Todestag
Der „Man in Black“ war ein Rebell

Vor zehn Jahren starb Johnny Cash. Für die Countrymusic war er so prägend wie Elvis für den Rock’n‘Roll. Sein exzessives Leben erregte Aufsehen.

02.09.2013 | Stand 16.09.2023, 7:21 Uhr
Holger Spierig

Der Country-Sänger Johnny Cash im Jahr 1975. Vier Jahre zuvor hatte er seinen programmatischen Song „Man in Black“ veröffentlicht. Fotos: dpa

Zuletzt sang er seine Songs halbblind im Rollstuhl ein. Weder eine schlimme Nervenkrankheit noch ein gebrochener Kiefer konnten ihn davon abhalten, sein musikalisches Vermächtnis aufzunehmen. „Ich will nichts mehr von dieser Welt. Ich will nur noch Musik machen und arbeiten, so gut ich kann“, sagte Cash nach der Beerdigung seiner Frau June Carter im Mai 2003. „Sie würde es wollen, und ich will es auch.“ Der auf der Bühne stets in Schwarz gekleidete „Man in Black“ starb vor zehn Jahren, am 12. September 2003, in Nashville, Tennessee. Er wurde 71 Jahre alt.

Seine früheren Plattenfirmen hatten ihn schon lange als alternden Countrystar abgeschrieben. Mit seinen zuletzt aufgenommenen Stücken leitete er jedoch noch einmal ein glanzvolles Comeback ein. Unter der Regie von Produzentenlegende Rick Rubin sang er neben Country- und Gospelstücken atemberaubende Interpretationen aktueller Rocksongs von U2 („One“), Tom Petty („Won’t Back Down“), „Nine Inch Nails“ („Hurt“) oder „Depeche Mode“ („Personal Jesus“) ein. Die Stücke der Reihe „American Recordings“ halten viele für das Beste, was er seit seinen ersten Hits aufgenommen hat.

Cash gehört zu den wenigen Countrymusikern, die sowohl in die „Country Music Hall auf Fame“ (1980) als auch in die „Rock and Roll Hall of Fame“ (1992) aufgenommen wurden. „Ich war immer ein Johnny-Cash-Freak“, bekannte „Rolling Stones“-Gitarrist Keith Richards. „Er steht meilenweit über allen“, schrieb Kollege und Freund Bob Dylan: „Johnny war und ist der Polarstern, du konntest deinen Kurs nach ihm ausrichten.“

Hunger hat er selbst kennengelernt

Seine ersten Erfolge „Folsom Prison Blues“, „Get Rhythm“ und „Walk The Line“ nahm Cash ab Mitte der 50er Jahre im legendären „Sun“-Studio in Memphis auf. Dessen Chef Sam Phillips hatte bereits den jungen Elvis Presley, Jerry Lee Lewis und Carl Perkins verpflichtet. Mit diesem vor Energie und Kreativität berstenden Haufen machte Cash auch seine frühen Tourneen. Von dieser Zeit an konnte Cash - der nach der Militärzeit erfolglos versuchte hatte, sich als Vertreter von Küchengeräten durchzuschlagen - sich ganz der Musik widmen.

Er sei kein großer Gitarrist gewesen, wohl aber ein charismatischer Sänger, urteilt Inga Fransson vom Gronauer Rock ’n‘ Popmuseum. Mit seinem reduzierten Gitarrenspiel habe er seiner unverwechselbaren Stimme Raum zur Entfaltung gegeben.

Die Faszination Cashs rührt auch daher, dass er wusste, wovon er sang: Hunger und Armut hatte er am eigenen Leib erlebt. Am 26. Februar 1932 kam J. R. Cash als Farmerssohn zur Welt. Er wuchs in der Depressionszeit in Dyess/Arkansas auf, wo seine Geschwister und er schon früh auf den Baumwollfeldern des Vaters arbeiten mussten. Oft reichte der Ertrag nicht aus, um den Hunger der neunköpfigen Familie zu stillen. Den Tod seines zwei Jahre älteren Lieblingsbruders Jack, der mit 14 Jahren bei einem Unfall an einer Kreissäge starb, hat er nie verwunden.

Schwarz als Farbe der Rebellion

Sein schwarzes Bühnenoutfit war Programm: „Für mich ist es ein Ausdruck für meine Rebellion“, erklärte Cash. Schwarz trage er für die Armen und die Unterdrückten, die Hunger, aber keine Hoffnung mehr hätten, ebenso für die Gefangenen, die für ihre Verbrechen längst gebüßt hätten, verkündete er 1971 in seinem programmatischen Song „Man in Black“. In mehreren Stücken setzte er sich außerdem für die Rechte der indianischen Ureinwohner ein – eine Revolution im damals eher konservativen Country-Genre.

Mit seinem Faible für Außenseiter war es nur konsequent, dass er auch vor Häftlingen Konzerte gab. Seine besten Live-Alben sind Konzertmitschnitte aus den berüchtigten Strafanstalten San Quentin und Folsom Prison.

Sein frühes Interesse an Musik führte Cash auf seine Mutter Carrie Rivers Cash zurück. Die Kirchenlieder, die sie während der Feldarbeit sang, sog er in sich auf. „Die Musik trug mich empor, über den Schmutz, die Arbeit und die sengende Sonne“, erinnerte sich Cash in seiner Autobiografie.

Er folgte seiner Frau June nach kurzer Zeit

Sein Leben lang hatte er mit einer dunklen, selbstzerstörerischen Seite zu kämpfen. Lange Jahre war er abhängig von Medikamenten und Aufputschmitteln. „Ich bin tief im Glauben verwurzelt, aber ich bekenne auch offen, dass ich der allergrößte Sünder bin“, sagte er im Interview mit dem „Rolling Stone“.

Aus seiner jahrelangen Sucht half ihm seine zweite Frau June Carter, mit der er über 35 Jahre verheiratet war. „Sie ist mein Fels in der Brandung“, schrieb er über sie. Ein Leben ohne seine Frau, mit der er auch gemeinsam auf der Bühne stand, mochte er sich nicht vorstellen. Als June im Mai 2003 infolge einer Herzoperation starb, sollte er ihr nur wenige Monate später folgen.