EU-Austritt
Britin gründet Brexit-Selbsthilfe

Gemma Knowles (39) ruft die Regensburger Engländer zur Zusammenarbeit auf. Viele beantragen die deutsche Staatsbürgerschaft.

03.08.2016 | Stand 16.09.2023, 6:44 Uhr
Nur noch britische Fahnen vor dem Londoner Big Ben: Seit die Briten für den Brexit gestimmt haben, weht dort keine EU-Flagge mehr. −Foto: dpa

Knapp sechs Wochen nach dem Brexit-Referendum ist Gemma Knowles immer noch sehr enttäuscht, dass ihre Landsleute der EU den Rücken kehren. „Der Ausstieg macht mich traurig, weil ich Europäerin bin, weil ich Engländerin bin und weil sich die Briten in den Fuß geschossen haben“, sagt die 39-Jährige. Nach einem Bericht unserer Zeitung über die kritische Haltung der Regensburger Briten zum EU-Austritt hat Lehrerin Knowles die Facebook-Gruppe „British in Regensburg“ gegründet.

Tipps bei einer Tasse Tee

In der Gruppe helfen sich Engländer nach dem Brexit gegenseitig – mit praktischen Ratschlägen und emotionalem Beistand. „And maybe some wine. Or tea (Und vielleicht ein wenig Wein. Oder Tee)“, hat die Gründerin humorvoll ergänzt.

226 Menschen aus Großbritannien leben in der Stadt, 91 im Landkreis. Der Facebook-Gruppe gehören bislang 29 an. Gemma hofft auf weitere Mitglieder. Weil niemand weiß, was bei den Austrittsverhandlungen zwischen britischer Regierung und Europäischer Union herauskommt, werden viele Gruppenmitglieder die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. Für den Einbürgerungstest üben sie gemeinsam.

Die Psychologin Tanja Sellmann hat sich der Gruppe angeschlossen, weil sie „eine Stimme haben will“ – auch wenn es nur eine lokale sei. Beim Brexit-Referendum konnte sie nicht mitentscheiden, weil sie seit mehr als 15 Jahren in Deutschland lebt. Sie betont: „Ich bin britisch, aber 100 Prozent Regensburgerin.“ Die Schottin wird die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Wenn sie das frühzeitig mache, könne sie auch die britische behalten, sagt die 42-Jährige, die ihr halbes Leben in Regensburg verbracht hat und mit einem Deutschen verheiratet ist. Auch nach dem Brexit möchte sie „die Vorteile eines gemeinsamen Europas beibehalten“. Mit ihren Kindern (14 und 16), die deutsche Reisedokumente besitzen, will Tanja Sellmann „in einer Schlange stehen bei der Passkontrolle“. Außerdem möchte sie endlich bei den Bundestagswahlen mitstimmen. Sellmann erwartet ein zweites Unabhängigkeitsreferendum der Schotten, von denen 62 Prozent gegen den EU-Austritt votiert haben. Den Brexit hatte sie befürchtet. Schließlich werde in England „alles, was schief läuft, auf die EU geschoben“.

David Hiley, emeritierter Professor für Musikwissenschaft der Uni Regensburg, hat fast alle Dokumente für die Beantragung der deutschen Staatsbürgerschaft zusammengetragen. Hiley spricht von einer „Sicherheitsmaßnahme“. Als Brite in Deutschland wisse er ja nicht, was auf ihn zukomme. Er habe rechtliche Unsicherheiten befürchtet,etwa in Zusammenhang mit seiner Pension.Doch im Moment seien keine Änderungen in Sicht. Dass die neue britische Premierministerin Theresa May den Brexit-Befürworter Boris Johnson zum Außenminister ernannt hat, gefällt David Hiley allerdings „gar nicht“.

Rechtsreferent empfiehlt: „Erst mal abwarten.“

Dr. Nathan Carroll, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität, würde wegen der Unsicherheiten gerne die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, kann es jedoch nicht. Der 35-Jährige ist seit drei Jahren im Land, acht sind die Voraussetzung. Er bedauert das auch, weil er sich die doppelte Staatsbürgerschaft wünscht, die in der Brexit-Übergangszeit gewährt wird. Carroll fragte bei der Stadtverwaltung und im Landratsamt nach einer Lösung. Er habe jedoch widersprüchliche Antworten erhalten.

Der städtische Rechtsreferent Dr. Wolfgang Schörnig kann den Briten nur raten: „Abwarten und Tee trinken.“ Die Austrittsverhandlungen werden sich zwei bis vier Jahre hinziehen. Erst danach werde feststehen, ob die Arbeitsfreizügigkeit zwischen Großbritannien und der EU bleibe, ob beim Warenhandel künftig Zölle erhoben und beim Immobilienkauf Sondersteuern verlangt werden. Schörnig empfiehlt auch, in Sachen Staatsangehörigkeit abzuwarten. „Man weiß nicht, ob es ein Vorteil wird“, betont der Rechtsreferent.

Gemma Knowles bemüht sich dennoch, den deutschen Pass zu bekommen. In wenigen Tagen absolviert die dreifache Mutter zusätzlich zum britischen Abschluss das bayerische Staatsexamen. Sie hofft, dass sie eine Stelle an einem Regensburger Gymnasium bekommt.