Natur
Die große Welt der Eiszapfen

Sie hängen nicht nur von Dächern. Sie wachsen wie Stachel, schmücken virtuelle Welten, sind süß oder raß. Sieben Beispiele:

20.02.2016 | Stand 12.10.2023, 10:03 Uhr
Angelika Sauerer
Gewaltige Eisformationen auf der amerikanischen Seite der Niagara-Fälle −Foto: dpa

Die Niagara-Fälle, im Winter der größte Eiszapfen der Welt

Obwohl durchschnittlich so um die 3000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde die beiden Niagarafälle an der Grenze zwischen Kanada und den USA (Ontario) hinunterstürzen, friert im Winter dann doch ein Teil davon zu. Vor allem die kleineren American Falls, die auf gewaltige Felsbruchstücke niedergehen, mutieren an den Seiten zu einer bizarren Landschaft aus erstarrtem Wasser und gefrorener Gischt. Doch auch die Ränder der größeren und höheren Horseshoe Falls, die aufgrund ihrer an ein Hufeisen erinnernden Form so heißen, gefrieren zu gewaltigen Eiszapfen. Vor einem Jahr gelang es dem kanadischen Eiskletterer Will Gadd (48) als Erstem, die senkrechte Wand aus Eis hochzuklettern, gefolgt von seiner Kollegin Sarah Hueniken.

Ice-Spikes – das Geheimnis der gefrorenen Dornen

Nanu, hat da jemand einen Stiel ins Eis gepflanzt? Mitnichten. Die komischen Dornen wachsen bei optimalen Bedingungen ganz von selbst aus gefrierendem Wasser. Und das geht so: Wasser in einem Gefäß erstarrt von außen nach innen. Seine Dichte nimmt dabei zu, was dazu führt, dass es sich ausdehnt (Dichteanomalie).

Aufgrund dieser besonderen Eigenschaft muss man zum Beispiel auch im Winter den Außenwasserhahn entleeren und sperren, sonst platzen die Leitungen. Zurück zum Phänomen der sogenannten Ice-Spikes: Wenn die noch im Innern verbliebene Flüssigkeit keinen Platz mehr hat, drückt sie sich nach oben durch – und gefriert dabei ebenfalls von außen nach innen. Es entsteht ein Eiszapfen, der von unten nach oben wächst. Am besten geschieht das bei Temperaturen von minus fünf bis minus acht Grad.

Die bizarre Eiszapfen-Tundra bei Minecraft

Auch die virtuelle Spielewelt erliegt der Faszination von Eiszapfen. So benutzt der Clan der Magions im Old School Game „Flying Heroes“ sehr wirkungsvolle Eiszapfenkanonen. Auch das erfolgreichste Online-Multiplayer-Spiel, World of Warcraft, setzt unter anderem auf den Zauber von Frost und Eiszapfen, um den Gegnern Schaden zuzufügen. Sehr friedlich geht es hingegen in der Eiszapfen-Tundra des virtuellen Klötzchen-Games Minecraft zu:

Die Eislandschaft ist einfach nur schön. Der Boden ist mit Schnee bedeckt, es gibt riesige Eiszapfen, die an komplett vereiste Bäume erinnern und in verschiedenen Größen und Formen aus dem Boden herausragen. Sie bestehen aus Packeis. Das ist – im Gegensatz zu normalem Minecraft-Eis – nicht brennbar, was wahrscheinlich nur Insider so wirklich verstehen. Die wissen dann auch, dass es gut geeignet ist, um Bauwerke in einer Winterlandschaft zu bauen. Wer in die Eiszapfen-Tundra will, muss sich in der Minecraft-Welt schon gut auskennen, denn sie ist eines der seltensten Biome (Welten) dieses Spiels.

Nützlich: Der Eisgalgen sorgt für kühles Bier

Not macht bekanntlich erfinderisch. Und wenn die Not auch noch darin bestand, sein köstliches Bier kühlen zu müssen, damit es selbst im heißen Sommer frisch die Kehle hinunterrinnen kann, erst recht. Man grub Keller und pflanzte schattenspendende Bäume drauf. Man ließ Weiher zufrieren und lagerte das Eis ein. Und wo kein Weiher in der Nähe war, stellte man einen Galgen auf. Freilich nicht in böser Absicht, sondern vielmehr als Gerüst für herabrinnendes Wasser.

An Eistagen ernteten die Brauer stattliche Eiszapfen auf Vorrat für die warmen Sommermonate. Heutzutage sorgen Strom fressende Anlagen für Kälte. Aber es gibt noch Ausnahmen: Artur Russ, Besitzer der Kronenbrauerei in Ulm, produziert an seinem Galgen im Winter Natureis. Bis in den Sommer hinein kühlt er damit frisch gebrautes Bier bei null Grad. In diesem Winter allerdings wird sein Galgen mangels Frost wohl leer geblieben sein.

Ein Radieschen, das Eiszapfen heißt

Eiszapfen sind essbar – sie schmecken knackig frisch und ein bisschen rass wie ein zarter Radi oder ein feines Radieserl. Mit diesen sind sie schließlich auch eng verwandt. Aufgrund ihrer schneeweißen Farbe und ihrer Zapfenform haben sie sich den Eiszapfen aber auch redlich verdient.

Ab dem 14. Jahrhundert werden sie in Mitteleuropa angebaut. Je nach Witterung sind sie bei uns Anfang Mai bis Mitte Juli regional zu kaufen. Sie schmecken als Rohkost oder im Salat. Sanft gegart und in Butter geschwenkt ergeben sie zusammen mit Karotten eine leichte Beilage.

DDR-Nostalgie zum Lutschen: Eiszapfen-Eis

Eiszapfen sind nicht nur essbar, sondern auch lutschbar: Das legendäre Stieleis der DDR gibt es auch über 25 Jahre nach der Wende noch.

Die Traditionsfirma Eisbär aus Apensen bei Buxtehude hat 1994 Produktionsstätten in Mecklenburg-Vorpommern übernommen und damit auch dem mit Schoko überzogenen Vanillezapfen eine Zukunft gegeben. Es gibt übrigens auch die Sorten mit Frucht und durch und durch Schoko. Aber ob der Geschmack noch so ist wie früher?

Do it yourself: So baut man sich einen Eiszapfen

Man nehme einen Kanister oder eine große Plastikflasche, bohre unten mit einer Nadel ein kleines Loch hinein und hänge den Behälter an eine gut zugängliche Stelle, zum Beispiel an einen Baum. Der Standort muss gut überlegt sein, denn man sollte bedenken, dass sich auf dem Boden später eine Eisschicht bildet, auf der man leicht ausrutschen kann. Nun tropft das von oben immer wieder nachgefüllte Wasser auf einen darunter zweiseitig befestigten Faden und läuft in dünnem Strahl daran entlang bis zum Boden. So bildet sich langsam ein Eiszapfen.

Alternative: Man lässt das Wasser auf ein Objekt, etwa einen Stiefel, rinnen. Dabei entsteht eine bizarre Eisfigur. Die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen sind natürlich ausreichend kalte Temperaturen – und die sind und bleiben in diesem Winter wohl leider Mangelware.

Hier geht es zurück zumHauptartikel über die Entstehung von Eiszapfen.

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