Geschichte
Referat über jüdisches Leben in Kelheim

In Kelheim gab es viele spannende Infos zur jüdischen Vergangenheit zu hören.

02.06.2022 | Stand 15.09.2023, 4:54 Uhr
Bei der Apotheke in Kelheim erinnert eine Wandtafel an die jüdische Vergangenheit. −Foto: Erl

Über jüdisches Leben in Deutschland zu sprechen ist nicht einfach. Und es ist immer mit Emotionen verbunden, wie der Landtagsabgeordnete Ludwig Spaenle (CSU) am Mittwochabend bei seinem Referat zum Thema „Festjahr 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ im großen Sitzungssaal des Landratsamtes Kelheim erkennen ließ. Spaenle ist der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. Landrat Martin Neumeyer (CSU) hatte aus diesem Anlass zu einem Dialog im Donaupark eingeladen. „Wir haben einen direkten Bezug zum Holocaust in Saal an der Donau, wo 320 Menschen verbrannt worden sind. Das berührt wirklich, wenn man dort steht. Es berührt und es ist so nah“, sagte der Landrat mit Blick auf das Naziregime und die Ereignisse unmittelbar in der Heimatregion.

Bevor Spaenle als Antisemitismusbeauftragte das Thema mit spürbarer Empathie anging, nahm Kreisheimatpfleger Wolf Kulke die Anwesenden auf eine spannende Reise zu den Geschichten der im Mittelalter im Landkreis Kelheim lebenden Juden mit. Viele Nachweise darüber sind allerdings nicht geblieben. Wittelsbacher Herzöge hatten die Juden zwar in ihr Herrschaftsgebiet gelockt und sich von ihnen den Bau mancher neuen Städte finanzieren lassen, dann aber vertrieben die Wittelsbacher um das Jahr 1450 alle Juden aus ihren bayerischen Regionen. Einzige Relikte der jüdischen Geschichte im Landkreis Kelheim sind drei jüdische Grabsteine. Einer steht an der Fassade der Stadt Apotheke in Kelheim, zwei andere sind in den Mauern des Klösterl zu finden. „Das sind sozusagen Trophäen aus dem jüdischen Friedhof in Regensburg, von wo die Juden im Jahr 1519 vertrieben und ihr Friedhof geplündert wurde. Die Initiatoren der Vertreibung hatten diese Grabsteine als Siegeszeichen an ihren Häusern postiert“, wusste Kulke. Aus welchen Gründen der Grabstein an der Fassade der Stadtapotheke angebracht wurde, darüber kann er nur Mutmaßungen anstellen. Noch bis zum Jahr 1945 war über diesem Grabstein das Relief einer sogenannten Judensau angebracht, das wohl auf Befehl eines amerikanischen Offiziers entfernt wurde. Der Kreisheimatpfleger sieht zwei mögliche Gründe: entweder war der mittelalterliche Besitzer der Stadtapotheke selber an der Judenvertreibung beteiligt oder dieses Haus spielte im jüdischen Leben eine Rolle. Immerhin sei es ungewöhnlich, dass eine Treppe tief hinunter führt, wo sich beim damaligen Grundwasserspiegel ein rituelles Bad befunden haben könnte. Jüdisches Leben lässt sich indes nur indirekt aus den Archiven ersehen. So verzichteten im Jahr 1381 die Kelheimer Juden auf den Schutz des Fürsten und unterstellten sich dem Richterspruch des Kelheimer Magistrats. Bereits aus dem Jahr 1337 gibt es schriftliche Nachweise, wonach Juden aus Abensberg, Kelheim und Riedenburg in damaligen Pogromen ermordet wurden. „Ich möchte dazu aufrufen, die Erinnerung wach zu halten. Die drei Grabsteine sollten uns ein Mahnmal sein, uns gegen Hass und Ausgrenzung von Minderheiten einzusetzen“, sagte Kulke am Ende seines Rückblicks.

Auch Spaenle ging in seinen nachfolgenden Ausführungen vorzugsweise auf das über Jahrhunderte dauernde leidvolle Zusammenleben von Juden und ihren Mitbürgern in Deutschland ein. „Juden haben dieses Land mitgeprägt und 1871 sogar eine rechtliche Gleichstellung in Deutschland erhalten. Das war aber nur eine scheinbare Integriertheit“, sagte er und führte die Ausgrenzung auf einen christlich-ideologisch geprägten Judenhass zurück. „Der industrielle Massenmord an etwa sechs Millionen Juden ist eines der schlimmsten Menschheitsverbrechen. Ich bin sehr dankbar, dass man sich dieser Verantwortung stellt und sich vor Ort erinnert“, unterstrich der Referent eindringlich.

Spaenle sieht die ernsthafte Gefahr, dass Antisemitismus wieder aufkeimt und er erkennt in den neuen Medien eine Plattform dazu. „Das Netz ist der größte Brandbeschleuniger für Judenhass. Über das Internet werden Menschen erreicht, die früher nicht erreichbar waren – inhaltlich immer noch mit den Uralt-Bildern. Judenhass ist ätzend“, mahnte der Antisemitismusbeauftragte in seiner emotionalen Rede. Spaenle musste sich aus den Zuschauerreihen aber auch Kritik für seinen Vortrag anhören. „Hier wurde zum Festjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland nur über Verfolgung und Vertreibung gesprochen, ich bin enttäuscht. Warum wurde nicht auch über die Zusammenarbeit und die positiven Entwicklungen berichtet“, meinte ein Zuhörer und erhielt zaghaften Applaus. Spaenle nahm diesen Kritikpunkt dankend an, meinte aber: „Der größte Teil des Weges ist negativ geprägt“. Der Dialog wurde vom Quintett „Grünthal“ mit stimmiger Klezmermusik und dem talentierten 12-jährigen David Strasser an der Klarinette begleitet.