Regensburg
Sie wollen ein erfülltes Leben für Mito

Die Maschauers aus Regensburg haben ein 15 Monate altes Kind mit Down-Syndrom. Vor allem die Gesellschaft fordert sie heraus.

27.10.2021 | Stand 15.09.2023, 23:42 Uhr
Isabelle Lemberger
Sebastian und Melanie Maschauer aus Regensburg wünschen sich, dass das Down-Syndrom kein Tabuthema mehr ist. Grund dafür ist ihr 15 Monate alter Sohn Mito. −Foto: Tim Hanke-Zilles

Mitleid ist das, was Eltern von einem Kind mit Down-Syndrom nicht möchten. „Mitleid schmerzt und lässt uns leiden. Mitleid zeigt, dass unser Kind für andere unerträglich ist. Aber wir leiden nicht“, sagt Melanie Maschauer aus Regensburg. Ihr Mann Sebastian nickt dazu. Die Maschauers erzählen von ihrem Leben mit einem Kind, das das Down-Syndrom hat – und den gesellschaftlichen Umständen, die sie immer wieder herausfordern.

Ungleichbehandlung verletzt die Eltern

Kinder mit Down-Syndrom seien nicht nur „toll, fröhlich und dankbar“, wie es viele immer zu Maschauers sagen, sondern Individuen, so wie alle anderen Kinder auch. „Wenn ich so etwas höre, dann merke ich richtig, dass mich das verletzt. Ich denke, das ist deshalb so, weil es mein Kind auf das Down-Syndrom reduziert.“ Diese ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, auch bekannt als Ableismus, sei zwar gut gemeint, aber „trotzdem falsch“, stellt Maschauer klar. Die Gesellschaft kategorisiere Kinder so in eine bestimmte Schublade, „obwohl sie mein Kind gar nicht kennen können“. Auch Kinder mit Down-Syndrom durchlaufen die typischen Entwicklungsschritte. „Nur eben etwas langsamer.“ Ein Beispiel: Es gibt Kinder mit Down-Syndrom, die bereits mit 1,5 Jahren laufen können. Andere lernen es aufgrund der ausgeprägteren Muskelhypotonie vielleicht erst mit drei Jahren. „Die Entwicklung ist ganz individuell und hängt von vielen Faktoren ab, so wie bei Kindern ohne Down-Syndrom auch.“

Ein Video zum Thema sehen Sie hier:

Mito ist gerne auf Entdeckungstour, hält wenig still und ist viel unterwegs. Es dauert keine 30 Sekunden, da schiebt er sich schon von der Couch, hinunter auf den Boden. Seine neueste Entdeckung: ein Hocker aus Bambus. Mit dem macht der Kleinste der Maschauers aktuell das Wohnzimmer unsicher – wenn er nicht gerade durch die Gegend krabbelt.

Dass die Diagnose Trisomie 21 auch für die Maschauers ein Schock war, geben sie offen zu. Kinder- und Jugendärzte schätzen laut dem Gemeinsamen Bundesausschuss, dass bei 650 Geburten ein Kind mit Trisomie 21 auf die Welt kommt. „Wir hatten Angst vor dem, was da auf uns zukommt. Angst davor, ein Kind mit Behinderung großzuziehen und dem nicht gewachsen zu sein“, sagt sie. „Aber diese Angst ist jetzt vorbei. Mito hat sie uns genommen.“ Grund dafür war vor allem das Bild vom Down-Syndrom, das die Familie im Kopf hatte. Das Bild, das man im Internet und in medizinischen Artikeln oft findet. „Ich habe viel gegoogelt, das Internet quasi tot gegoogelt“, sagt die 38-Jährige. Aber in der Realität sei alles ganz anders als beschrieben.

Down-Syndrom als Tabuthema in Statistiken

Werdende Mütter können ihr Kind bereits in der Schwangerschaft auf bestimmte Erbkrankheiten testen lassen. Darunter ist auch Trisomie 21. Beim Down-Syndrom haben Menschen in jeder Zelle ein Chromosom mehr als andere. Das Chromosom 21 ist dreifach vorhanden, daher die Bezeichnung Trisomie 21. Folgen sind unter anderem körperliche Auffälligkeiten und eine verlangsamte motorische, geistige und sprachliche Entwicklung. Die Ausprägungen sind aber extrem unterschiedlich.

Auch statistische Daten zu Schwangerschaftsabbrüchen, die durchgeführt werden, weil das Ungeborene das Down-Syndrom hat, sind nirgends auffindbar. „Das Down-Syndrom ist ein Tabuthema und das merkt man auch“, erklärt Wolf-Dietrich Trenner, Vorsitzender des Arbeitskreises Down-Syndrom. Alles, was man in Deutschland zum Down-Syndrom findet, beruht also auf Schätzungen. Auch die Daten zu den Schwangerschaftsabbrüchen basieren ebenfalls auf Expertenschätzungen. Und die sind dunkel: Demnach lassen etwa neun von zehn Schwangeren hierzulande bei der Trisomie 21 einen Abbruch vornehmen. Dieser ist nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz auch nach der 12. Woche möglich. Allerdings „sind Schwangerschaftsabbrüche allein weil das Kind behindert ist“ verboten, teilt der Gemeinsame Bundesausschuss auf Nachfrage mit. „Erlaubt sind Schwangerschaftsabbrüche jedoch, um eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen oder seelischen Gesundheit der schwangeren Frau zu verhindern.“

Abtreibung bis kurz vor Geburt möglich

Der Schwangerschaftsabbruch verläuft je nach Schwangerschaftswoche unterschiedlich. Zwischen der 14. und 20. Woche erfolgt laut dem Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) eine ärztlich eingeleitete Fehlgeburt und „das Kind verstirbt im Geburtsverlauf“. Ist das Ungeborene älter als 20 Wochen, wird ein sogenannter Fetozid durchgeführt. Das heißt, dass in das Herz oder die Nabelschnur des Kindes eine Kaliumchloridlösung gespritzt wird, die zu einem sofortigen Herzstillstand und somit zum Tod des Kindes führt. „Daraufhin wird die Geburt im Krankenhaus eingeleitet und die Schwangere erlebt eine sogenannte stille Geburt“, erklärt Dr. med. Thomas von Ostrowski vom BVNP.

Kosten:Ergebnis:Argument:Broschüre:
Die sogenannten nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) stehen Frauen schon seit 2012 zur Verfügung, allerdings müssen sie bislang in der Regel selbst bezahlt werden. Bei dem Test wird eine Blutprobe der werdenden Mutter auf bestimmte Erbgutfehler des Fötus untersucht: etwa auf eine Trisomie 21.Ist das Testergebnis negativ, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass das Ungeborene Trisomie 21 hat. Ist es hingegen auffällig, muss ein weiterer Eingriff folgen, um eine sichere Diagnose zu stellen - etwa eine Fruchtwasseruntersuchung, die mit einem geringen Risiko für eine Fehlgeburt einhergeht.Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein Gremium, das Ärzte, Krankenkassen und Kliniken zusammenbringt, hat bereits 2019 grundsätzlich entschieden, dass der NIPT Kassenleistung werden soll. Ein Argument dafür: Der Bluttest sei im Gegensatz zu älteren Methoden ohne Risiko für Mutter und Kind.Für künftig mögliche Bluttests bei Schwangeren auf ein Down-Syndrom des Kindes auf Kassenkosten gibt es nun auch eine verpflichtende Informationsbroschüre. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken beschloss vor Kurzem eine „Versicherteninformation“. (dpa)

Inzwischen kann man auf viele Arten herausfinden, ob sein Kind das Down-Syndrom hat. Neben dem sogenannten nicht-invasiven Pränataltest (NIPT), auch als Bluttest bekannt, kann eine Trisomie auch mittels einer Fruchtwasseruntersuchung festgestellt werden. Erste Hinweise können Mediziner außerdem mittels einer Nackenfaltenmessung des Fötus via Ultraschall erhalten. Familie Maschauer ließ lediglich die Nackenfaltenmessung machen.

„Warum? Weil man das wohl macht und einem gleich zu Beginn der Schwangerschaft nahe gelegt wird. Wir waren naiv und dachten überhaupt nicht darüber nach.“ Das Ergebnis des Tests zeigte keine Auffälligkeiten. „Das Erschreckende im Nachhinein ist, dass es keinerlei Aufklärung im Vorfeld gab. Was bedeuten die Wahrscheinlichkeiten, die der Test herausfindet genau? Vor welcher Entscheidung stehen Eltern im Zweifel? Mir wäre das Alles gar nicht klar gewesen“, erklärt die 38-Jährige.

Dass die nicht-invasiven Pränataltests jetzt in begründeten Einzelfällen als Kassenleistung beschlossen worden sind, findet der Vorsitzende des Arbeitskreises Down-Syndrom nicht gut. „Dieser Test stellt keine Behandlung dar, sondern stellt lediglich Informationen zur Verfügung“, sagt Trenner. Bei einigen Interessensgruppen geht auch die Angst um, dass eine solche Suche nach Ungeborenen mit Behinderung in vielen Fällen eine Abtreibung nach sich ziehen könnte.

Mehr Bewusstsein für diskriminierende Sprache

Die Gesamtzahl der Schwangerschaftsabbrüche ist aber insgesamt rückläufig. Aktuelle Zahlen kommen vom Statistischen Bundesamt: Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist demnach im zweiten Quartal dieses Jahres weiter gesunken. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes verringerte sie sich bundesweit, gemessen an den ersten drei Monaten, von 24.600 auf 22.900 – das ist ein neuerliches Minus von 6,9 Prozent. Und im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum beträgt der Rückgang sogar 8,5 Prozent.

Die Maschauers wünschen sich indes, dass sich die Gesellschaft selbst mehr hinterfragen würde. Dabei bezieht sich das Paar vor allem auf die Sprache. „Wir sind keine besonderen Eltern mit einem besonderen Kind. Wir haben ein Kind mit Behinderung“, sagt die 38-Jährige. Und das Wort „behindert“ wird im Alltag leider nur allzu oft als Schimpfwort benutzt. „Viele denken nicht darüber nach, dass das Menschen mit Behinderung zutiefst abwertet.“ Das sei der Familie aber auch erst wirklich bewusst geworden, seitdem sie selbst ein Kind mit Behinderung haben. Für die Zukunft wünschen sich die Maschauers nur eines: Eine erfüllte Kindheit für Mito. Und vor allem, dass er glücklich ist. Aktuell meistert der 15 Monate alte Mito übrigens seine Kita-Eingewöhnung – die Suche nach einer Kita war für die Maschauers allerdings eine ungeahnte Herausforderung.