Kabinett
Als „Mama Ministerin“ ist sie Pionierin

Gesundheitsministerin Melanie Huml gewöhnt das Kabinett nicht nur an Stillpausen. Es brauche frischen Wind, sagt ihr Ehemann.

19.11.2015 | Stand 16.09.2023, 7:00 Uhr
Melanie Huml ist als Mutter mit Kleinkind eine Pionierin im bayerischen Kabinett. Der kleine Jeremia und sein Bruder Emanuel (3) sind gut behütet – von ihnen gibt es deshalb keine offiziellen Bilder, auf denen ihre Gesichter zu erkennen sind. −Foto: Schröpf

Der kleine Jeremia schnarcht im Maxicosi vor sich hin. Zwischen kurzen Pausen ist leises Rasseln zu hören. „Tiefenentspannt“, sagt Huml über den drei Monate alten Sohn und ihre Stimme wird weich. Als der Kleine noch in ihrem Bauch wuchs, hat sie Termine wie die Gesundheitsministerkonferenz der Länder und die Regierungserklärung im Landtag absolviert und sich selbst nie aus der Ruhe bringen lassen. „Ich bin sowieso nicht leicht zu stressen.“ Auf den Kleinen hat das abgefärbt.

Huml und ihr Junge haben Landesgeschichte geschrieben. Nie zuvor hat eine bayerische Ministerin während ihrer Amtszeit ein Kind geboren. Was die Frage aufwirft, warum es so lange gedauert hat, bis der Fall eintritt, der im Ministergesetz bis heute nicht vorgesehen ist. Mutterschutz und andere Errungenschaften gibt es offiziell deshalb nicht – man orientiert sich mehr oder weniger an dem, was sonst üblich ist. Auch im Bundeskabinett sind Vorbilder rar. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) brachte 2011 als erste Bundesministerin eine Tochter zur Welt. Amtsnachfolgerin Schwesig erwartet im März Nachwuchs.

Nachahmereffekte im Ministerium

Huml sieht ihre Mutterrolle als Normalfall. „Mir ist es wichtig, zu sagen: Ich bin nicht die einzige Frau, die berufstätig ist und Kinder hat“, sagt sie. Der Sonderstatus im Kabinett missfällt ihr trotzdem nicht. Sie hofft aber, dass sie nicht lange ein Einzelfall bleibt. „Ich würde mir wünschen, dass es noch viele Nachfolgerinnen gibt, die es ähnlich machen.“ In ihrem Ministerium registriert sie schon Nachahmerffekte. „Wir haben jetzt interessanterweise etliche Frauen bei uns im Haus, die schwanger sind.“ Neulich wurde sie im Aufzug von einer Mitarbeiterin angesprochen. „Sie hat gesagt: Sie haben es uns ja vorgemacht.“

Den Kinderwunsch ihrem Beruf zu opfern war für Huml selbst nie eine Option. „Mein Mann und ich wollten Kinder. Und dann sollte man sich davon auch nicht abhalten lassen.“ Schon nach der Geburt ihres ersten Sohnes Emanuel vor drei Jahren hatte sie im Kabinett Neuland erobert. Damals war sie noch Staatssekretärin im Umweltministerium. Inzwischen sind die Ministerkollegen daran gewöhnt, dass sie sich für Stillpausen oder zum Abpumpen der Muttermilch kurz zurückzieht. Den schwarzen Stoffbeutel mit den Utensilien hat sie immer dabei. Vor dem Wechsel in die Politik hatte Huml als Ärztin im Krankenhaus gearbeitet und Müttern immer zum Stillen geraten. „Warum soll ich das meinem Kind vorenthalten, wo doch in der Muttermilch so viele Abwehrstoffe drin sind?“ Einmal unterbrach sie dafür eine Kabinettssitzung. Ehemann Markus hatte spontan in der Staatskanzlei angeläutet, als der Sohn beim Spaziergang durch den Hofgarten hungrig wurde. „Man kann nicht immer von Vereinbarkeit von Beruf und Familie reden und dann hapert es daran, dass das Kind nichts Gescheites zum Essen kriegt“, sagt der selbständige Jurist.

Er weiß nicht allein in der Theorie, wovon er spricht. Markus Huml hat sich für die beiden Söhne Elternteilzeit genommen. Donnerstag und Freitag sind „Papa-Tage“, Montag bis Mittwoch springen die Großeltern ein. Sie proftiere nun zum zweiten Mal im Leben von ihrer Mutter, sagt Huml. „Sie ist schon nach meiner Geburt zu Hause geblieben.“ Gemeinsames Mittagessen und Nachmittage mit der Mama waren für die kleine Melanie selbstverständlich. „Das fand ich immer klasse.“ Doch Mütter müssten die Wahlfreiheit haben, wie sie sich bei der Kinderbetreuung entscheiden, sagt die Ministerin. Man dürfe nichts vorschreiben. „Ich lebe ein ganz anderes Leben.“

Humls Dienstsitz ist München, ihr Wohnort ist Bamberg. 230 Kilometer trennen sie von der Familie. Einfache Fahrtzeit: mindestens zwei Stunden. „Ich versuche jeden Tag heimzufahren“, sagt sie. „Oder mein Mann kommt mit den Kindern zu mir.“ Das Dienstauto wird zum rollenden Büro. Zum 40. Geburtstag haben ihr die Münchner Mitarbeiter eine geräumige Tasche geschenkt – ein knallrotes Teil aus Leder mit Platz für einen Stapel Akten. „Schön“, sagt sie. „Sie haben es mir gleich mit Mappen überreicht, damit mir nicht langweilig wird.“

Feuerwehreinsatz im Spielzimmer

Viel Zeit zum Schlafen bleibt Huml gerade nicht. „Die Nächte sind noch ein wenig unruhig, wie das bei einem so kleinen Kind einfach der Fall ist, das auch nachts gestillt und gewickelt wird.“ Sie sei zum Glück durch ihren früheren Beruf als Ärztin gewohnt, mit wenig Nachtruhe auszukommen. „Ich brauche nicht unbedingt am Stück acht Stunden Schlaf, um fit zu sein.“ Auch weil beim Blick auf Jeremia und Emanuel Glückshormone ausgeschüttet würden.

Huml erzählt davon bei einem Treffen in ihrem Bamberger Wahlkreisbüro. Ein kleines Zimmer mit Schreibtisch, zwei Ledersesseln und Aktenregal. Es ist ein Herbsttag, ihr Kalender ist bis Mitternacht durchgetaktet: Erst ein Termin im Bamberger Abschiebezentrum für Balkanflüchtlinge, in der heute Innenminister Thomas de Maiziere zu Besuch kommt, dann Bürgersprechstunde und Interview, später Fahrt zur „ConSozial“-Messe in Nürnberg, wo es ums Wohnen am Land im Alter geht, am Ende ein Auftritt beim Zahnärztetag in München.

Nur Jeremia und Emanuel lassen sich an diesem Tag nicht so einfach in das enge Zeitkorsett pressen. Der Dreijährige stand schon um 6 Uhr vor Humls Bett. „Mama, spielen!“ Nach ein bisschen Kuscheln erster Einsatz mit kleinen Spielfiguren in der Feuerwehrecke im Kinderzimmer. Dann frühstücken, Jeremia stillen, Windeln wechseln. Der Terminplan gerät ins Rutschen. „Es ist halt manchmal so, dass die fünf Minuten nicht planbar sind, in denen ein Kind in die Hose macht.“ Wie viele Mütter ertappt sie sich manchmal, dass sie sich scheut, die Kinder als Grund für Verspätungen zu nennen – und lässt es sich nicht durchgehen. „Ich glaube, da muss man der Gesellschaft auch sagen: Das hat nichts mit Kinderausrede zu tun.“

Söhne schärfen Humls Blick

Die zwei Söhne haben Humls Blick dafür geschärft, was in der Familienpolitik zu tun ist, angefangen von kleinen, praktischen Dingen – etwa, ob es für Mütter unterwegs genügend Toiletten mit Wickeltischen gibt. Was Betreuerinnen in Kindergärten leisten, weiß sie nun genau. „Die Bezahlung ist noch verbesserungswürdig. Aber da ist nicht nur der Staat in der Pflicht. Es gilt auch für uns Eltern zu sagen, was uns das wert ist.“

Wenn sie als Gesundheitsministerin Eltern zum Impfen ihrer Kinder rät, kann sie jetzt sagen, dass sie es bei den eigenen genauso hält. Die 40-Jährige hat ein Förderprogramm für Kinderärzte im ländlichen Raum angestoßen, weil eine schlechte medizinische Versorgung für Eltern Grund sein kann, sich nicht dort anzusiedeln. Beim bayerischen Betreuungsgeld war ihr wichtig, dass dafür Pflichtuntersuchungen der Kinder eingehalten werden müssen. „Wir sehen die Kinder sonst, wenn wir ehrlich sind, vielleicht erst mit der Schulpflicht.“

Erste Akzente im Ministerium

Huml ist seit 2013 Gesundheitsministerin. Das Haus gab es davor nicht. Umwelt und Gesundheit waren davor unter einem Dach, bis Regierungschef Horst Seehofer das neu justierte. Viel Arbeit für Huml: Die Suche nach einem Gebäude – 2014 war Einzug. Der Aufbau neuer Strukturen. Wie familienfreundlich ist das neue Haus? Huml verweist auf ein Eltern-Kind-Zimmer mit Computer und Massagestuhl zum Stillen. Wenn die Kinderbetreuung überraschend ausfällt, dürfen Mitarbeiter die Kleinen ins Ministerium mitbringen. Huml wäre gerne großzügiger mit Heimarbeitsplätzen. „Wir brauchen aber natürlich auch im Ministerium eine gewisse Präsenz.“ Ein ausgefeiltes Konzept gibt es noch nicht, räumt sie ein. Erster Schwerpunkt sei das betriebliche Gesundheitsmanagement für alle Mitarbeiter gewesen. Familienfreundlichkeit sei nun als Nächstes im Fokus. „Ich werde es nicht aus den Augen verlieren. Wir können uns in einem Jahr dazu wieder treffen.“