Datenschutz
Auch Opas Klassenfoto wird zensiert

Keine Einwilligung, kein Foto: Das gilt auch für ältere Aufnahmen. Regensburger Schulen und Vereine bangen um ihre Schätze.

23.04.2016 | Stand 16.09.2023, 6:52 Uhr |
1960 spielte in der Regensburger Volksschule am Hohen Kreuz der Datenschutz für das Klassenfoto noch keine große Rolle. Heute nehmen die Behörden die Persönlichkeitsrechte genauer: kein Foto ohne Einverständnis der abgebildeten Person. Liegt dies nicht vor, muss gepixelt werden. − Foto: Waldmann/Hohenleutner

Die Ahnen sind weg. In der Deuerlinger Schule sind die Flure leer, der Bürgermeister ist enttäuscht. Seit Jahr und Tag schmückten alte Klassenfotos die Wände. Während sie nun für die Sanierung des Gebäudes abgehängt waren, kam im Gemeinderat auf einmal die Frage nach dem Datenschutz auf. Die Verantwortlichen machten sich beim Bayerischen Landesbeauftragten für Datenschutz (BayLfD) schlau und erfuhren: Wenn nicht von allen abgebildeten Personen Einwilligungen vorliegen, dürfen die Fotos nicht mehr aufgehängt werden. „Da wiehert mal wieder der Esel“, sagt Bürgermeister Diethard Eichhammer. „Das ist absolut übertrieben.“ Gerade in dem Schulhaus, das auch immer wieder der Allgemeinheit dient – etwa als Wahllokal – hätten sich die Besucher die alten Fotos von Schultheateraufführungen und Klassen immer wieder gern angesehen. Jetzt zieht das Bilderverbot von Deuerling immer weitere Kreise. Weil die Regel für alle gleichermaßen gilt, bangen Regensburger Vereinsvorsitzende und Schulleiter um ihre historischen Schätze.

Datenschutz ist ein Grundrecht

Der Datenschutz ist ein Grundrecht. Und jede Erhebung personenbezogener Daten greift in dieses Grundrecht ein – auch Fotos. Schon seit 1949 gilt: Ohne Einverständnis der abgebildeten Person kein Foto. In der Vergangenheit sei das Rechtsbewusstsein in diesem Punkt noch nicht so ausgereift gewesen, sagt der Referatsleiter des BayLfD. Jahrelang seien Fotos angefertigt worden, ohne dass man sich Gedanken dazu gemacht habe. Tatsächlich sei aber jedes Foto ohne unterschriebene Einverständniserklärung rechtswidrig. Fehlt diese Genehmigung, gibt es kein Pardon. „Auch ältere Fotos müssen dann abgenommen werden.“ Verweigern es die Eltern eines Schülers, darf dieser nicht aufs Foto genommen werden oder er muss im Nachhinein durch einen schwarzen Balken unkenntlich gemacht werden.

„Eigentlich hat ein Klassenfoto in den Schulräumen überhaupt nichts zu suchen“, sagt der Referatsleiter des BayLfD. Das Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen sieht keine Rechtfertigung für solche Fotos. Eine Ausnahme gibt es nur, wenn die Fotos ausschließlich für die Schüler und Erziehungsberechtigten da sind – so lautet die Zweckbestimmung. Der Gesetzgeber sagt daher: Eine Schule darf zwar einen Jahresbericht zur Erinnerung herausgegeben – aber nur an Eltern und Schüler. Frei verkäuflich darf er nicht sein.

„Klassenfotos dürfen nicht für Dritte zur Belustigung und Begutachtung dienen“, sagt der Referatsleiter. Das ist der springende Punkt. Zum Problem wird das spätestens, sobald VHS-Kurse in einem Schulgebäude stattfinden, dort Handwerker ein- und ausgehen oder das Haus – wie etwa in Deuerling – auch als Wahllokal genutzt wird. Und aus diesem Grund sind auch Schülerfotos auf der Homepage tabu.

Sensibilisierung hat zugenommen

Mit dem Siegeszug des Internets hat sich die Sensibilisierung unheimlich gesteigert. Beim BayLfD gehen immer mehr Beschwerden von Eltern ein, was zu einer rigideren Durchsetzung der Regelung führt. Viele Bilder wurden seither abgehängt. Hall-of-Fame-Wände sind in den Vereinsheimen geschrumpft. Oft sind nur noch Pokale mit Namen ausgestellt – die Gesichter dazu bleiben verborgen. Beim LLC Marathon, beim Tennisclub Rot-Blau, beim Freien TuS Regensburg, dem ESV 1927 oder beimSSV Jahn: Alle Vereine gehen unterdessen sehr sensibel mit dem Datenschutz um und lassen sich schon seit Jahren von neuen Mitgliedern Foto-Genehmigungen unterschreiben. Aber während die Clermont-Ferrand-Mittelschule oder das Goethe-Gymnasium komplett auf historische Aufnahmen mit Personen verzichten, wollen sich Vereine die alten Triumph-Fotos nicht nehmen lassen – auch, wenn sie keine Möglichkeit mehr sehen das Einverständnis dafür einzuholen. Fakt ist jedoch: Für Vereine gilt die gleiche Rechtslage.

Ein einzelner Sportler auf einem älteren Foto mit verpixeltem Gesicht: Bei dem Gedanken muss Matthias Meyer herzlich lachen. Der Kreisvorsitzende des Bayerischen Landessportverbands (BLSV) sieht die Sache pragmatisch: „Alte Bilder aus alten Zeiten: Wenn das Foto schon so lange hängt, hat die betroffene Person dadurch ihr Einverständnis gegeben.“ Und heute wisse eigentlich jeder, dass er, wenn er in den öffentlichen Raum geht, auch auf ein Bild kommen könnte. Jeder, der nicht auf ein Foto will, geht in die andere Ecke: Mit dieser Regelung behelfe man sich heute oft im Sport, sagt Meyer. Der Fotograf gibt sich deutlich zu erkennen.

Vereine lassen es darauf ankommen

Prinzipiell habe es ein Sportverein sicher noch leichter als eine Schule. „Da sind mehr Menschen, die das Gemeinschaftsgefühl pflegen, während Schulen doch eher öffentlicher Bereich sind.“ Meyer findet: Eltern schauen heute stolz auf eigene Klassenbilder, sind gleichzeitig aber die schlimmsten Kritiker bei Aufnahmen ihrer Kinder. „Wenn es einer darauf anlegt, soll er es eben darauf anlegen“, sagt Meyer. „Wir warten, bis sich jemand beschwert. Dann reagieren wir.“

Auch der Präsident des Freien TuS hat das Gefühl, dass Einzelne immer weniger bereit dazu sind, Verantwortung zu übernehmen. „Es geht nur noch um eine massive Absicherung. Die Bürokratie nimmt dabei überhand“, sagt Anton Zimmermann. Die Räume des TuS werden derzeit renoviert. Der Verein soll mit der Zeit gehen: „99 Prozent der Bilder werden wir im Zuge der Neugestaltung wohl ohnehin nicht mehr aufhängen“, sagt Zimmermann. Einen Raum mit ausgewählten Exponaten soll es aber trotzdem geben. Der Vereinspräsident hat hier keine Bedenken. „Da lasse ich mich gern auf eine Diskussion über die Absurdität dieser Regelung ein.“

Die Erfolge seiner Vereinsmitglieder stellt der SV Sallern gerne aus – auch die aus vergangenen Jahrzehnten. „Es muss erst einmal jemand kommen und sich beschweren“, sagt Jugendleiter Detlev Staude. „Sollte es dazu kommen, würden wir natürlich prüfen, ob wir tatsächlich einzelne Fotos abhängen müssen.“ Von vorauseilendem Gehorsam hält er nichts.

Im Archiv des SSV Jahn Regensburg gibt es alte Mannschaftsbilder, auf denen Personen zu sehen sind, die dafür nicht explizit eine Nutzungsberechtigung erteilt haben. Der Verein gehe mit dem Thema Bildrechte aber sehr sensibel um und werde dazu auch von einem Datenschutzbeauftragten beraten, sagt Martin Koch, Pressesprecher des SSV Jahn. „Im Rahmen unserer sozialen Projekte veröffentlichen wir etwa kein Bild, ohne vorab eine Einverständniserklärung einzuholen, und auch unsere Nachwuchsspieler unterschreiben bei Eintritt eine solche.“

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