockel inzwischen so hoch, dass es dann zu Überlastungen kommen könnte?

Schmidt-Chanasit:Schreibt man die aktuellen Entwicklungen fort, dann dürften die Infektions-Zahlen im Herbst oder Winter tatsächlich sehr viel höher liegen. Dass das dann Überlastungen mit sich bringt, davon ist aber gegenwärtig nicht auszugehen. Das zeigen andere Länder und auch die epidemiologischen Daten geben dafür bisher keinerlei Hinweise. Wir werden in den kommenden Jahren immer wieder mit solchen Corona-Infektionswellen leben müssen, ähnlich, wie bei anderen Atemwegs-Erkrankungen. Entscheidend ist, dass ein Großteil der Menschen geimpft oder genesen ist. In Deutschland ist vornehmlich den vielen Geimpften zu danken, dass wir keine schweren Krankheitswellen erleben, sondern nur Infektionswellen. Dass ist der von uns gewünschte Übergang zur Endemie. Von Anfang an war ja klar, dass das Virus nicht verschwinden wird.

Dass die Hospitalisierungszahlen derzeit steigen, irritiert Sie nicht?

Schmidt-Chanasit:Nein. Denn wir haben bei den Krankenhauseinweisungen immer noch das Problem, sauber auseinanderzuhalten, was der Grund für die Einweisung ist: Covid-19 oder eine andere Erkrankung. Klar ist: Gehen die Infektionszahlen generell nach oben, steigen auch die Corona-Zufallsbefunde bei den Aufnahmen, wie etwa, wenn Herzinfarkt- oder Unfall-Patienten nebenbei positiv getestet werden. Je höher die Inzidenz, desto höher die Zahl der zufällig positiven Befunde bei Tests, die im Zuge der Aufnahme von Kranken in Kliniken gemacht werden. Das für sich genommen ist also kein Alarmsignal.

Ist es nicht ein Armutszeugnis, dass es immer noch an schnelleren und besseren Daten zur Einschätzung der Pandemie fehlt?

Schmidt-Chanasit:Ja, das ist es. Dem wird noch die Krone dadurch aufgesetzt, dass es jetzt erst, nach zwei Jahren, eine Erhebung der Immunitätslücke geben soll, damit man ganz genau weiß, wer geimpft ist und wer eine oder mehrere Infektion durchgemacht hat. Das hätte man schon lange machen müssen und zeigt, wie viel versäumt wurde. Das muss deutlich besser werden.

Was halten Sie von der Aufhebung der Kostenlosigkeit von Bürgertests?

Schmidt-Chanasit:Prinzipiell sind Tests ein wichtiger Baustein einer Corona-Strategie. Die anlasslosen Massentests aber sind wenig sinnvoll. Wenn man erkrankt ist, Symptome zeigt, sollte sehr schnell ein qualitativ hochwertiger Test vorgenommen werden. Von kostenlosen, fragwürdigen Tests an jeder Ecke, bei denen es zudem Missbrauch mit Milliardenschäden kam, halte ich in der Tat wenig.