Dialekt
Der Bayer geht Schwammerl suchen, nicht Pilze sammeln

2010 hat es sehr viele Schwammerl gegeben, es war ein pilzreiches Jahr. Dazu einige Anmerkungen.

23.09.2010 | Stand 23.09.2010, 19:34 Uhr

In den Wäldern parkten Autos an vielen Wegen und Schneisen, ganze Familien zogen aus mit Körben und Messern. Manche wussten ihre „guadn Blàtz“, Plätze, an denen sie schon fündig geworden waren, und steuerten diese an, peinlich darauf bedacht, dass ihnen niemand folgte. Die „Jagd des kleinen Mannes“ brachte erfreulichen Ertrag. Kein Einheimischer käme auf die Idee zu sagen: „Wir gehen Pilze sammeln“. Bei uns geht man zum „Schwàmmerlsuchen“ oder einfach „in d’Schwàmmerl“, im Bayerischen Wald „in d’Schwammer“. Selbst wenn viele wachsen, so muss man die Schwàmmerl doch „suchen“, kann sie nicht einfach einsammeln und in den Korb klauben.

Es gibt die „Bülstl-Anzeiger“

Das schriftdeutsche Wort für die begehrten Früchte, die der Waldboden hervorbringt, ist „Pilze“, umgangssprachlich aber heißen sie „Schwàmmerl“. Das Wort ist die Verkleinerungsform zu „Schwamm“. Nur wenige Waldpilze ähneln dem Aussehen nach einem (Bade-) Schwamm, am ehesten die Krause Glucke oder die diversen Arten von Korallen. Trotzdem heißen alle Pilze grundsätzlich „Schwàmmerl“ (oder „Schwammer“). Die braunkappigen Maronen sind „Braunschwàmmerl“, die wenig geschätzten Rotfußröhrlinge „Wasserschwàmmerl“. Der „Fliangschwàmmerl“ sieht zwar sehr malerisch aus mit seinem roten Hut und den weißen Schuppen drauf, aber er ist giftig. Die am höchsten geschätzte Sorte, der Steinpilz, schert aus; niemand sagt „Stoaschwàmmerl“. Er heißt in der Mundart „Stoabuizl, -bäizl, -bülzl, -bülstling“ oder einfach „Bülstling“ (soweit er nicht andere Namen bekommt, im Bayerischen Wald „Dobernigl, Doberling“).

Erfahrene Schwàmmerlsucher behaupten, man könne aus dem Vorhandensein gewisser Pilze schließen, dass in der Nähe Steinpilze wachsen. Fliegenpilze gelten als solche „Bülstl-Anzeiger (-ozoaga)“. Als Patron der Schwàmmerlsucher gilt der hl. Antonius, auch „Sau-Tonerl“ genannt, weil er auf einem Schwein reitet, und dieses ist ein „Schwàmmerltier“, weil es für das Aufspüren von Trüffeln eingesetzt wird. Massenhaftes Auftreten wird redensartlich in Verbindung gebracht mit Schwàmmerln, von denen manche ganze Flächen bedecken oder in Hexenringen wachsen.

Regensburger Milchschwammerl

Über den Münchner Ehrenwirth-Verlag stand in der Zeitschrift „Literatur in Bayern“, er sei „eine Hochburg der um jene Zeit wie die Schwammerl aus dem Heimatboden sprießenden Mundartdichtung“ gewesen. Als „Milchschwammerl“ bekannt ist ein Kiosk in der Nähe des Regensburger Hauptbahnhofs. Er hat die Form eines überdimensionalen Fliegenpilzes; 1954 wurde er aufgestellt, um das Milch-Trinken zu fördern. Auch wenn dort keine Frischmilch mehr ausgeschenkt wird, der Name ist geblieben, und die ehemalige Milchbar hat mittlerweile Aufnahme in die Denkmalliste gefunden. Wem bei einer anstrengenden Wanderung, vor allem bergab, die Knie weich werden und schmerzen, der klagt über „Knieschwàmmerl“.

Uneinigkeit herrscht darüber, ob es „der“ oder „das Schwàmmerl“ heißt. Die Verkleinerungssilbe „-erl“ lässt sächliches Geschlecht erwarten. Dennoch überwiegt das männliche Geschlecht. Dafür ausschlaggebend dürfte die Form „Schwàmmerling“ sein, maskulin wie alle Wortbildungen auf „-ling“. Bekannt ist der Reim: „Drei Stunden hinter Dingolfing / da steht ein großer Schwammerling.“ Der einsam durch die Alpen pilgernde Gropp tröstet sich: „Gibt’s kein Brot mehr, so gibt’s ein paar Schwammerlinge“ (Carl Amery). Als „Schwàmmerling“ bezeichnet man einen ungeschickten Kerl, einen Stümper, Feigling, Versager.

Die meisten sind Blätterpilze

Unzählig viele Pilzsorten tragen Namen auf „-ling“: Röhrlinge, Porlinge, Becherlinge, Trichterlinge, Kremplinge, Helmlinge, Wulstlinge, Schüpplinge, Stäublinge, Seitlinge, Bitterlinge, Tintlinge, Milchlinge, Brätlinge, Rötlinge, Grünlinge usw. Benennungsmotiv sind Form, Farbe oder sonstige Eigenschaften, das Suffix „-ling“ weist sie als „Schwàmmerlinge“ aus.

Die meisten Pilze sind Blätterpilze, die Unterseite des Huts weist Lamellen als Sporenträger auf. Andere, die stattdessen ein Röhren- oder Porenfutter haben, tragen die botanische Bezeichnung „Boletus“; der Steinpilz heißt „Boletus edulis“. Bereits vor der hochdeutschen Lautverschiebung wurde das lateinische Wort „boletus“ entlehnt, und „t“ wandelte sich zu „z“ oder „ss“: althochdeutsch „buliz“, mittelhochdeutsch „bülez, bülz“, schließlich „Pilz“ und bairisch „Bülstl, Bülstling“. Bekannt und als Speisepilze geschätzt sind die Pfifferlinge oder Rehlinge (Cantharellus), bei uns „Recherl“ oder „Rehgeißl (-goassl, -goissl) genannt, anderswo „Eierschwammerl“. Die Täublinge kennt man als „Täuberl (Daiwal)“, die Schirmlinge als „Parasol (Bàràsoi)“, die Egerlinge oder Champignons als „Schàmperl“.

Der gute Gurgelmagen

Eine originelle Bezeichnung für den Perlpilz (Amanita rubescens) ist „Gurgelmagen“. Die meisten Leute verachten diesen Pilz: Sie lassen ihn stehen, weil sie Angst haben vor Verwechslung mit dem Pantherpilz oder dem Knollenblätterpilz, beide tödlich giftig.

Mein Vater freute sich, wenn er etliche „Gurglmàng“ heimbrachte, die wesentlich zum Wohlgeschmack des Schwammerlgerichts beitrugen. Im Namen des Pilzes steckt wahrscheinlich weder „Gurgel, gurgeln“ noch „Magen“; es dürfte eine volksetymologische Umdeutung von französisch „(champignon des) gourmands“, d. h. ‚Pilz der Feinschmecker‘, vorliegen.

Was daheim aus der Ernte aus dem Wald zubereitet wird, ist meistens eine „Schwàmmerlsuppe (-suppm), -brüh, (-briah)“, in der Oberpfalz „a Schwàmmerlbräih“. Gastwirte, die ein Pilzgericht anbieten, dazu Semmelknödel, schreiben meist „Rahmschwammerl“ auf die Speisenkarte, eventuell mit dem Zusatz „Pilze in Sahnesoße“. Der Ausdruck „Sahnepilze“ existiert nämlich nicht.