Scharfer Kritiker
„Konservativ? Eine Beleidigung!“ Kardinal Müller wird 75

31.12.2022 | Stand 15.09.2023, 2:18 Uhr
Er polarisiert inner- und außerhalb der Kirche: An Silvester feiert Kardinal Gerhard Ludwig Müller 75. Geburtstag. −Foto: Oliver Weiken/dpa

Gerhard Ludwig Müller polarisiert. Der ehemalige oberste Glaubenshüter des Vatikans ist gegen alle Reformen, die die deutschen Katholiken derzeit anstreben. Auch mit 75 Jahren ist von ihm keine Altersmilde zu erwarten.



Eines will Kardinal Gerhard Ludwig Müller gleich mal klarstellen: „Die Bezeichnung meiner Person als „konservativ“ empfinde ich als eine Beleidigung.“ Dass er in den Medien fast durchgängig so betitelt wird, liegt in seinen Augen nur daran, dass die deutschen Journalisten alle Bischöfe stumpf in „progressiv“ oder „konservativ“ einteilen, ausdifferenziert höchstens noch durch Vorsilben wie „erz-“ oder „ultra-“. Müller ärgert sich darüber. In seiner eigenen Wahrnehmung ist er weder rechts noch links, sondern einfach katholisch. An Silvester (Samstag) wird der Kirchenmann, der fünf Jahre oberster Glaubenshüter des Vatikans war, 75 Jahre alt.

Scharfer Kritiker des Reformprozesses

Man wird ihm entgegenhalten dürfen, dass er nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Kirche polarisiert. Gleichgeschlechtliche Ehe, Priesteramt für Frauen, Aufhebung der verpflichtenden Ehelosigkeit für Priester - für Müller ist das alles ein No-Go.

Dementsprechend ist er ein scharfer Kritiker des derzeitigen Reformprozesses der deutschen Katholiken. Der Vatikan habe die deutschen Bischöfe bei deren Besuch vor einigen Wochen zurecht „auf die völlige Unvereinbarkeit der Dokumente des Synodalen Weges mit der katholischen Glaubenslehre hingewiesen“, sagt Müller der Deutschen Presse-Agentur. „Was hier unter der falschen Flagge „Reform“ in die Kirche eingeschleust werden soll, ist der offene Widerspruch gegen die Offenbarung Gottes.“

Müller: Lehre von Jesus Christus steht unverrückbar fest

Die „Brüder und Schwestern“ in der Heimat sind Müller fremd geworden. Ihr Argument, dass der Kirche ohne Erneuerung der Absturz in die Bedeutungslosigkeit drohe, ist für ihn keines. Denn die Lehre von Jesus Christus steht in seinen Augen unverrückbar fest und muss von der Kirche „unverkürzt und unverfälscht“ bewahrt werden.

„Die Dokumente des Deutsch-Synodalen Weges widerstreiten formell und inhaltlich diametral dem katholischen Glauben und sind in der Fachsprache als häretisch und apostatisch zu bezeichnen.“ Ein Häretiker bestreitet einzelne Glaubenssätze, ein Apostat wendet sich ganz von der Religion ab. Starker Tobak also. Müllers Worte spiegeln die im Vatikan weit verbreitete Befürchtung, die Deutschen könnten es 500 Jahre nach Luther einmal mehr auf eine Kirchenspaltung ankommen lassen.

Will nicht mehr zurück nach Deutschland

Müller fühlt sich heute als Römer und will nicht mehr zurück nach Deutschland. Geboren wurde er 1947 in eine Mainzer Arbeiterfamilie. „Mein Vater hat das ganze Leben bei Opel gearbeitet und damit unsere Familie durchgebracht. Das Schulgeld fürs Gymnasium aufzubringen, war für ihn sehr schwierig.“ Er sei seiner Mutter und seinem Vater sehr dankbar, sagt Müller. Nach dem Abitur studierte er Katholische Theologie und Philosophie und wurde Priester. Sein Ziel war eine wissenschaftliche Laufbahn: 1986 wurde er in München Professor für Dogmatik.

Damals galt er als Schüler des liberalen Vordenkers Karl Lehmann (1936-2018), der sich als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz mit Nachdruck für die kirchliche Schwangerenberatung einsetzte. Bis heute spricht Müller mit großem Respekt über Lehmann. Zum Gesamtbild gehört auch, dass er ein Verteidiger der südamerikanischen Befreiungstheologie war und ist. Sie will die Armen vor Ausbeutung und Entrechtung schützen und geriet zeitweise unter Marxismus-Verdacht. Auch dem deutschen „Arbeiter-Bischof“ Wilhelm von Ketteler, der im 19. Jahrhundert die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) gründete und Reichskanzler Otto von Bismarck entgegentrat, fühlt sich Müller verbunden.

2002 wurde Müller Bischof von Regensburg

2002 wurde Müller Bischof von Regensburg, zehn Jahre später berief ihn Papst Benedikt XVI. zum Präfekten der Glaubenskongregation, deren Aufgabe es ist, über die Reinheit der katholischen Lehre zu wachen. Benedikt hatte der Behörde in seinem vorherigen Leben als Kardinal Joseph Ratzinger selbst mehr als 20 Jahre lang vorgestanden und überließ Müller gleich auch noch seine ehemalige Wohnung mit Blick auf den Petersdom. In seiner neuen Funktion war Müller auch für die Verfolgung von Missbrauchstätern zuständig. Dabei agierte er nach Meinung seiner Kritiker viel zu punktuell. Der Vorwurf gegen ihn ist, dass er immer nur den Einzeltäter sah und nie die kirchlichen Strukturen, die die Verbrechen begünstigten.

Als seine Amtsperiode 2017 auslief, regierte im Kirchenstaat ein neuer Papst - Franziskus - und dieser unterrichtete ihn bei ihrer letzten gemeinsamen Sitzung darüber, dass er seine Dienste nicht mehr benötigte. Diese Behandlung hat Müller tief verletzt und wohl wesentlich dazu beigetragen, dass er danach mehr und mehr ins Lager der konservativen Papstgegner abgedriftet ist - eine Sichtweise, die er selbst vehement bestreitet.

Manifest gegen Corona-Maßnahmen

2020 unterschrieb er gar ein krudes Manifest gegen die Corona-Maßnahmen. Doch dann wiederum überraschte er viele positiv, als er den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen des Ukraine-Kriegs in schärfster Form verurteilte, während sich Papst Franziskus bisher nur sehr vorsichtig geäußert hat. Die „diplomatischen Leisetreter“ des Vatikans seien ihm wenig sympathisch, sagt Müller.

Für das kommende Jahr hat er nach eigenem Bekunden schon viele Einladungen zu Vorträgen, auch Buchveröffentlichungen in mehreren Sprachen stehen an. Man kann sicher sein: Trotz seiner schlohweißen Haare wird der 1,96-Mann auch auf absehbare Zeit nicht durch Altersmilde auffallen.

− dpa