NS-Zeit
Regensburger Firma betrieb KZ bei Krakau

06.06.2022 | Stand 15.09.2023, 4:57 Uhr
Aus dem jüdischen Ghetto in Krakau machten die Nazis ein Konzentrationslager. Ein Nebenlager davon wurde von einer Firma aus Regensburg betrieben. Das Bild zeigt einen Rabbiner, der das Kaddisch, das Trauergebet, an der Mauer des Ghettos spricht. −Foto: dpa

Wo Oskar Schindler 1200 Juden rettete, hat ein Unternehmen 485 Zwangsarbeiter beschäftigt. Aufgearbeitet ist der Fall nicht.

apier ist geduldig, auch wenn es um das größte Menschheitsverbrechen aller Zeiten geht. Dokumente, die der MZ vorliegen und bislang im Nationalarchiv der USA lagerten, belegen: Ein Regensburger Unternehmen, das seinen Sitz auch nach dem Krieg bis vor wenigen Jahren im Hafen hatte, betrieb in der Nähe des Konzentrationslagers Plaszow bei Krakau ein Zwangsarbeiter-Lager mit jüdischen Häftlingen.

Dort, in Krakau, war auch ein anderer tätig, dessen Weg nach dem Krieg nach Regensburg führte: Der weltberühmte Unternehmer Oskar Schindler rettete 1200 Menschen jüdischen Glaubens das Leben, weil er sie vom NS-Lagerleiter und Schlächter Amon Göth angefordert hatte. Die Dokumente über das von den Regensburgern betriebene Lager werfen die Frage auf: Wieso wurde das NS-Unrecht nur so unzulänglich aufgearbeitet?

„Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß wir seinerzeit (...) mit Genehmigung des Oberscharführers Müller ein Judenlager aufstellten. Der Zweck dieses Lagers war der, daß (sic!) Maschinenpersonal immer in greifbarer Nähe zu haben, damit keine Stockungen eintreten sollten.“ Ein Schreiben, das der MZ vorliegt, trägt das Datum vom 1. Juli 1943. Gesendet wurde es von einem Mitarbeiter einer Regensburger Baufirma von Krakau aus an das Büro zuhause. Der Grund: Das Lager war abgebrannt. Man wollte den Schaden der Versicherung melden.

Keine Spur mehr von dem Lager in Plaszow

Heute gibt es von dem einstigen Lager in Plaszow bei Krakau in Polen keine Spur mehr. Der Standort ist aber bekannt und belegt: Er befand sich nur zwei Kilometer entfernt vom Stammlager Plaszow bei Krakau. Dieses Konzentrationslager aber erlangte weltweite Berühmtheit durch den Film Schindlers Liste.

Das Lager hatte einen Namen: Kraków-Prokocim, erstmals erwähnt wurde es laut einer Datenbank im Januar 1941. Letztmals erwähnt wurde es im November 1943. Die Unterlagen aus dem US-Archiv lassen keine Rückschlüsse zu, ob Menschen ermordet wurden. Dokumentiert ist nur, dass die Regensburger Firma einen Strafbescheid erhalten hatte, weil sie den polnischen Zwangsarbeitern einen zu hohen Lohn ausbezahlt hatte. Zudem forderten die Regensburger bei der SS eine bessere Kleidung für die jüdischen Zwangsarbeiter.

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Die Unterlagen aus der Zeit es Dritten Reichs sprechen zunächst dafür, dass sich das Regensburger Unternehmen um seine Zwangsarbeiter und Juden kümmerte. Sie forderten Arbeitskleidung an, wohl auch, um die Arbeitskraft der Geschundenen zu erhalten. Doch eine Zeugenaussage vom 9. Juni 1945 wirft ein schlimmes Licht auf die Zustände in dem Lager.. Der Lagerleiter Franz Josef Müller wurde 1961 wegen 22 Fällen des Mordes, 58 Fällen des Totschlags zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Unter anderem tötete er eine Jüdin namens Paula mit einem Genickschuss, weil sie ein Verhältnis mit dem Lager-Stellvertreter gehabt haben soll. Müllers Verurteilung war allerdings die einzige Form der Aufarbeitung dessen, was in dem Lager unter der Ägide der Regensburger Firma geschah. Der Zeuge schilderte dies: „Ich habe gesehen, wie der Lagerkommandant Müller zur Baustelle kam, veranlasst vom Chef der Bauverwaltung K., und 30 Menschen erschoss – darunter Frauen und Kinder.“ Der Zeuge beschrieb die Mitarbeiter der Firma und vermerkte für die Alliierten, „die meisten von ihnen leben in Regensburg oder Umgebung“. Belege dafür, dass man deren Verwicklung in Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Krieg geahndet haben könnte, gibt es nicht.

Dass das Regensburger Unternehmen eine derart große Zahl an jüdischen Gefangenen zugewiesen bekamen, hält Mark Spoerer, Historiker und Experte über das Dritte Reich an der Uni Regensburg, für nachvollziehbar: „Wer im Generalgouvernement in dringenden Bauvorhaben tätig war oder selbst so wenig kriegswichtige Dinge hergestellt hat wie Schindler, konnte Insassen jüdischer Arbeiterkontingente bekommen“, so der Professor. „Das waren in der Regel arbeitsfähige Männer aus bereits geräumten Ghettos, die entweder direkt durch unmenschliche Arbeitsbedingungen ermordet oder danach in Vernichtungslager kommen sollten.“

Behandelt wurden diese Gefangenen von der SS „absolut menschenunwürdig“, so Spoerer, auch manche Unternehmen behandelten Juden und Zwangsarbeiter brutal. „Es gab aber auch positive Gegenbeispiele wie Oskar Schindler oder die Beskiden-Öl von Berthold Beitz.“

KZ-Häftling berichtete über Tötungen

Eine Zeugenaussage, die von den Alliierten nach dem Krieg im Konzentrationslager Buchenwald am 9. Juni 1945 dokumentiert wurde, besagt aber genau eine solche Brutalität: „Der (...) ehemalige Häftling berichtet über Tötung durch Erschießen von Frauen und Kindern bei dem Bau-Werk. Er erwähnt und beschreibt die Leiter des Bau-Werks und ihr Verhalten den Häftlingen gegenüber.“ Gemeint ist laut dem Dokument das Lager der Regensburger Firma.

Geahndet wurde dies nach dem Krieg jedoch nicht. Die Baufirma existierte noch viele Jahrzehnte weiter im Regensburger Hafen, heute gibt es sie nicht mehr. Einen Strafprozess gegen Verantwortliche gab es nach den vorliegenden Akten nicht. Heute erinnert kaum mehr etwas daran, dass ein solches Außenlager damals in Plazsow bestand. Ist das in den meisten Fällen so? „Leider ja“, sagt Spoerer. Aufgearbeitet wurde die denkwürdige Geschichte deutscher Unternehmen – und auch der Regensburger Firma aus dem Hafen nicht.

Schindlers Weg führte zusammen mit seiner Ehefrau Emilie als Kriegsflüchtling nach Regensburg. Zwischen November 1945 und September 1946 lebten sie im Goliath-Haus. An beide wird in der Allee der Gerechten in Yad Vashem, Israels Gedenkort an den Holocaust, erinnert. Begraben ist Schindler auf dem Ölberg in Jerusalem.