Geschichte
Der „Ripper“ von Burglengenfeld

Neueste Recherchen über das wohl schaurigste Stück Burglengenfelder Krimimalgeschichte bringen jetzt ganz neue Parallelen zu „Jack the Ripper“ zutage.

03.10.2014 | Stand 16.09.2023, 7:11 Uhr
Mit einem eigenen Schauspiel wird der gruselige Fall des Serienmörders Andreas Büchl alias Bichel nachgespielt. Jetzt gibt es völlig neue Erkenntnisse. −Foto: Baumgarten

Geschichte ist – sollte man meinen – etwas, das sich nicht mehr verändert. Doch weit gefehlt! Manchmal wird Geschichte auch um- oder neu geschrieben. Das durften kürzlich die Besucher des Freilichtspiels auf dem Burglengenfelder Galgenberg erfahren. Dort, am Hochgericht des gewaltigen Landgerichts, wurden sie Zeugen der wohl schaurigsten Kriminalgeschichte, die in Burglengenfeld je verhandelt wurde. Und die mit der Hinrichtung von Andreas Büchl aus Regendorf, auch „Bücherl“ genannt, am 4. Februar 1809, um 10 Uhr, hier ihr Ende fand.

Neu ist, dass dieser Fall wohl weit bedeutender ist, als bisher angenommen. Es gibt offenbar auffällige Parallelen zu „Jack the Ripper“, dem berühmtesten Serienkiller der Welt, der zwischen 1888 und 1891 in London eine unbekannte Anzahl von Frauen tötete. Büchl, dem zwei Morde nachgewiesen wurden, ging bei seinen Taten sogar noch grausamer vor: Wie „Jack the Ripper“ 80 Jahre später schlitzte er die Mädchen vom Schambein bis zum Brustbein auf – allerdings verstümmelte er seine Opfer bei lebendigem Leib. Das weit bekanntere Londoner Pendant tötete die Frauen zuerst.

Der Name machte den Unterschied

Bislang hatte Gerhard Schneeberger, Stadtführer und Leiter des Burglengenfelder Bürgerbüros, die in der Paulus-Chronik zitierten Gerichtsakten vom Prozess als Basis für das rund einstündige Schauspiel gesehen. Die Handlung wird jährlich am Original-Schauplatz – dem Galgenberg – nachgestellt. „Was wir nun wissen, gibt dem Ganzen eine neue Bedeutung“, sagte Schneeberger im Gespräch mit der MZ. Die neuesten Erkenntnisse über den Fall, die einer der Darsteller bei seinen Recherchen entdeckte, fanden aber bereits Einfluss in seinen Vortrag als Erzähler. Und sie überraschten die Besucher durchaus.

Dietmar Schmid, der im Schauspiel die Rolle des Scharfrichters verkörpert, fand die Berichte in der ältesten, handgeschriebenen Chronik der Stadt Burglengenfeld von Anton Paulus „etwas zu dünn“. Der Jurist ging dem Fall Andreas Büchl deshalb intensiver nach – und fand eigentlich mehr durch einen Zufall wirklich Erstaunliches heraus. Eine vorgeschlagene Suchalternative bei Google brachte die erste „heiße Spur“. In einer Abhandlung wurde über den Täter nicht als „Büchl“, sondern als „Bichel“ geschrieben. Zwei kleine Buchstaben brachten den großen Durchbruch.

Waren es mehr als zwei Fälle?

Der bedeutende Rechtsgelehrte Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775-1833), einer der Begründer der modernen deutschen Strafrechtslehre und Verfasser des Bayerischen Strafgesetzbuches von 1813, widmete eben diesem Andreas Bichel ein ganzes Kapitel in seinem Werk „Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen“. Im Schauspiel und aus der Überlieferung sind nur zwei Fälle bekannt. „Es ist zu vermuten, dass es viel mehr waren“, betonte Schmid. Die Ermittlungsmethoden seien in der damaligen Zeit nicht so weit gewesen, wie die Forensik von heute.

Mit der neuen Schreibweise des Namens wurde Schmid in einem weiteren Werk fündig: Auch derHistoriker und AutorMichael Kirchschlager schreibt in einem seiner Bücher über den „Mädchenschlächter“ Andreas Bichel. Im 2007 erschienenen ersten Band „Historische Serienmörder: Menschliche Ungeheuer vom späten Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts“ geht es auf insgesamt 14 Seiten um den in Burglengenfeld verhandelten Fall.

Neue Treffer in der US-Literatur

Auch in der US-amerikanischen Literatur wurde Dietmar Schmid fündig. Er entdeckte neue Hinweise auf den Burglengenfelder Kriminalfall und Andreas Bichel. Als „Bavarian Ripper“ (deutsch: der bayerische Schlitzer) wird der Täter dort bezeichnet. „Dass die Geschichte international rezipiert wird, war schon eine große Überraschung“, erzählte Schmid der MZ. Nach tagelanger Recherche und aufwendigen Übersetzungen der Texte ist der 52-Jährige fest davon überzeugt, einen Vorläufer von „Jack the Ripper“ gefunden zu haben. „Die Parallelen sind schon extrem auffällig“, sagte der gebürtige Teublitzer.

DieAbhandlungder australischen Autorin Amanda Howard bestärkt Schmid darin. Sie räumt mit dem Irrtum auf, dass „Jack the Ripper“ der erste Serien- beziehungsweise Sexualmörder war. Und wieder finden sich auch hier Verweise auf den Burglengenfelder Fall. Andreas Büchl oder Bichel lockte junge Frauen mit dem Versprechen, ihnen die Zukunft vorher zu sagen, zu sich nach Hause. Dort schlug er seine Opfer erst bewusstlos, entkleidete und fesselte sie. Als die Mädchen erwachten, quälte und vergewaltigte er seine Opfer, bevor er sie umbrachte. Auf erschreckend ähnliche Weise, wie „Jack the Ripper“, der 80 Jahre später sein Unwesen trieb.

Der Fall des berüchtigtsten Serienkillers fasziniert seit mehr als einem Jahrhundert Historiker wie Hobbyermittler. Zweifelsfrei überführt wurde „Jack the Ripper“ nie. Erst Mitte September hatte der englische Geschäftsmann Russell Edwards verkündete, denTäter entlarvtzu haben. DNA-Proben von direkten Nachfahren des aus Polen eingewanderten Friseurs Aaron Kosminski seien mit den Spermasuren auf einem Schultertuch identisch. Dieses wurde am 30. September 1888 bei der Leiche von Catherine Eddowes gefunden, die als viertes Opfer von „Jack the Ripper“ gilt.

Schmid will weiter recherchieren

Dietmar Schmid ist mit seinen Recherchen ebenfalls noch längst nicht am Ende. Er hofft, im Staatsarchiv in Amberg, wo viele Kriminalakten aus der Zeit lagern, weitere Details zu finden. „Ich werde das in jedem Fall weiter verfolgen“, sagte er. Vor allem einen Druck oder eine Zeichnung zu finden, wäre sein Wunsch. „Ein Gesicht zur Geschichte zu bekommen, wäre richtig spannend.“ Vielleicht muss das Schauspiel dann ja noch um ein Kapitel erweitert werden …