Hilfe
In letzter Sekunde ausgeflogen

Ein afghanisches Mädchen wurde 2012 bei einem Brandanschlag schwer verletzt. In Regensburg konnte ihr nun geholfen werden.

12.09.2021 | Stand 16.09.2023, 0:43 Uhr
Prof. Dr. Dr. Lukas Prantl, Direktor der Klinik für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, sowie Oberärztin Dr. Eva Brix freuen sich über Hasibas Fortschritte nach der OP. −Foto: Katharina Beer

Eine junge Frau aus Afghanistan erhält dank der Unterstützung eines pensionierten Universitätsprofessors aus München und des Caritas-Krankenhauses St. Josef ihre Mobilität und Lebensqualität zurück. Nach einem Brandanschlag vor neun Jahren auf das Haus ihrer Familie litt sie an schwersten Verbrennungen an beiden Füßen und Händen, jetzt wurde sie in Deutschland operiert. Besonders dramatisch: Nach fast dreijähriger Wartezeit auf ein Visum, gelang der 18-Jährigen mit einem der letzten zivilen Flüge die Ausreise nach Deutschland.

„Wir sind unendlich froh, dass das jetzt endlich geklappt hat und sind dem Caritas-Krankenhaus St. Josef und allen Unterstützern so dankbar!“Leo Zitzlsperger

Hasiba war neun Jahre alt als sich ihr Leben für immer verändert. 2012 verüben die Taliban einen Brandanschlag auf die Wohnung ihrer Eltern, weil ihr Vater als Kommandant die NATO-Truppen unterstützt. Binnen weniger Minuten steht das komplette Haus in Flammen. Hasiba und ihre Familie können sich retten, doch trägt das kleine Mädchen schwere Verbrennungen an Füßen und Händen davon. Die Wunden werden in einer Klinik versorgt, aber Sehnen und Bänder bleiben in ihrer Funktion gestört. Das Mädchen kann nicht mehr richtig greifen, die Zehen kaum bewegen. Die verbrannte Haut heilt schlecht: bereits ein normaler Händedruck bereitet der Afghanin starke Schmerzen, im Winter platzt die Haut an den Füßen immer wieder auf. Und auch psychisch belasten die Verletzungen das Mädchen schwer: weil ihre Füße stark entstellt sind – ihre Zehen stehen aufgrund der Fehlfunktion der Sehnen und Bänder zum Teil im 90 Grad-Winkel nach oben – wird sie von anderen Kindern ausgelacht und gemieden.

Furcht vor den Taliban

Doch bis Hasiba Hilfe bekommt, vergeht fast ein Jahrzehnt. Dass ihr jetzt am Caritas-Krankenhaus St. Josef geholfen wird, hat sie Leo Zitzlsperger zu verdanken. Der pensionierte Universitätsprofessor lernt vor mehreren Jahren über seine Tochter, Fotografin Juliane Zitzlsperger, Hasibas Bruder kennen. Dieser ist nach Deutschland geflüchtet, vier seiner Onkel sind schon von den Taliban getötet worden. Furcht vor den Taliban ist auch der Grund, warum Hasiba nicht möchte, dass ihr Nachname genannt wird.

Als Leo Zitzlsperger im Gespräch mit Hasibas Bruder von ihrer Geschichte erfährt, setzt er alle Hebel in Bewegung. Er verzichtet an seinem 85. Geburtstag auf Geschenke, bittet stattdessen um Spenden, fragt im Bekanntenkreis nach, stellt selbst eine größere Summe zur Verfügung: 12.000 Euro sammelt er so mit der Zeit. Seine Tochter versucht parallel ein Visum für Hasiba zu bekommen. Antragstellung, Logistik, Dokumente beschaffen, Fristen einhalten, Antworten abwarten... Hasibas Bruder und Juliane Zitzlsperger sind stark eingespannt. Das Auswärtige Amt in Islamabad verlang einen OP-Platz für das junge Mädchen in Deutschland. Bei der Suche nach einem Experten wird ihnen Prof. Dr. Dr. Lukas Prantl, Direktor der Klinik für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Josefskrankenhaus, empfohlen. Er wird der jungen Frau helfen, verzichtet auf sein Honorar und auch die Klinik kommt der Familie entgegen.

Komplizierte Operationen

Doch bis Hasiba das Visum bekommt, dauert es drei Jahre. Während die Taliban gerade dabei sind, Kabul einzunehmen, steigt sie in eines der letzten Zivilflugzeuge, die Kabul verlassen. Nur vier Tage später wird Hasiba in Regensburg operiert. In einem ersten, knapp vierstündigen Eingriff operiert ein fünfköpfiges Ärzteteam um Prof. Prantl den linken Fuß und die linke Hand. Dabei werden unter anderem vier Zehen des linken Fußes aus der Senkrechten mit Hilfe von Drähten wieder in die ursprüngliche Stellung gebracht. Zudem werden Sehnen verlängert und gedehnt, Bänder rekonstruiert und verbrannte Hautareale durch Haut aus der Leistengegend transplantiert.

„Wenn die Wunden verheilt sind, wird Hasiba wieder viel besser laufen und greifen können, kaum mehr Schmerzen haben und auch optisch eine deutliche Veränderung bemerken“, erklärt Prof. Prantl. Dass Hasiba in ihrem Heimatland nicht ausreichend versorgt werden konnte, wundert den Chefarzt nicht. „Für solch schwere Verbrennungen braucht es spezielle medizinische Expertise. Am Hochschulzentrum für Plastische Hand- und Wiederherstellungschirurgie, das wir gemeinsam mit dem Universitätsklinikum bilden, haben wir die nötige Erfahrung. In Afghanistan hingegen ist die medizinische Versorgung oft sehr schlecht.“ Prof. Prantl weiß, was es bedeutet unter schwierigsten Bedingungen zu arbeiten. Er selbst verzichtet seit Jahren auf einen Teil seines Urlaubs, um im Rahmen von Interplast Deutschland in Myanmar unter unvorstellbaren Bedingungen schwer kranke Kinder und Erwachsene zu operieren.

„Wir sind unendlich froh, dass das jetzt endlich geklappt hat und sind dem Caritas-Krankenhaus St. Josef und allen Unterstützern so dankbar!“, sagt Leo Zitzlsperger. „Das war Rettung in letzter Sekunde. Wir sind glücklich, dass Hasiba die Operation so gut überstanden hat und der nächste Eingriff bereits geplant ist.“