Projekt
Benno Hurt liebt mehrdeutige Bilder

Der Schriftsteller Benno Hurt versteht sich auch mit der Kamera aufs Erzählen. Seine Fotos sind mysteriöse Geschichten.

05.11.2020 | Stand 16.09.2023, 4:41 Uhr
Peter Geiger
Ein „Standphoto“ von Benno Hurt: Vor Ana Matt kniet ein junger Mann. Schwört er ihr ewige Liebe? Unterbreitet er ihr einen Antrag? Aus dem Hintergrund betrachtet ein älterer Herr die Szenerie. −Foto: Benno Hurt

Ja, dieses 2020, es ist ein befremdliches Jahr. Aber vielleicht bieten diese wiederkehrenden Stillstandsszenarien ja auch wertvolle Gelegenheiten? Schriftsteller Benno Hurt etwa fühlt sich eingeladen, Rückschau zu halten. Und sich dabei auf die 1980er Jahre zu besinnen. Damals war er Richter. Wenn man aber jetzt behauptete, seine Schriftstellertätigkeit sei nur Nebenjob gewesen, dann läge man ganz schön daneben. Denn die Leidenschaft und Tiefenschärfe, mit der Benno Hurt als mitten im Krieg Geborener und in der Hemauerstraße Aufgewachsener seine Heimatstadt und damit die alte Bundesrepublik porträtierte, sie war immer eine reflektierende.

Eben weil er im Gerichtssaal mitten im Leben stand, konnte er erst die Kraftfelder benennen, die diese Gesellschaft neu formiert hatten. Und während ihm von der Kritik stets konzediert wurde, sein Werk sei „fotografisch“ und „präzise“, entwickelte er auch als Bildkünstler erstaunliche Fähigkeiten.

Bücher: Fotos:
Benno Hurts Oeuvre erscheint beim Deutschen Taschenbuch Verlag. Dort ist nicht nur seine als Schlüsselroman konzipierte Trilogie um den Juristen Christian Kirsch erhältlich, sondern auch „Die Richterin“ (2014).„Mit Bildern will ich ausdrücken, was ich sprachlos empfinde.“ Dem Fotografen Benno Hurt widmete die Stadt immer wieder große Ausstellungen (Leerer Beutel, DEZ). Seine Arbeiten erschienen in namhaften Magazinen.

„Ein bisserl grungy“

In der Serie „Standphotos“, die er vor genau 40 Jahren begann, suchte er gemeinsam mit seinem Assistenten Peter Braun Orte auf, die – wie es eines seiner damaligen Models Micaela Sabatier, ausdrückt – allesamt „ein bisserl grungy“ waren. Was sie damit meint? „Grunge“, das stand am Ende des Jahrzehnts für alles „Dreckige“. Orte also, jenseits von Klischee und Kitsch.

Feder gegen Kamera

Dabei tauschte Benno Hurt seine Feder gegen die Kamera: Und erzählte – indem er seinen Figuren gruppierte und positionierte – mehrdeutige Geschichten mit offenem Ausgang. Da ist etwa das Bild, auf dem Ana Matt zu sehen ist: Vor ihr kniet ein Mann und versinkt im leuchtenden Saum eines traumhaft-transparenten Kleides. Was er nicht sieht: Aus dem Hintergrund beobachtet ein älterer Herr – ein Konkurrent vielleicht, oder der Vater? – die Szenerie.

Ein Umschlagplatz für die Models

Damals ging Benno Hurt im Orphée – dort also, wo heute noch Originale die Wand schmücken – ein und aus: „Das war ein Umschlagplatz für die Models, die ich für meine Serie brauchte.“ Auf die spätere Malerin Ana Matt wurde er aufmerksam wegen ihrer Zerbrechlichkeit. Sie erinnerte ihn an eine Figur aus der „Glasmenagerie“ von Tennessee Williams. „Für sie erfand ich Bilder!“

Auch Kerstin Radler wurde verewigt

Auch Kerstin Radler lernte er damals kennen. Sie, die frischgebackene Abiturientin, war für ihn eine „Kleine“. In seiner Bild-Inszenierung aber verleiht er ihr Flügel – sie wagt sich an eine „Große“ heran. Dass er dabei Fantasie und ein gutes Auge bewies, darauf ist er noch immer stolz: „Heute stellt sie als selbstbewusste Anwältin und Politikerin genau das unter Beweis.“ Und Benno Hurt? Führte vor Augen, dass er mit meisterhaften Standbildern niegedrehter Filme Gegenwart fixierte. Und es so verstand, dem Kollektivgedächtnis seiner Stadt Bilder ins Unterfutter einzubeschreiben.