Orthopädie
Am Anfang stand eine Schnapsidee

Heute gehört zur Praxis von Wolfgang Bärtl und Georg Kellner ein Team von 40 Leuten. In Neumarkt wird wenig operiert.

06.07.2017 | Stand 16.09.2023, 6:28 Uhr

Ob Knieprobleme, Sportverletzung oder Rückenschmerzen: Das Praxisteam setzt zunächst auf „konservative Orthopädie“. Foto: Claudia Doenitz

Als sich Dr. Wolfgang Bärtl und Georg Kellner vor gut 25 Jahren bei den Kollegen in Neumarkt vorstellten, wurden sie gefragt, was sie denn da für eine Schnapsidee vorhätten. Eine Orthopädiepraxis wollten sie eröffnen, damals ging das noch einfach so. Es gab keine Bedarfsplanung, keine gesperrten Bezirke.

Beide hatten zuvor in der orthopädischen Klinik in Rummelsberg gearbeitet, dort war die Idee zu einer eigenen Praxis herangereift – die Wahl fiel auf Neumarkt, denn Kellner wohnte in Woffenbach und Bärtl kam aus Parsberg. „Es war ein Sprung ins kalte Wasser, aber wir haben es gewagt. Wir waren überzeugt, dass es Bedarf gibt.“ Obwohl es schon drei Orthopäden in Neumarkt gab. Doch als die beiden mit Arzthelferin Monika Rupp im Juli 1992 erstmals die Tür zur Praxis, die damals am Oberen Markt war, aufsperrten, stand bereits die erste Patientin vor der Tür – sie konnte ihren Hals nicht mehr richtig bewegen. Die Dame war offensichtlich zufrieden – sie wurde Stammpatientin und bekommt demnächst ihre zweite Hüftprothese.

„Man muss eine Operation sehr mit Bedacht sehen. Es ist eine tolle, aber nicht die erste Option. Manchmal kann sie aber sehr segensreich sein.“Dr. Wolfgang Bärtl

Dabei steht Bärtl operativen Eingriffen gar nicht uneingeschränkt positiv gegenüber. „Man muss es sehr mit Bedacht sehen. Es ist eine tolle, aber nicht die erste Option. Manchmal kann sie aber sehr segensreich sein.“ Man müsse sich die Menschen, gerade die Älteren, ja nur einmal anschauen – früher habe man die Oma, die nicht mehr laufen konnte, halt morgens in einen Stuhl gesetzt, dort habe sie dann Kartoffeln geschält – und abends ging es zurück ins Bett. „Heute wollen die Senioren reisen, Kreuzfahrten machen, aktiv sein.“

156 Bandscheiben-Operationen

Dass in Neumarkt vergleichsweise wenig Rückenoperationen stattfinden, darauf ist Bärtl stolz. „Es ist der Beweis, dass die konservative Orthopädie durchaus funktioniert.“ Zahlen belegen das – die Bertelsmann-Stiftung hat erst Mitte Juni eine neue Studie veröffentlicht, der zufolge Neumarkt bei Bandscheibenoperationen mit 156 pro 100 000 Einwohner pro Jahr deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 199 liegt.

Zum Vergleich: In Hessen finden überdurchschnittlich viele Bandscheiben-Operationen statt – Spitzenreiter ist der Kreis Hersfeld-Rotenburg mit 567 Operationen. Den niedrigsten Wert weist der Kreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge auf: Dort liegt die Zahl bei 85 Operationen.

Auch bei Operationen wegen der Verblockung oder Versteifung von Wirbelköpern gehört Neumarkt mit 64 Operationen pro 100 000 Einwohner zu den Städten, in denen am wenigsten operiert wird – zum Vergleich: Beim Spitzenreiter Kulmbach liegt die Zahl bei 236.

Hier lesen Sie Hintergründe zur Bertelsmann-Studie:

Generell zählen Rückenleiden schon immer zu den Hauptproblemen, mit denen Patienten in die Praxis kommen, sagt Bärtl. „Deutlich über die Hälfte“ haben Rückenbeschwerden, danach folgen Knieprobleme und Verletzungen, etwa beim Sport oder bei Unfällen. „Wir decken aber alles ab – vom Ultraschall bei Säuglingen bis zur Altersosteoporose.“ Auch, weil die Praxis in den vergangenen 25 Jahren stetig gewachsen ist. Zwei Praxen wurden im Laufe der Jahre übernommen,2009 zog man ins Ärztehaus. Zehn Ärzte sind alles in allem in der Praxis aktiv, darunter auch ein Endoprothetiker, also ein Mediziner, der auf Kunstgelenke spezialisiert ist, der feste Stamm der Praxis besteht neben den beiden Gründungsvätern aus Ingrid Hellriegel, Dr. Christoph Hauenstein und Dr. Christian Baur.

„Ich hab Rücken“ - niemand sonst sagt das so schön:

Viel Lob hat Bärtl nicht nur für seine Kollegen und die mittlerweile rund 30 Mitarbeiterinnen („Ohne die wären wir aufgeschmissen.“), sondern auch für die gesamte Kollegenschaft im Ärztehaus, mit denen die Zusammenarbeit hervorragend funktioniere. In „sehr konstruktiver und guter Zusammenarbeit“ übernehmen vier Kollegen aus der Praxis seit etwa fünf Jahren auch stationäre Eingriffe im Klinikum Neumarkt oder in Rummelsberg. „Wir wollen den Patienten durchgehend begleiten. Davon profitiert jeder – vor allem aber der Patient, weil er kontinuierlich betreut wird.“

„Die Erwartungen, die Vorbildung, die Informiertheit sind ganz anders – und auch der Anspruch.“Dr. Wolfgang Bärtl

Während die Probleme der Patienten in den vergangenen 25 Jahren in etwa gleich geblieben sind, hat sich eine Sache aber schon verändert, so Bärtls Erfahrung: „Die Erwartungen, die Vorbildung, die Informiertheit sind ganz anders – und auch der Anspruch.“ Gelassenheit und Geduld seien vielen Patienten abhanden gekommen – durch das Internet-Angebot seien die Menschen gewohnt, dass alles quasi immer verfügbar sei. So würden sie das gerne auch auf medizinische Probleme übertragen. „Das muss alles sofort wieder funktionieren.“ Nicht so einfach, gerade bei eher langwierigen orthopädischen Problemen.

Was fehlt, ist die Zeit

Bärtl geht damit „offen“ um, wie er sagt. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“, lautet einer seiner Lieblingssprüche zu dem Thema. „Man muss den Patienten sagen, wovon man etwas hält, wovon nicht – und das, was sie vielleicht noch gar nicht wissen.“

Ein Problem gebe es allerdings schon: die Zeit. „Das ist leider genau der Punkt – denn die fehlt.“ Erwünscht sich von der Politikdaher vor allem eines: eine Aufwertung von Leistungen wie Beratungen und Besprechungen. „Das ist in den letzten Jahren viel zu sehr ins Hintertreffen geraten.“

Weitere Nachrichten aus der Region Neumarkt lesen Sie hier.