Serie
Die Mordnacht von Laaber

15.02.2013 | Stand 16.09.2023, 7:27 Uhr
Die vier Särge der Stammtischbrüder: Die sinnlose Bluttat sorgte damals wie heute für Fassungslosigkeit bei den Menschen in Laaber. −Foto: Archiv/Hanske

Warum Laaber? Warum der Gasthof Plank? Warum eine solche Katastrophe in einem so kleinen Ort? Immer wieder hat sich Bürgermeister Willi Hogger diese Fragen gestellt. In 23 Jahren hat er keine Antworten darauf gefunden. „Es war ein furchtbarer Zufall, der die Menschen in Laaber bis ins Innerste erschüttert hat.“ In der Nacht zum 18. November 1989 starben in dem Wirtshaus vier Mitglieder des Jägerstammtisches im Kugelhagel – erschossen von zwei aus einem österreichischen Gefängnis ausgebrochenen Straftätern. Sie waren gekommen, um die Kassen leer zu rauben, als sie aus dem Wirtshaus flücheten, waren sie zu Mördern geworden.

„Blutiges Massaker“, „Die Mordnacht von Laaber“, „Laaber trauert“ – so lauteten die Schlagzeilen, die damals ganz Deutschland verfolgte. Dietmar E. und Helmut B. waren aus dem Strafvollzug geflohen und planten Raubüberfälle, um sich nach Australien oder Brasilien abzusetzen. Sie hatten einen Fluchtwagen, Waffen und Munition. Aber sie hatten kein Geld. Auf der Autobahn 3 kamen sie nach Laaber. Das Benzin ging zur Neige, sie mussten tanken. „Sie hätten damals auch die Ausfahrt Nittendorf nehmen können oder Beratzhausen“, sagt der Bürgermeister. Die Kriminellen kamen aber nach Laaber, um sich dort Geld zu beschaffen. Schicksal.

„Buam, machts keinen Krampf“

Im Turmstüberl war gegen Mitternacht noch einiges los, so verließen die beiden Männer das Lokal wieder und wechselten in die gegenüberliegende Gastwirtschaft Plank. Fünf Gäste des Jägerstammtisches saßen noch da und die Bedienung. Die Männer bestellten Cola. Dann verlangten sie Geld. „Buam, machts keinen Krampf“, sagte noch einer der Gäste, dann fielen die Schüsse. Vier Stammtischbrüder im Alter von 34 bis 49 Jahren wurden tödlich getroffen, die 50-jährige Bedienung und ein weiterer Gast schwer verletzt.

Im Büro der Privatbrauerei Plank sitzt Michael Plank jun. vor einer Wand mit Auszeichnungen. Mehrfacher Weltmeister darf er sich für seine Bierspezialitäten nennen. Der Name Plank steht heute für gutes Bier, nicht mehr für den Ort eines schrecklichen Verbrechens. Manchmal werde er von Fremden schon noch darauf angesprochen, aber es wird weniger, sagt Michael Plank.

16 Jahre war er damals alt, als er die Bluttat mit ansehen musste. Er war mit Freunden in Parsberg und Regensburg feiern, kam genau in die Wirtsstube als die Täter zu ihren Waffen griffen. Die Bilder und die Gerüche sind bis heute in seinem Gedächtnis abgespeichert. „Es hat furchtbar gestunken, nach Schießpulver und warmem Blut. Das habe ich bis heute in der Nase.“ Alles sei wie in einem Film abgelaufen. „Bei manchem Tatort-Krimi fühle ich mich an das Geschehen damals bei uns erinnert“, sagt Plank.

Für E. und B. war der Krimi in Laaber nicht vorbei. An den Sterbenden vorbei rannten sie ohne Beute zu ihrem Fluchtwagen. Wenige Stunden später nahmen sie die Ehefrau eines Polizisten aus Neumarkt als Geisel. Erst nahe Frankfurt griff die Polizei ein. E. starb bei dem Einsatz, B. wurde verletzt. Die junge Mutter, die sie auf der Fahrt schwer misshandelt hatten, blieb unverletzt.

Michael Plank erinnert sich nochmals an die Situation nach der Tat in Laaber. Er alarmierte bei den Nachbarn die Polizei. „Die haben mir zuerst gar nicht geglaubt, als ich sagte, sie sollen alle verfügbaren Einsatzfahrzeuge schicken“, erzählt er. „Ist das ein Scherz?“, fragte der diensthabende Beamte. Heute kann Michael Plank darüber schmunzeln, damals stand er unter einem schweren Schock und funktionierte nur noch, wie er sagt.

Es dauerte länger als eine Viertelstunde, bis die ersten Polizei- und Rettungswagen den Ort erreichten. Da kniete der junge Brauereierbe schon zwischen den Toten und Verletzten im Wirtshaus. „Zwei von den Opfern sind in meinen Armen gestorben. Ich konnte noch kurz mit ihnen sprechen.“ Bürgermeister Hogger, damals gerade erst sieben Wochen im Amt, eilte noch in der Nacht an den Tatort. „Es war ein schrecklicher Anblick, ein Anblick, den man nie mehr vergisst.“

Die Tage danach herrschte in dem Ort der Ausnahmezustand. Aus Deutschland und Österreich reisten Journalisten und Kamerateams an, bedrängten die Wirtsfamilie, aber auch die trauernden Angehörigen. „Das war Wahnsinn“, sagt Plank. Er wurde abgeschirmt, da ihn Kameramänner sogar bis zu seiner Ausbildungsstelle nach Regensburg verfolgten. Auch später lehnte Michael Plank Anfragen der Presse stets ab. So wollte ein Privatsender einen Fernsehfilm machen. „Die Blutnacht von Laaber hätte der heißen sollen“, erzählt er. Doch das hätte in Laaber Wunden aufgerissen, ist er sich sicher.

Wie tief der Schmerz sitzt, machte die verletzte Bedienung Jahre nach der Tat in einem Interview deutlich. Jedes Klingeln an der Haustür versetze sie in helle Aufregung berichtete sie damals. Sie fühle sich nie sicher, werde von Ängsten geplagt. „Körperlich wurden die Schwerverletzten wieder hergestellt, aber ihre Seele leidet bis heute“, sagt Bürgermeister Hogger.

„Warum hat er das getan?“

Auch die Eltern von Michael Plank konnten das Unfassbare nicht verarbeiten. Die Wirtsleute hatten sich in der Tatnacht bereits schlafen gelegt und von der Tragödie in der Gaststube nichts mitbekommen. Bis zu seinem Tod machte sich Michael Plank sen. Vorwürfe. Hätte er in der Wirtsstube bleiben sollen? Hätte er die Tat dann verhindern können? Michael Plank, der alles mit ansehen musste, hat durch Gespräche mit Freunden die Geschehnisse aufgearbeitet. „Es gehört zu meinem Leben, aber es belastet mich nicht.“

Ein Jahr nach der Tat wurde dem überlebenden B. in Regensburg der Prozess gemacht. Lebenslange Haft urteilte das Gericht. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung wurde angeordnet. B. sitzt heute in der JVA Straubing. Kurz nach seinem Haftantritt schrieb er Briefe an die Opfer, die Hinterbliebenen, die Wirtsfamilie und den Pfarrer – der Versuch einer Entschuldigung. Michael Plank lehnte es damals ab, sich mit dem Täter auseinanderzusetzen. Jetzt sieht er das anders: „Heute würde ich gerne mit ihm reden und wissen, warum er uns das damals angetan hat.“