Geschichte
Perfide Fallen an der falschen Grenze

Ein Thriller könnte nicht besser sein als diese Wahrheiten: Václava Jandecková hat über die ,Operation Kámen’ geschrieben.

17.04.2019 | Stand 16.09.2023, 5:44 Uhr
So sah die Grenze bei Höll zu Zeiten des Eisernen Vorhangs aus. Wenngleich es dort keine „Operation Kámen“ (wie etwa im Dorf Fichtenbach in der Nähe von Furth im Wald) gab, hat sich Buchautorin Václava Jandecková für dieses Foto von Hans Beer als Titel ihres neuen Buches entschieden. Foto: Hans Beer −Foto: Hans Beer

Es sollte ein einziger Besuch im Prager Archiv bleiben. „Ich wollte eigentlich nur wissen, warum die Kommunisten meinen Opa hängen wollten.“ Aus dem einen Besuch sind viele geworden – und Václava Jandecková zu einer Forscherin, einer Autorität in Sachen „Operation Kámen“ und auch zu einer Handlungsreisenden in geschichtlicher Mission.

Weil ihr Großvater als Fluchthelfer und Widerstandskämpfer „eine dicke Akte“ hatte, tauchte die 45-Jährige immer tiefer in seine Geschichte hinein. Und stolperte über einen Kontakt ihres Opas zu einem Doppelagenten – förmlich über ein Stück unaufgearbeitete CSSR-Historie, besagte Akce Kameny (Operationen Kámen). „Niemand hat bis heute eine Übersicht, wo wie viele dieser Aktionen stattgefunden haben und wie viele Opfer es gibt“.

Von Nazis und Sowjets inspiriert

Es hört sich perfide an, wenn Jandecková beschreibt, wie der tschechische Geheimdienst von den Methoden der Sowjets und der Nazis inspiriert eine heimtückische Finte entwickelt hat. Fluchtwillige wurden an fingierten Grenzanlagen noch auf CSSR-Gebiet in Sicherheit gewogen und von verkleideten, vermeintlichen US-Agenten befragt. Die Kulisse: Täuschend echt, mit Präsidentenporträts an den Wänden, der US-Flagge im Hintergrund und Lucky-strike-rauchende „Amerikaner“, denen die Dissidenten bereitwillig Auskunft gaben. Nachdem sie freigelassen oder woanders hingebracht wurden, folgten Verhöre, Verhaftungen. Viele landeten für Jahre im Gefängnis oder im Arbeitslager, nicht wenige nahmen sich das Leben.

Das Kapitel und die Geschichte – im ersten Jahr wurden Staatsfeinde zur Flucht provoziert – ließ sie nicht mehr los. „Ich habe ständig daran gedacht. Bei der Hausarbeit, unterwegs“. Als sie die Verantwortung immer mehr spürte, entschloss sie sich, den Dingen auf den Grund zu gehen. Eben diese Suche nach Antworten hat die Mutter zweier Kinder, die mittlerweile in Domažlice lebt, aufgeschrieben. Entstanden ist daraus das 2014 erschienene Buch „Falsche Grenzen“. Nicht das Finden oder Entdecken sei das Schwierige gewesen, sondern das Unter-Kontrolle-Halten der Gefühle, erinnert sie sich.

„Operation Kámen“ baut auf ihrem ersten Buch auf, ist aber noch enger an einzelnen Schicksalen erzählt und ihr insgesamt viertes – eingeschoben hat sie die Geschichte von „Drei Männer gegen den Totalitarismus“ und eine Abhandlung über den Tod Jan Masaryks. Der Politiker kam unter bis heute ungeklärten Umständen zu Tode, Václava Jandeckovás Enthüllungen stießen eine neuerliche Untersuchung an.

Ihre Bücher sind ein großer Erfolg im Nachbarland, von dem neuen, vor gerade einmal einem Jahr erschienen, hat sie schon an die 10 000 verkauft. Wohl auch, weil sie einen besonderen Schreibstil pflegt: Sie erzählt wissenschaftlich und zugleich persönlich, verbindet Sachliteratur mit Studienergebnissen, kombiniert Familienunterlagen mit Stasi-Dokumenten. „Ich versorge den Leser, dass er sich selbst ein Urteil bilden kann“, betont sie, dass ihr Meinungsbildung fremd ist.

Memoiren eines Schauspielers

Bei ihren Recherchen ist ihr „ein großer Schatz“ untergekommen. In Kanada machte sie einen der Schauspieler ausfindig. In seinem Nachlass entdeckte die Familie („Der Sohn war schockiert“) 60 Seiten Memoiren. Diese waren mit dem Zusatz versehen „Wenn ihr mal wissen wollt, warum wir in Kanada gelandet sind“, gelesen hatte sie niemand. Dies war und eine wertvolle Quelle – nicht nur für sie.

Forschen, Lesen, Schreiben – So sieht der Arbeitsalltag der studierten Wirtschaftswissenschaftlerin aus, für die die Aufarbeitung der Geschichte längst zur Vollzeitbeschäftigung geworden ist. Für die Ausstellung wird derzeit eine deutsche Version erarbeitet, wenn die Bücher übersetzt werden könnten, wäre das für die 45-Jährige ein Traum. Was sie vor allem motiviert: „Dass sich auch junge Leute interessieren.“

Großvater war im Widerstand

Ihr Großvater Ota Tulacka war Mitglied einer Gruppe mit dem Decknamen „Cyril“ , die 113 Tschechoslowaken die Flucht ermöglichte. Diese Männer waren an einem Putschversuch beteiligt, der 1949 aufgedeckt wurde – Das Todesurteil gegen ihren Opa wurde später auf 15 Jahre gemildert, 1964 kam er im Zuge einer Amnestie frei. Gesprochen hat er mit ihr nicht über diese Vergangenheit, gefragt hat sie nicht. „Leider“, sagt sie heute. Als Kind wusste sie nur, dass der Opa als Widerstandskämpfer im Gefängnis war.

Aber sie ist sich sicher: „Es gibt weitere Opfer“ und viele ungesichtete Quellen. Deswegen wird sie auch nicht aufhören, nachzuforschen.

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