Gesellschaft
Die sündige Seite der Stadt Neumarkt

Drei Bordelle gibt es in der Stadt. Die Zahl dürfte steigen. Denn ein Gesetz verpflichtet Sexarbeiter, sich anzumelden.

17.11.2017 | Stand 16.09.2023, 6:21 Uhr
Bettina Dennerlohr

Wie viele Sexarbeiter es in Deutschland gibt, weiß niemand. Oft wird die Zahl 400 000 genannt – laut dem Statistischen Bundesamt lässt sie sich aber nicht fundiert belegen. Foto: Oliver Berg/dpa

Die sündige Seite der Stadt zeigt sich in einem flachen Bau im Industriegebiet. An der Tür des Hinterhauses steht ein sehr verbreiteter Nachname– wer dort klingelt, wird eingelassen in die Welt des Bordells. Hier arbeiten mehrere Frauen in wechselnder Besetzung. Wer wann welche Praktiken anbietet, kann der interessierte Kunde vorab im Internet nachlesen. Auf der Homepage stellen sich mehr als 20 Frauen mit freizügigen Fotos vor. Drei solcher Bordelle oder sogenannter „Modellwohnungen“ gibt es im Neumarkter Stadtgebiet. Dass es erstmals eine genaue Zahl gibt, liegt am sogenannten Prostituiertenschutzgesetz, dass im Juli verabschiedet wurde. Oberpfalzweit ist Neumarkt eine von nur vier Städten, in denen Prostitution überhaupt legal ist: In Orten mit weniger als 30 000 Einwohnern ist dieses Gewerbe in Bayern generell verboten.

Sexarbeiter brauchen Schein

Seit Juli ist eine offizielle Genehmigung nötig, um ein Bordell zu betreiben. Außerdem müssen sich Sexarbeiter behördlich registrieren lassen und bei der Arbeit ihre Anmeldebescheinigung bei sich tragen. Das, so das Ansinnen des Bundesfamilienministeriums, soll Sexarbeiter vor Ausbeutung, Missbrauch und Zwangsprostitution schützen. Gegen Ende des Jahres läuft die Frist für die Registrierung aus. In einigen Städten hat das Betriebsamkeit ausgelöst: In Münster, einer Stadt in NRW mit etwa 310 000 Einwohnern, werden bis zum Jahresende 600 bis 700 Anmeldungen erwartet. Die Stadt München hat mitgeteilt, die neue Regelung koste sie etwa 1,5 Millionen Euro für mehrere neue Arbeitsplätze: Eingestellt worden seien am Gesundheitsamt drei Ärzte, ein Sozialpädagoge und zwei Verwaltungskräfte, außerdem acht Planstellen plus Leitung für die Registrierung und neun Stellen für die Überprüfung der Bordellbetriebe.

Name und Daten verzeichnet

In Neumarkt ist das Echo freilich verhaltener. Eine Person hat hier bisher angegeben, ihr Geld mit Prostitution zu verdienen. Registriert wurden beim Rechtsamt dazu ihr voller Name, Geburtsort und -datum, Staatsangehörigkeit und die Länder oder Kommunen, in denen die Person vor hat, zu arbeiten. Das erklärt der städtische Pressesprecher Dr. Franz Janka. Zuständig für die Registrierung sei die Stadt Neumarkt nur dann, wenn der oder die Prostituierte ihren Arbeitsschwerpunkt hier hat. Das würde auch die Differenz erklären zwischen der Zahl der gemeldeten Prostituierten und der, die hier ihre Dienste anbieten. Kontrollieren, ob sich alle Sexarbeiter registriert haben, kann die Stadt allerdings nur beschränkt: Unangemeldete würden wohl nur während einer Polizeikontrolle auffallen, sagt Janka.

Viele Kommunen müssen wegen des neuen Gesetzes Stellen schaffen. Mehr dazu lesen Siehier.

Darauf, dass sich bald noch mehr Prostituierte anmelden könnten, deutet zumindest die Statistik des Neumarkter Gesundheitsamtes hin. Dort müssen sich Sexarbeiter vor dem Gang zu Stadtverwaltung beraten lassen. Drei Frauen haben die Beratung seit Juli besucht, berichtet Dr. Werner Richter, der Leiter des Gesundheitsamtes. In dieser Hinsicht zeige das neue Gesetz Wirkung, so Richter: Sonst habe sich keine einzige Prostituierte im Neumarkter Gesundheitsamt beraten lassen. „Wir informieren die Frauen über Infektionsrisiken und darüber, wie sie sich vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützen können“, erklärt Richter. Eine medizinische Untersuchung gehöre aber nicht zur Beratung. Die Union hatte Pflichtuntersuchungen für Sexarbeiter gefordert, diese waren aber nicht in das Gesetz aufgenommen worden.

Immer wieder werden Sexarbeiter Opfer von Gewalt. Erst in diesem Jahr wurde eine Prostituiertein Regensburg getötet.

Prostituiertenorganisationen laufen allerdings gegen die neue Regelung Sturm und haben unter anderem Verfassungsbeschwerde eingelegt. Hydra, eine Berliner Organisation, die die Interessen von Prostituierten vertritt und Sexarbeiter berät, sprach davon, die Registrierung verbreite eine „horrende Angst“. Die Anmeldung und die Arbeitsbescheinigung würden die Gefahr mit sich bringen, dass Prostituierte gegen ihren Willen „geoutet“ werden. Anonymität gegenüber Bekannten oder Verwandten sei für viele Sexarbeiter aber immer noch sehr wichtig. Simone Wiegratz ist Projektleiterin bei der Beratungsstelle Hydra und Vorstandsmitglied im Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Sie sagt im Gespräch mit unserem Medienhaus: „Die eigene Vorstellung von Moral spielt oft eine große Rolle, wenn Menschen Sexarbeit betrachten.“ Ihre Kritik am neuen Gesetz formuliert sie so: „Niemand hat etwas gegen eine steuerliche Anmeldung – aber das Finanzamt unterliegt auch dem Steuergeheimnis. Nun müssen sich Sexarbeiter behördlich mit Namen und Adresse registrieren. Viele haben nun Angst vor einem Outing, denn es gab schon Prostituierte, die bei einer Verkehrskontrolle auf ihre Arbeit angesprochen wurden. Für Berlin kann ich sagen, dass es hier sehr viele kleine Einheiten gibt, bei denen sich zwei oder drei Prostituierte eine Wohnung teilen. Nun muss aber eine von ihnen offiziell als Betreiberin auftreten und es gibt baurechtliche Vorschriften. Das können viele nicht leisten. Investieren können meistens nur die großen Bordelle.“ Um Prostituierten wirklich zu helfen, brauche es eine Debatte über Prostitution ohne moralische Bewertung. Außerdem sei Sexarbeit bisher ein Job mit wenig Voraussetzungen. Wer ihn ergreife, brauche aber bessere Bildungsangebote – von Fragen der Selbstständigkeit bis zur Fähigkeit, Grenzen zu setzen.

Noch ist das letzte Wort allerdings nicht gesprochen: Ob und wie lange das Gesetz Bestand hat, ist noch unklar: Der Frankfurter Verein Doña Carmen hat Verfassungsbeschwerde eingelegt.

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