Schießsport
Weiter reizvoll für Sandra Reitz

Auch nach der Absage 2020, die Druck von ihr genommen hat, bleibt Olympia in Tokio ein Ziel der Sportschützin.

01.04.2020 | Stand 16.09.2023, 5:02 Uhr
Tibor Meingast

Sandra Reitz hat die Olympischen Spiele weiterhin im Visier. Foto: Christian Brüssel

Natürlich ist noch vieles ungeklärt um die Olympischen Spiele in Tokio im nächsten Jahr, doch sie bleiben das Ziel der Regensburger Sportschützin Sandra Reitz. „Die Chance auf Tokio ist da“, sagt die 35 Jahre alte Soldatin, die Ehefrau des Goldmedaillengewinners von Rio, Christian Reitz.

Gerade weiß sie nicht, wann sie wegen der Coronakrise wieder normal wird üben können, und meint: „Die Absage ist eine große Erleichterung für mich. Jetzt ist der Druck weg, zu überlegen, wo wir trainieren können und ob wir dafür vielleicht eine Ausnahmegenehmigung kriegen.“ Sie hat zwar einen Schlüssel für ihre Trainingsschießstände im abgelegenen Klubheim der Hauptschützengesellschaft Regensburg im Karether Weg, doch darf wegen des allgemeinen Sportstättenverbotes nicht hinein.

Seit 2019 im Top-Team

Auch wenn alle Termine für Qualifikationswettkämpfe gerade auf Eis liegen, haben Olympia und besonders ein gemütliches Zimmer in einem Olympischen Dorf für Sandra Reitz weiterhin eine große Faszination. Die Schützin, die wegen guter Ergebnisse 2019 zum deutschen Topteam zählt, und ihre Freundin Julia Hochmuth aus Ludwigsburg dürfen auf einen Tokio-Start als Sportlerinnen hoffen, nachdem beide die letzten Spiele 2016 als Touristinnen in Rio de Janeiro erlebt haben – allerdings in einer völlig chaotischen Wohnsituation. „Das war schon eine Grenzerfahrung,“ findet Julia Hochmuth, und Sandra Reitz berichtet: „Wir waren nervlich echt am Ende und an unseren Grenzen. Gut, dass wir zu zweit waren.“

Extrem eng nämlich war es zehn Kilometer entfernt vom Zuckerhut, kalt und nass; sie waren von der Welt abgeschnitten und auch sonst gab es diverse Probleme. Nachdem sich die beiden damals nicht für Rio qualifiziert hatten, buchten Reitz und Hochmuth spontan eine Reise nach Brasilien, auch um ihre damaligen Freunde zu unterstützen: Sandra ihren jetzigen Mann und Julia den Italiener Riccardo Mazzetti, Sechster im Finale mit der Schnellfeuerpistole – die beiden haben sich allerdings inzwischen getrennt.

Soldatin Sandra Reitz kennt bei der Bundeswehr Kollegen, die schon länger Olympische Spiele besuchen, und fragte diese „aus Jux und Dollerei: Habt ihr noch Platz für zwei Mädels?“ Es gab diesen Platz in einem angemieteten einfachen Haus auf einer Insel in Rios Stadtteil Barra – erreichbar mit einem winzigen Taxiboot, das an der Avenida das Américas neben einer Tankstelle ablegt und umgerechnet einen Euro kostet. Schon das war mitunter ein kleines Abenteuer für die beiden jungen Frauen im Winter auf der Südhalbkugel der Erde, wo es schon gegen 18 Uhr dunkel ist. Die Unterkunft selbst war spartanisch. „Wir bekamen einen kleinen Raum, eine Abstellkammer wohl, mit Europaletten und Matratzen drauf,“ erzählt Sandra Reitz. „Das Haus war zugig, das Wasser zum Duschen kalt und wir haben die ganze Woche gefroren“, ergänzt Hochmuth. „Aber wir waren dankbar, dass wir überhaupt eine Schlafgelegenheit hatten.“

Der Kontakt zu ihren Freunden war kaum möglich, da es kein funktionierendes WLAN gab, außer im nahen Einkaufszentrum. Und bevor sie die entsprechenden Berechtigungen hatten, war auch die Benutzung des Nahverkehrs zu den Sportstätten schwierig. Die geplante Unterstützung ihrer Freunde vor dem wichtigsten Wettkampf der Karriere gelang ihnen deshalb nur eingeschränkt. „Auch emotional war es anstrengend“, sagt Reitz.

Die Regensburgerin besuchte nach dem Goldmedaillengewinn einmal mit Christian Reitz das Olympische Dorf – Julia Hochmuth nicht, weil sie aus Rio sofort abreiste. „Aber ich kenne das ja von drei Universiaden, an denen ich teilgenommen habe“, berichtet die Deutsche Mannschaftmeisterin von 2019 mit der SGI Ludwigsburg. „Man hat alles an einem Ort: Kraftraum, Restaurants und die Abfahrt der Busse zu den Wettkampfstätten. Man muss sich um nichts kümmern.“ Und man trifft „Sportler, die man nur aus dem Fernsehen kennt, und denkt: Huch, der geht genauso essen wie ich.“

Vielleicht kein olympisches Dorf

Sandra Reitz, gemeinsam mit Mann Christian Silbermedaillengewinnerin im Mixed-Wettbewerb mit der Luftpistole beim Weltcup vor zwei Jahren in Südkorea, bringt es auf den Punkt: „Wenn man ein akkreditierter Athlet ist, kriegt man nicht mit, wie schwierig es bei solch einem Ereignis ohne Akkreditierung ist.“ Ein wenig traurig ist sie jetzt, dass es 2021 in Tokio vielleicht kein klassisches Olympisches Dorf geben wird. Die dafür vorgesehenen Immobilien sind eigentlich ab Herbst 2020 verkauft.

Sandra Reitz will sich unbedingt als Sportlerin für Tokio qualifizieren, auch wenn das im Moment weit weg scheint. Die Qualifikationskriterien des internationalen Verbandes werden wohl neu definiert, nachdem der dafür vorgesehene Weltcup in Indien und ein Turnier in Polen abgesagt wurden. „Meine Chance wird sich dadurch nicht ändern“, vermutet Sandra Reitz, der die Erinnerung an die kalten Tage nahe der Copacabana nach wie vor präsent ist: „Wir erzählen uns das gerne und lachen im Nachhinein darüber. Aber vor Ort war es damals echt anstrengend.“ Es sei „ein Abenteuerurlaub“ gewesen, fügt sie noch an, und Julia Hochmuth urteilt: „Sandra und mich hat es schon auch zusammengeschweißt, das miteinander durchzuziehen.“