Ereignis
Ein Feuerwerk zu Waldmünchens Jubiläum

Musikalisch und literarisch: Waldmünchen lässt dank Torelli-Orchester und Bernhard Setzwein 1111 Jahre famos aufleben.

24.10.2021 | Stand 15.09.2023, 23:38 Uhr
Ein Feuerwerk zum Stadtjubiläum: Das Torelli-Orchester und Bernhard Setzwein bescherten Waldmünchen einen wundervollen Abend. −Foto: Petra Schoplocher

Ganz sicher hätten auch sie Gänsehaut bekommen: Chateaubriand, Piontek, ja, selbst der sonst so erbarmungslose Trenck. Es war einfach zu berührend, wie das Torelli-Orchester musikalisch, und Bernhard Setzwein literarisch Waldmünchens Jubiläum am Samstag verlebendigt haben. Händels Feuerwerksmusik gereichte zum Sinnbild, schriftstellerische Perlen erzählten die Stadtgeschichte – und warteten mit Überraschungen auf.

Heinz Piontek etwa. Die Seiten, in denen der Büchner-Preisträger das Leben im Waldmünchen ab 1945 schildert, sind ein „einzigartiges“ Dokument, verdeutlicht Bernhard Setzwein und weist auf die „Kriegsschäden an den Häusern und dem Inneren der Menschen“ hin. Er zitiert aus den 130 Seiten, dass das Mittagessen „beim Frank“ für „drei Böhm′“ zu haben war und das Sternenbanner über dem Marktplatz wehte. Ruft bewegende Szenen in Erinnerung, als aus Wassersuppen vertriebene Bauern „lange Blicke auf ihre für immer verlorenen Gehöfte werfen“.

Manchmal müssen Superlative einfach sein. Anders aber lässt sich das Gänsehautgefühl schon nach wenigen Takten nicht erklären. Susanne Melichar bewies mit der Eurovisionsfanfare ein gutes Händchen für den Einstieg ins Festkonzert „1111 Jahre Waldmünchen“. Ihre Leidenschaft am Dirigentenpult überträgt sich sofort auf die Torellis, die eine wunderbare Spielfreude entwickeln. Dass sie dies – ihrem Ruf folgend „wie immer“ – auf hervorragendem Niveau tun, müsste eigentlich nicht eigens erwähnt werden.

Händels Feuerwerksmusik erweist sich als genial. Passt sie, schließlich hat sie der Starkomponist anlässlich des Endes des Österreichischen Erbfolgekriegs erschaffen, doch perfekt zu „der Trenckstadt“. Als solcher, entscheidet Bernhard Setzwein, führt kein Weg vorbei an der Lebensgeschichte des Obersts, folglich liest er als erstes Kapitel aus dessen Lebensgeschichte vor, die für Cham, aber auch Waldmünchen, einschneidend ist. „Von 50 Orten aus sah man das Feuer in Cham“, verbildlicht Setzwein, wie grausam die Panduren in der heutigen Kreisstadt gewütet haben.

Hymnen: Herzstücke:Horizont 2: Highlight:
Das „Te deum“ von Marc-Antoine Charpentier, besser bekannt als Eurovisionsfanfare, bildete den perfekten Auftakt. Beethovens Ode an die Freude aus seiner neunten Sinfonie (Europahymne) sorgte für den meisterhaften Schlusspunkt.Georg-Friedrich Händels Feuerwerksmusik und die Arlésienne-Suite von Georges Bizet bildeten das Konzert-Kernstück.Horizont 1: Mit Leonhard Bernsteins „America“ aus dem Musical West Side Story wagte sich das Orchester an ein modernes Werk.Sophie Groß und Reinhard Hößl sorgten mit dem böhmischen „Nade Klencim jalovecek Kdydy byl Bavorov“ für den musikalischen Sprung über eine andere Grenze.Als Zugabe wählte Dirigentin Susanne Melichar den Blumenwalzer von Peter Tschaikowsky wohlstens gewählt.

Dass sie einst in Weiberklamotten in Cham Brandbeschleuniger legten: Eine der Anekdoten, die diesen Abend bereichern. Und ob Napoleon, was ein „Treppenwitz“ der Geschichte wäre, weil er doch Gegenspieler des berühmten Schriftstellers, Staatsmanns und Monarchie-Anhängers Chateaubriand aus Combourg war, nun tatsächlich auch eine Nacht in Waldmünchen verbracht hat... „wahrscheinlich eine schöne Anekdote, mehr aber auch nicht“.

Kein geschichtlicher Rückblick selbstverständlich ohne jenen Chateaubriand, dem das Orchester – erneut in Höchstform – gekonnt Georges Bizet folgen lässt. François-René stellt an einem m Ölbergkirchlein, wie Bernhard Setzwein weiß, fest, dass 1830 in Frankreich eine Monarchie gestürzt, und in Waldmünchen eine Kapelle errichtet wurde...

Überhaupt, der Diplomat, der seinerzeit festhing und in seinen (von Setzwein ausschnittsweise rezitierten Memoiren) Waldmünchen Einzug in die Weltliteratur verschaffte. Was uns zu einer grundsätzlichen Erkenntnis bringt: „Die Nähe zur Grenze bestimmte stets das Leben“, resümiert Setzwein, der nach ein paar Jahren „Abstinenz“ mittlerweile wieder in Waldmünchen zuhause ist.

Und der dieser „Gänsehaut-Geschichte“ auch nicht auskommt. „Schuld“ ist im Rückblick wie auch an diesem wunderbaren Abend die symbolische Grenzöffnung, die er 1990 hautnah miterlebt hat und die „um 17 Uhr enden“ solle – nur habe keiner gesagt, an welchem Tag. Nebenbei bemerkt eine von vielen (gelungenen) augenzwinkernden Randnotizen. Als am Samstag auf sein Gedanken zum Wiedersehen mit Mütterchen Böhmen Beethovens „Freude schöner Götterfunke erklingt“, sind auch bei ihm die Gefühle überbordend. Grüße an Chateaubriand und Co. an dieser Stelle.

Grenze in Köpfen und Taten

Die Grenze in Köpfen und Taten spielt eine wichtige Rolle, als sich Paneuropa-Gründer Richard Graf von Coudenhove-Kalergi 1914 vom Familiensitz inRonspergeigens nach Waldmünchen begibt, um einen Brief an seine Verlobte Ida nach Wien aufzugeben – mitsamt der Chance, so die diesseits der Grenze herrschende Zensur zu umgehen. Die Szene in einem Waldmünchner Wirtshaus, die Setzwein unter dem Titel „Russensperre 1914“ beschreibt und die auf wahren Quellen beruht, ist gleichermaßen amüsant wie tiefgreifend. „Die Waldmünchner hätten lernen sollen, dass es besser ist, Zaungast zu sein und zu bleiben und die Weltgeschichte vorbei ziehen zu lassen“, zieht der Schriftsteller eigene „Lehren“ aus seinen Recherchen.

Bürgermeister Markus Ackermann reduziert sein Empfinden nach gut eineinhalb Stunden Festabend auf drei Buchstaben: „Wow!“ Ein Abend der Extraklasse, atemberaubend, kurzweilig, wunderschön und würdig. Das sind die Attribute, die ihm spontan einfallen. Die Kombination aus Musik und ergreifenden Texten habe in bester Weise vor Augen geführt, dass die Stadt tatsächlich Teil der europäischen und somit der Weltgeschichte sei. Bleibt die eigene Geschichte, die nun um ein wunderbares Feuerwerk reicher ist.