„Regensburg liest“
Podiumsdiskussion: „Wo Gewalt beginnt“

Bei „Regensburg liest“ wurde über das Thema Missbrauch diskutiert, begleitend zum Buch der Autorin Ayelet Gundar-Goshen.

30.03.2022 | Stand 15.09.2023, 6:26 Uhr
Lexa Wessel
Bei der Podiumsdiskussion: (v.l.n.r.) Peter Küspert, früherer Richter in Regensburg, Psychologin Daniela Groß, Barbara Arendt, Polizistin des Regensburger Polizeipräsidiums, und Moderatorin Angelika Sauerer. −Foto: Lexa Wessel

Als ein Mann die minderjährige Nuphar beleidigt und ihr nachsetzt, stößt sie einen Schrei der Abscheu aus. Herbeieilende Passanten fragen: „Hat er dir etwas angetan?“ Als sie dies bejaht, wird der Mann des Missbrauchs angeklagt: Das ist ein Auszug aus dem Roman „Lügnerin“ der israelischen Autorin Ayelet Gundar-Goshen. Er steht in diesem Jahr im Mittelpunkt bei „Regensburg liest ein Buch“. Am Dienstag war dazu die Podiumsdiskussion: „Wo Gewalt beginnt“.

Der Anlass: Wenn man über die Vorfälle in dem Buch spreche, wolle man auch die Realität nicht außen vor lassen, hieß es zu Beginn der Diskussion in der Buchhandlung Dombrowsky. Von ihren Erfahrungen mit Missbrauchsopfern berichteten Kriminalhauptkommissarin Barbara Arendt, Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer, Daniela Groß, Psychologin im Team der Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle der Kreisjugendfürsorge, und Peter Küspert, ehemaliger Richter und Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes. Angelika Sauerer, Redakteurin der MZ, moderierte die Diskussion.

„Das ist unser Geheimnis“: Mit solchen Aussagen sorgten vermeintliche Täter vor allem bei Minderjährigen dafür, dass sie später nichts von der Tat erzählen. Man spreche dabei von Täterstrategien, erklärte Groß. Oft seien Täter keine Fremden, sondern aus dem sozialen Nahbereich wie Lehrer, Trainer oder Angehöriger. Deshalb sei Aufklärung bei Kindern und Präventionsmaßnahmen an Schulen wichtig.

Scham und Angst halten viele von Anzeige ab

Nach einem sexuellen Missbrauchsfall in der Kindheit betrage die Verjährungsfrist bis zu 30 Jahren. Scham und Angst würden allerdings viele Menschen lange von einer Anzeige abhalten. Die minuziöse Befragung bei den polizeilichen Ermittlungen könne erneut ein Trauma heraufbeschwören, so Küspert. Doch je länger ein Fall zurückliegt, desto schwieriger seien die Ermittlungen: Die Erinnerungen seien verblasst, die Spurensuche erschwert. Missbrauchte Frauen könnten sich meist anderen Frauen gegenüber leichter öffnen als Männern gegenüber. Allerdings: Frauen gebe es erst seit 1990 bei der Polizei, erklärte Arendt.

Bei Befragungen versuchten Polizisten, empathisch – aber auch neutral zu sein: „Man lernt schnell: Es gibt nichts, das es nicht gibt“, so Arendt. Dass vermeintliche Missbrauchsopfer solch eine Tat vortäuschen, wie in dem Buch „Lügnerin“, komme dabei gar nicht so selten vor. Es habe schon Fälle gegeben, so Arendt, bei denen das Spurenbild und die Geschichte des Opfers zusammenpassten – obgleich alles erfunden war. Manche würden auch etwas dazuerfinden, um sicherzugehen, dass der Täter belangt werde. Der Fall im Buch sei aber in der Realität so nicht denkbar, da man immer umfangreiche Ermittlungen durchführe, die im Buch fehlen.