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Noch riecht Jahn-Stadion nach Fußball

Unikum, Heimat, die Fans immer an der Seite: Das Jahnstadion ist Geschichte und lebt doch in der Erinnerung vieler weiter.

30.05.2015 | Stand 12.10.2023, 10:03 Uhr
Angelika Sauerer
Panoramablick: Manche Bewohner des Hochhauses neben dem alten Jahnstadion hatten eine ganz besondere Sicht auf das Spiel. −Foto: Sabine Franzl

Knisternd bläht sich die Tüte, tanzt um den Mittelkreis, erschlafft und füllt sich wieder, dreht sich torkelnd um die eigene Achse, bevor ein neuer Windstoß sie über den Platz treibt wie die dürren Grasballen in einem Western. High Noon war hier schon oft. Jetzt ist das Spiel aus. Der Rasen liegt im Rahmen seiner Linien wie ein grünes Vlies, satt und grün. Kein karierter Rollrasen. Neben den Toren steht das Gras höher, dazwischen Gänseblümchen. Ein gewachsener Ort, dieser Jahnplatz mitten in Regensburg. Nächstes Jahr wäre er 90 Jahre alt geworden.

Das Herz des alten Jahnstadions schlägt auf dem Rasen, sagt Horst Eberl. Ein langjähriger Jahnspieler wie er kennt hier jeden Grashalm. Harry Gfreiter würde am liebsten den Turm, das Wahrzeichen des Stadions, mit nach Hause nehmen und im Garten aufstellen. Ältere Jahn-Recken rührt der Gedanke an die Kabine, die schon immer eine dunkle Höhle war, fast zu Tränen: ein Ort für Kameraden und ein Ort, an dem die Deckung hält. Reinhold Reisinger, der Zeugwart, wird dort nie mehr eine Red-Bull-Dose für einen Spieler hinter die Heizung klemmen. Den dunklen, immer kühlen Raum, in dem sie stundenlang Geld zählte, während draußen die Kugel rollte, vermisst Hildegard Gabler schon jetzt. Wolfgang, ihrem Mann, kommt es fast so vor, als ob er noch einmal aus dem Berufsleben ausscheidet. Er würde gerne weitermachen.

Die Stille wird ein bisschen wehtun

Franz Preuss, der Inbegriff des Jahn-Fans, fragt sich, wo er bald seine Erinnerungen aufhängt. Und wo er seinen Beruhigungsschluck zu sich nimmt. Conny Reiser vom Fanshop wird die Sicht auf die pinkelnden Männer nicht fehlen – nein, wirklich nicht. Aber der kleine Ausschnitt vom Spielfeld, den sie vom Fenster ihrer Hütte aus im Blick hat, der schon. Wolfgang Otto, der Archivar, denkt manchmal schmunzelnd an sein kurioses Tor vor großem Publikum und Günther Radny, der Rockmusiker, an das Bandfoto, das sie Anfang der 80er Jahre im Stadion geschossen haben. Ludwig Wagenpfeil wird an Samstagen in seinem paradiesischen Garten in der Heitzerstraße hinterm Stadion sitzen und nichts von draußen hören. Die Stille wird ihm ein bisschen wehtun. Ab jetzt lebt das Jahnstadion in der Erinnerung weiter. Und Matthias Geißler, einer von den Turmfunkern ganz oben auf der Pressetribüne, nimmt sich vielleicht ein Stück davon mit nach Hause. Irgendetwas aus Holz müsste es sein, denn das atmet Geschichte.

Während an anderen Orten nach und nach aus Fußballstadien Fußballtempel wurden, ist das Jahnstadion ein Unikum: unzeitgemäß, altmodisch und ohne Sponsor im Namen. Wie aus der Zeit gefallen liegt es mitten in der Stadt, auf engem Raum eingepfercht zwischen Brauerei, Wohnhäusern und Kleingartenanlage. Von der Prüfeninger Straße aus fällt es eigentlich erst so richtig auf, seit die Stahlrohrtribüne auf der Nordseite die Häusergiebel überragt. Ansonsten fügen sich die hölzernen, rot-weiß bepinselten Kassenhäuschen, die überschaubare Dimension der alten Jahntribüne und das Fachwerk auf deren Rückseite harmonisch in die wohnliche Umgebung. Nur alles, was später aus Platzmangel dran- und draufgebaut wurde, wirkt fremd. Die Baucontainer für die VIP-Räume und Büros stehen da wie bestellt und nicht abgeholt. Der Fußball auf dem Platz wurde immer schneller und das Geschäft dahinter immer größer und professioneller. Nur das Jahnstadion blieb, wie es war. Der Dinosaurier wird jetzt abgewickelt. Er hat sich längst überlebt.

In Rot-Weiß in der „Hundehütte“

Das letzte Kapitel, vor dem Umzug in die Continental-Arena: An Conny Reiser führt kein Weg vorbei. Ihre Holzhütte steht neben dem Eingang am Parkplatz Lessingstraße. Hier verkauft sie seit zehn Jahren an Spieltagen ehrenamtlich Fanartikel und gibt zurückgelegte Karten aus. Seit sie denken kann, ist sie Fußballfan, und seit über 35 Jahren – so lange lebt die 59-Jährige in Regensburg – ist sie ein Jahn-Fan. Sie trägt eine rote Hose, wie ihre Rothosen, dazu eine weiße Bluse und hochhackige Schuhe. Rot-Weiß steht ihr besonders gut, aber das ist Zufall. Man kann sich schließlich nicht aussuchen, in welchen Farben der Verein spielt, der einem den Kopf verdreht. Bei ihr und dem Jahn war es nämlich Liebe auf den ersten Blick.

Wolfgang Gabler wuchtet einen Karton mit roten Shirts durchs Fenster. Ihn hat es auch erwischt. Der Jahn ist wie ein Virus. Ein positiver Virus, der nicht mehr loslässt, auch wenn die Tabellensituation ins Negative driftet. „Uns ist es fast schon wurscht, in welcher Liga der Jahn spielt“, sagt der 68-jährige pensionierte Elektromeister. Er hilft, wo Not am Mann ist, und deshalb kennt er die Tücken des alten Stadions sehr genau. Er hat eine Träne im Auge, wenn er an den Abschied denkt.

Conny Reiser nickt still. Sie schaut aus dem kleinen Seitenfenster ihrer Hundehütte – so nennt sie das Häuschen – hinüber zum Stadion, sieht links die neue Nordtribüne, die wie ein Riegel vor den denkmalgeschützten Häusern an der Prüfeninger Straße liegt. 2012 war der Ausbau nach dem kurzfristigen Aufstieg in die 2. Bundesliga notwendig geworden. In der Mitte führt eine Treppe über die Ränge aufs Feld, rechts steigt die Haupttribüne hoch. Davor bremst eine wuchtige Mauer den Blick, massiv aus groben Bruchsteinen zusammengefügt, wie das Fundament einer Burg. Aber eine Festung, das war das Jahnstadion nie. Außer vielleicht in dieser einen Hinrunde im Jahr 1968, in der der Jahn nur ein einziges Gegentor kassierte. Der Torhüter zwischen den Jahn-Pfosten hieß damals Gyula Tóth.

Typisch für den Jahn ist das Auf und Ab. FC-Bayern-Fan kann jeder sein. Franz Preuss ist auch einer, zum Ausgleich quasi. Für die Bayern ist man, weil es gute Gründe gibt. Für den Jahn ist man, trotz – er überlegt kurz – trotz allem eigentlich. Preuss sitzt vorm Spiel im Wirtshaus der Jahntribüne und hat feuchte Hände und einen schlechten Magen. Die Aufregung setzt dem Vorsitzenden des dienstältesten Fanclubs des SSV Jahn Regensburg, genannt „Power vom Tower“, immer so zu.

Der Turm, das quadratische Bauwerk mit der Spielstandsanzeige auf der Gegengeraden drüben, ist nicht nur das Wahrzeichen des Stadions, sondern auch der Lieblingsplatz der eingefleischten Fans. Hier machen die Ultras Stimmung, dort ist der Platz der Leute vom Tower. Unter den zwei kleinen Fenstern des Turms sind vor einiger Zeit die Zahlen hängengeblieben, bei den Gästen auf einer halben Null, aus der noch was werden könnte. Über den geschwungenen Lettern „Jahn“ aber steht die Null unverrückbar. Irgendwie symptomatisch für die verkorkste Saison, in der der Verein von der 3. Liga in die Regionalliga Bayern absteigt.

Wohin mit all den Pokalen?

Franz Preuss hockt am Stirnende des Stammtischs, um den Hals hat er den Jahn-Schal geschlungen und in seiner breiten Brust zieht sich was zu. Der Abschied schmerzt. Er legt den Kopf in den Nacken, um unter der breiten Krempe seines grauen Filzhuts zur Wand hochzuschauen. Um ihn herum sind die Vitrinen mit Pokalen gefüllt, Wimpel reihen sich aneinander, dazu gerahmte Fotos, die ganzen Wände der Stadiongaststätte sind damit tapeziert. Wo das alles hin soll, weiß im Moment keiner. Um ein Wirtshaus wie dieses beneideten Fanclubs aus ganz Deutschland die Jahn-Anhänger. Ein Wirtshaus wie dieses gibt es in der neuen Arena nicht.

Schon lange ist es mehr ein Ort der Sehnsucht als der Gegenwart. Zuletzt war die Jahntribüne nur mehr an Spieltagen bewirtschaftet. Die Schweinebraten von früher waren legendär. Horst Eberl (71), langjähriger Jahnspieler und Mannschaftskapitän 1967/68, später auch Präsident und Sportlicher Leiter, schwärmt noch heute davon. Für ihn, der früh seine Eltern verloren hatte, schmeckten Frau Sturms Braten nach Heimat und Familie.

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Der Duft mischte sich mit Bierdunst und Zigarettenrauch, setzte sich in den Fugen der Holzvertäfelung fest, krallte sich in die Strickjoppen und in die Haare der Gäste. Er schlich sich durch die Ritzen der Tür, kroch hinüber in den düsteren, gekachelten Kabinengang und stieg den Spielern nach dem Training oder dem Heimspiel in die Nasen. Und dann saßen da Fußballer, Trainer, Funktionäre und Zuschauer nebeneinander auf harten Holzstühlen und diskutierten das Geschehen auf dem Platz und im Verein. Schicksalsspiele und Schicksalsabende hinterließen ihre Spuren wie Kerben im Holz.

Der Platz der Grantler

Im September 1931 wurde die Tribüne nach nur neun Monaten Bauzeit eingeweiht. Zuvor lag der 1926 angelegte Jahnplatz vor den Toren der Stadt, fast allein auf weiter Flur: Nur die Brauerei Bischofshof stand schon seit 1910 da und ein paar Wohnhäuser gab’s in der Heitzerstraße. Die Ränge thronen in voller Länge auf einem Sockel mit abgerundeten Ecken und kleinen, vergitterten Fenstern, hinter denen die Kabinen und die Stadiongaststätte liegen. Bevor 2010 die Sitzplätze bis nach unten gezogen wurden, konnte man von der Heimkabine und dem Wirtshaus aufs Spielfeld schauen. Davor lag die Vortribüne, der Platz der Grantler, die mit Schirmen und bösen Sprüchen bewaffnet, ihrem Unmut Luft machten. Günther Radny, Bassist der Regensburger Hardrock-Band „The Mystic Eyes“, stand manchmal auch dort. Bis ihm die Schimpferei zu viel wurde. Zuletzt saß er am liebsten auf der Nordtribüne: in Jahn-Shirt, Jeans und mit wilder grauer Mähne. Er deutet links hinüber zum Turm. Vor über 60 Jahren, er war vielleicht fünf, war das der Platz mit seinem Vater. Anstelle des Hochhauses lagen damals dahinter noch die Trainingsplätze. Auf denen hat er gebolzt.

Auf dem staubigen Schotterplatz haben sie alle angefangen, die man heute „Urgesteine“ nennt: Horst Eberl, Hans Meichel und freilich Ludwig, genannt „Lulu“, Wagenpfeil. Als er auf die Welt kam, stand die Tribüne seit einem Jahr. Seine fünf Brüder und er sind direkt hinterm Jahnplatz groß geworden. Barfuß lief er die paar Meter hinüber. In einem Kammerl neben der Kabine fand er abgelegte Fußball-Schleich, zog drei Paar Socken an, bis die Schuhgröße passte, und konnte endlich auch mitspielen – obwohl die Mutter dagegen war. Er schaffte es als Verteidiger in die erste Mannschaft. Dann bremste ihn eine schwere Knieverletzung aus. Lulu Wagenpfeil wechselte zum Handball, hütete danach noch ein paar Mal das Fußballtor und rettete den Verein in späteren Jahren aus so mancher Bredouille. Wagenpfeil ist für den Verein, was der Turm und die Tribüne für den Jahnplatz sind: ein Identifikationspunkt. Umgekehrt ist der Jahnplatz der Ort, an dem er daheim ist, auch wenn er die letzten Male nicht mehr hinüberkonnte.

Gefahr für den Allerwertesten

Als Ludwig Wagenpfeil ein kleiner Bub war, spielte der einzige Internationale der Vereinsgeschichte für den Jahn: Hans Jakob (1908-1994). 38 Einsätze absolvierte der legendäre Jahntorwart für Deutschland. Überliefert ist neben den Höhepunkten seiner Laufbahn auch diese sehr menschliche Geschichte: Während der NS-Zeit begleitete er persönlich das befreundete jüdische Unternehmer-Paar Schwarzhaupt zu ihren Plätzen auf der Jahntribüne, vorbei an so manchen Nazi-Größen, die die Nase rümpften. Auf den hölzernen Bänken der Tribüne und im Angesicht des Spiels waren alle gleich. Und jeder, der nicht aufpasste, und unruhig hin und her rutschte, lief Gefahr, sich einen Schiefer in den Allerwertesten einzuziehen. Als noch alles aus Holz war, durfte geraucht werden. Dann kamen die Sitzschalen aus Plastik - und das Rauchverbot.

Wolfgang Otto, Doktor der Medizin und Archivar des Jahn, verkneift sich seither sein Zigarillo. Viel vom Charme der Jahntribüne sei durch die notwendigen Umbauten der letzten Jahre verloren gegangen, findet er. Trotzdem hat er den Geruch von früher auf ewig in der Nase: eine Mischung aus Zigaretten und Zigarren, ausgeströmt von älteren Herren mit Hut. Drüben auf der Gegengeraden gibt es diesen Duft noch, durchsetzt mit dem Dunst von verschüttetem Bier und Bratwurst. Sogar aufs Spielfeld weht es ihn bisweilen. So riecht der Jahn und der Jahn riecht nach Fußball. Das sagen alle und ergänzen, wenn sie von auswärts sind, meist das Wörtchen „noch“. Wobei es beim Jahn rund um die Klos auch ziemlich stinkt. Aber da muss man durch, vor allem, wenn man vom Wirtshaus aus die rückwärtige Treppe auf die Zuschauertribüne nimmt. Dort sitzen ganz oben Otto senior und junior: Vater Gerd und Sohn Wolfgang haben alles im Blick. Das Wohl und Wehe des Jahn liegt der Familie am Herzen, seit es sie nach dem Krieg nach Regensburg verschlagen hat. Kämpfen, Stellung beziehen, auch wenn man der Underdog ist: Wolfgang Otto trug als Teenager in der Schule stolz den Jahn-Schal, obwohl sein Verein gerade in die Fünftklassigkeit abgerutscht war. Ein Fußballer war er selbst nie. Aber er weiß, wie es sich anfühlt, im Jahnstadion ein Tor zu schießen: 1997 versenkte er bei einem Halbzeit-Spektakel die Kugel nach einem Lupfer im Kasten. Ein Raunen ging durchs Publikum.

Die Kämpfer wurden geliebt

Harry Gfreiter, früher Kultspieler, jetzt Co-Trainer, kennt dieses Raunen und das Trommeln, die Gesänge, den Torschrei wie aus einer Kehle, das abrupte Absterben der Lautstärke bei vertaner Chance. 2000 kam der 1973 geborene Allgäuer nach Stationen in Memmingen, Burghausen und Mannheim nach Regensburg. Er bezog seinen Platz links vom Eingang in der Kabinenecke und auf dem Rasen im linken Mittelfeld. Kämpfer wie ihn lieben die Jahn-Fans. Und ihm gefiel es, das Publikum an seiner Seite zu haben, immer und zwar buchstäblich. Während in fast allen Stadien die heimischen Fans eine Kurve besetzen, waren es im Jahnstadion schon immer die Seiten: auf der einen die etwas kritischen Tribünenfans, auf der anderen die begeisterten Anhänger vom Turm. Kommt man über die Flügel, peitschen sie einen über die ganze Länge nach vorn. Das ist unbeschreiblich, sagt Gfreiter. Der Turm sei die Seele des alten Stadions. Wer weiß, wo sich die Fans in der neuen Arena platzieren werden. Und wer weiß, was aus dem Turm wird.

Um die Kabinen ist es nicht schade, meint man. Im fahlgelben Licht hängt Zeugwart Reinhold Reisinger, ein stiller, freundlicher Mann, sorgfältig die Hosen und Hemden an die Haken, platziert die Stutzen auf den Borden. Manche klemmt der 54-Jährige auch auf die Heizung, denn nicht alle Plätze haben ein Regal. Zuletzt drapiert er die Trikots mit der Rückennummer nach außen über die Kleidungspakete und versorgt den einen oder anderen Spieler mit Extras.

Aus Notausstieg wird Notaufstieg

In der Mitte auf einem Tischchen arrangiert er Getränke, Brezeln und Bananen. Wenn er fertig ist, herrscht eine liebevoll improvisierte Ordnung in einem ansonsten lieblosen Raum. Als Harry Gfreiter beim Jahn angefangen hat, sah es noch in vielen Stadien so aus. Jetzt ist es etwas Besonderes. Nach dem letzten Heimspiel verlässt Gfreiter als Vorletzter die Kabine. Er denkt daran, wie die Fans früher durch die Tür guckten, während sie in der Geschäftsstelle nebenan im Kabinengang für Karten anstanden. Den ganzen Tag begleitet ihn bei jedem Handgriff der Gedanke: Das machst du jetzt hier zum letzten Mal. Er schaut sich um: das kahle Trainerzimmer, die windschiefe Teeküche, die zugebauten Fenster. Über einem davon der Aufkleber „Notausstieg“, auf dem Tobias Schweinsteiger das erste „s“ mit einem „f“ übermalt hat. Ja, gefeiert wurde hier auch, nicht nur mit Wasser.

Ein paar Türen weiter hinten knallt ein Sektkorken. Hildegard Gabler stößt mit den Kassiererinnen und Kassierern an. Die Einnahmen sind gezählt und protokolliert. Die seit 2000 – und damit am längsten von allen festen Mitarbeitern – Beschäftigte nimmt innerlich Abschied von ihrem Lieblingszimmer im alten Stadion. Es grenzt an den Presseraum, wo früher die Kegelbahn war, und ist kalt, dunkel und still. Als sie hier angefangen hat, gab es einen Schreibtisch, eine schwarze Kunstledercouch und eine Plastikpalme im Eck. Eintagsfliegen können wir nicht brauchen, sagte man ihr zum Einstand. Eintagsfliegen wären hier auch unweigerlich eingegangen. Aber auch das kennt man beim Jahn. Hildegard Gabler jedenfalls wird mit ins neue Stadion umziehen. Sie ist wehmütig und freut sich zugleich auf die moderne Arena.

So geht es fast allen. Der Stadionsprecher Christian Sauerer hat 2005 mit zwei Discmans begonnen, der Sound krachte blechern in den Ohren. Als einmal alles ausfiel, moderierte er übers Notmikro. In der früheren Sprecherkabine, einem winzigen, verstaubten Kammerl auf der Vortribüne, zeigt er die alte Anlage. Ein vergilbter Zettel mit der Aufschrift „Während der Durchsagen kein Zutritt“ klebt noch oben an der Tür. Aber das war alles vor seiner Zeit. Auf die neuen Möglichkeiten freut er sich „ganz wahnsinnig“.

Hinter den Turmfunkern auf den Presseplätzen baumelt eine kleine Schiefertafel an der Wand. Mit Kreide ist der letzte Spielstand notiert – 4:0. Die jungen Männer, im Alter zwischen 25 und 30, kommentieren jedes Spiel live im Internet. Sie erzählen, wie sie als Kinder neben dem Opa und dem Dad auf Bierkästen stehend die ersten Spiele besucht haben. Ihre neuen Plätze auf der Pressetribüne werden auf alle Fälle bequemer sein. Aber die Tafel zieht mit um. Unbedingt.

Auch Peter Mauerer kennt seinen Platz. Er muss am neuen Ort montags keinen Müll einsammeln und keine Kabinen mehr fegen: Für die Gebäude ist der Platzwart nicht mehr zuständig. Er widmet sich dann ausschließlich dem Rasen. Das wird nicht leicht, das weiß er schon jetzt. Das Gras hat in der Arena weniger Licht und Luft. So gut wachsen wird es nicht.