Geschichte
Der leutselige Aristokrat

Jeden Tag verließ Fürst Albert von Thurn und Taxis sein Schloss, um sich seinen Regensburgern zu zeigen – mit Stock und Hut.

10.08.2015 | Stand 16.09.2023, 7:02 Uhr
Helmut Wanner
„Unser Fürst“¨… der vollendete Grandseigneur alten Stils zeigt sich vor der Kulisse des Parkhotels Maximilian in seiner Ausgehkleidung. −Foto: Sammlung Werner Steib

„Schau, da kommt unser Fürst!“ Die kleinen Mädchen mit den Sommerhütchen drehen sich um nach dem alten Herrn mit Hut und karierter Fliege: Albert von Thurn und Taxis geht vor dem Parkhotel Maximilian Richtung Ernst-Reuter-Platz. Besser: Er schreitet. Zeitgenossen beschrieben seinen Gang so: In der stolzen Gangart eines chevaulegerschen Offiziers – Hohlkreuz, abgezirkelter Schritt. Wie man sehen kann, setzt er die Schuhspitzen seiner hochglanzpolierten Budapester wie ein Balletttänzer. Er hatte für sein elegantes Gangwerk extra Balettstunden genommen, wie man weiß. Seine Rechte stützt sich auf einen schwarzen Stock mit Silberknauf, die Linke hält die Zeitung vom Tage. Nicht in der Hand – in weißen Glacéhandschuhen.

Äpfel als Berührungs-Reliquien

„Unser Fürst“ Albert von Thurn und Taxis, vollendeter Grandseigneur alten Stils, ist präsent: In den Erinnerungen der alteingesessenen Regensburger. Fürst Alberts tägliche Spaziergänge waren legendär: Väter und Großmütter erzählten sich in herrlicher Redundanz am sonntäglichen Teetisch immer wieder dieselben Details. Sie kosteten ihre Erinnerungen aus wie Baisers. Am besten im Gedächtnis haftete die Geschichte der Frau Fröhlich, der einmal vor dem Kolonialgeschäft Friedrich Pflaum die Papiertüten riss. Die Äpfel rollten auf die Ludwigstraße. Da hat ihr Fürst Albert beim Einsammeln geholfen. Die von Fürstenhand berührten Äpfel wurden von der Frau Fröhlich auf der Kredenz wie Berührungs-Reliquien verehrt, auch als sie schon längst verschrumpelt waren.

Waren sie nun rot oder schwarz: Bei allen Regensburgern war er „unser Fürst“: Albert von Thurn und Taxis, geboren am 1. Mai 1867 in der Residenz am Bismarckplatz und gestorben am 22. Januar 1952 im Schloss. „Unser Fürst“ war er wegen seiner Haltung, seiner Volksnähe und seiner Wohltätigkeit, die in der Notstandsküche überdauerte. Eine komplette Generation hatte sich Fürst Albert zum Vorbild genommen hatten. Sie ging selbst auf den Jahnplatz mit Hut.

Baumanns Tonband-Erinnerungen

Der Regensburger Antiquitätenhändler Dr. Wolfgang Baumann, geboren 1958, ist so ein alteingesessener Regensburger. Familiengeschichtlich bedingt hat er einen verklärten Blick aufs Fürstenhaus. Baumann hat die Erinnerungen festgehalten. Im ersten Stock seines Hauses in der Kramgasse legt er das Tonband ein. Sobald er auf den Startknopf drückt, wird sein verstorbener Onkel Richard lebendig. Der Diplomingenieur vom städtischen Hochbauamt spricht bedächtig über die Zeit, als er noch „a kloana Bua“ war und der Fürst regelmäßig zu seinem Vater in die Obermünsterstraße 12 kam. Im Hintergrund hallen Stimmen, klingen die Gläser.

Als Student der Kunstgeschichte hat Dr. Baumann seinen Onkel zusammen mit der Volkskundlerin Elisabeth Fendl im Bürgersaal des Bischofshofs interviewt. 12. Juni 1990 steht auf dem Band. „Ich bin ihm nicht auf Schritt und Tritt gefolgt“, aber bei seinem Ausgang hat der Lakai „a Mordsverbeugung gmacht“, erinnert sich Richard Baumann. Über den Emmeramsplatz schlenderte der Fürst Richtung Obere Bachgasse. Er ging am Zachariashaus vorbei und dann gleich rechts runter Richtung Obermünsterstraße. Das „Hotel Grüner Kranz“ galt als erstklassig. Richard Baumann nennt dann Geschäftsnamen, die heute keiner mehr kennt: Mandl, Petermichl, Schunk, Koller. „Die Straß‘ hat schwer verloren“, sagt Richard Baumann. Damals hatten hier mehrere Antiquare, ein bedeutender Porzellanmaler, Tapezierer, Buchbinder und Devotionalienhändler ihre Geschäftsadresse. Der Fürst hat überall in die Auslagen geschaut. Er kam jeden Tag zur selben Zeit, außer samstags oder wenn er krank war. Ludwig Baumann, der das Antiquitätengeschäft 1909 in der Obermünsterstraße 12 gründete, wusste genau, dass der Fürst immer auf der rechten Straßenseite gegangen ist. Kurz vor 12 Uhr war seine Zeit. Deswegen hat er in das Schaufenster gegenüber geschaut, vom Möbel Welk, weil sich da der Fürst drin gespiegelt hat. Da konnte er sozusagen ums Eck schauen. Dann hat Vater gesagt: „Jetzt miassts Obacht geb’n, jetzt kommt der Durchlaucht.“

Immer stand eine frische Rose in der Vase und schmückte das Fürstenporträt in der Auslage. Fürst Albert muss sich gewundert haben, dass ihm Baumann immer zum richtigen Zeitpunkt die Tür aufgerissen hat und der Verkaufsraum dann immer von Kundschaft leer war.

„Was haben Sie Schönes, Herr Baumann?“, hat Fürst Albert gefragt. Dann hat er sich umgeschaut. Hat den Tabernakel-Sekretär aufgemacht, hat hinten reingeschaut in die Werkstätte, wo Richard Baumann gespielt hat. „Ach, der Kleine ist auch da!“ Wenn er was gekauft hat, sagte er: „Also bis um 1 Uhr im Schloss.“ Alles ging auf Rechnung. Der Fürst fasste kein Geld an. Bevor Fürst Albert seinen Rundgang beendet hatte, war der Flacon, der Stuhl oder was immer er schön fand, schon vorne am Emmeramsplatz.

Die Ehrerbietung gegenüber dem Fürstenhaus war beispiellos. Wenn jemand im Schloss Geburtstag oder Namenstag hatte, wurde zusätzlich die Fahne vor dem Geschäft gehisst. Dann wurden auch die Putten in die Auslage gehängt. Himmlische Wesen trugen das fürstliche Wappen. Ludwig Baumann hat sie schnitzen lassen. Der Antiquitätenhändler war da beileibe nicht allein. Die meisten Geschäfte entlang der Route des Fürsten-Spaziergangs, Hoflieferanten oder nicht, hatten ihre Auslagen geschmückt. „Fürst Albert hat schon drauf g’schaut, er nahm es wohlwollend zur Kenntnis.“

Man kann sich ja heute kaum vorstellen, welchen Glanz das Fürstenhaus auf die altersgrauen Mauern der Ratisbona geworfen hat. Regensburg hatte ja nichts, außer der Zuckerfabrik und dem Fürstenhaus. 1888 hatte Albert die Regentschaft übernommen. Als er 1890 in Budapest die kaiserliche Hoheit, Erzherzogin Margarete, heiratete, zelebrierte der Fürstprimas von Ungarn mit vier Bischöfen die Messe. Bis 1900 behielt der Fürst Funktionen der Reichsunmittelbarkeit. Als oberster Richter saß er im fürstlichen Zivilgericht über die Erbschaften, Nachlässe seiner Bediensteten zu Gericht. Fürst Albert und Fürstin Margarete brachten den Hofstaat zum Funkeln. Am Emmeramsplatz herrschte das spanische Hofzeremoniell. Und dennoch blieb Albert demütig genug, um sich täglich zu Fuß zu zeigen. Am Haidplatz, heißt es, trat ein Lehrmädchen vors Geschäft, um den Fürsten abzupassen. Sie machte einen Knicks. Der sagte: „Guten Tag, gnädiges Fräulein.“ Davon zehrte sie ein Leben lang.