Konzert
Carte blanche für Sir András Schiff – ein Feuerwerk in Neumarkt

15.05.2023 | Stand 15.09.2023, 0:01 Uhr
Claudia Böckel
Sir András Schiff am Flügel in Neumarkt −Foto: Fritz Etzold

Sir András moderierte das Konzert mit ruhigen Worten und erzählte von seinen Überlegungen während der Corona-Zeit, wie man Konzerte farbiger gestalten könne. Er hätte keine Lust mehr, zwei Jahre im Voraus festzulegen, welches Stück er wann und wo zu spielen habe. Und so führte er sein Publikum von der kleinsten Form, von Bachs Keimzelle der Goldbergvariationen, der Aria, bis zu Beethovens gewaltiger Waldstein-Sonate.



Nach den ersten drei Tönen vermutete ich: Vor der Pause Bachs Goldbergvariationen, nach der Pause Beethovens Diabelli-Variationen. Zugetraut hätte ich Sir András Schiff so ein Wahnsinnsprogramm, nachdem ihm die Neumarkter Konzertfreunde Carte blanche gegeben hatten, er also die Handlungsfreiheit hatte, zu spielen, was er wollte.

„Bach kommt zuerst“, sagt er, und lässt die Aria kunstvoll mit all ihren raffinierten Verzierungen erklingen, gefolgt von Bachs Capriccio in B-Dur auf die Abreise seines geliebten Bruders. Bach verfasste hier sechs Genrebildchen, eine Programmmusik, ein Spiegelbild des Lebens. Der Bruder Johann Jakob Bach ging im Jahr 1704 als Trompeter zur Garde des schwedischen Königs und wurde dort wohlbestallter Hofmusikus. Die Gefährlichkeiten des Reisens werden ebenso dargestellt, wie das Lamento der Freunde, das in einen chromatisch absinkenden Passacaglienbass verwandelt wird, wie wir ihn später in den Vokalwerken finden. Den Beschluss macht eine Fuge über das Posthorn. Brillant und mit Witz gespielt war das alles.

Mit größter Leichtigkeit durch schnelle Passagen

Weiter ging es mit Mozarts Sonate F-Dur KV 533 ohne das oft angefügte Rondo, ganz klar gespielt, das Andante großartig abschattiert und improvisierend interpretiert. Das Ricercar aus Bachs Musikalischem Opfer über das Thema Friedrichs des Großen hatte weiten Atem und extreme Klarheit. Bei Mozarts Fantasie in c-Moll KV 475 zauberte Schiff mit den umwerfenden tiefen Tönen des Bösendorfer Flügels, raste mit größter Leichtigkeit durch die schnellen Passagen. Die reine Freude! „Rachmaninov kann ich nicht ausstehen, Haydn umso mehr!“ Klar, dass Haydns c-Moll-Sonate liebevoll und detailreich daherkommt, aber keineswegs sanft, sondern zerklüftet und ernst genommen, nie spielerisch.

Ein Feuerwerk auch nach der Pause

Nach der Pause ging das Feuerwerk weiter mit Beethovens Sechs Bagatellen op. 126, komponiert zeitgleich mit der 9. Sinfonie. Kristallin und weich, abschattiert so weit, dass oft jeder Ton mit anderer Anschlagstechnik, mit anderer Farbe, versehen wurde, Walzerklänge herausholend beim letzten Stück: Schiff öffnet einem einen Kosmos mit diesen Miniaturen. Und die Waldstein-Sonate op. 53? Unglaubliche Klangwelten taten sich auf, keinerlei Ermüdungserscheinungen waren zu spüren, äußerste Konzentration und Präzision über die drei Stunden dieses unfassbaren Konzertes. Standing Ovations für einen der Größten am Klavier wurden mit dem kleinen Ungarischen Tanz von Franz Schubert belohnt.