Regensburg
Ein Flüchtlingsleben im Ostentor-Kino

20.12.2022 | Stand 15.09.2023, 2:26 Uhr
Peter Geiger
Bei der Filmvorführung im Ostentor-Kino in Regensburg: Nasrin Bassiri, Pia Clara Börtecene, Christine Kelm und Shokofeh Kosari (von links) beim Gespräch mit dem Publikum. −Foto: Peter Geiger

Die Dokumentaristin Christine Kelm hat mit „Shokofeh“ einer in Regensburg lebenden Exil-Iranerin ein filmisches Denkmal errichtet.

Geschichten von Flucht und Vertreibung, das sind meist traurige Geschichten. Weil sie von Verlust handeln und von biographischen Brüchen. Davon, dass Menschen ihre Heimat und ihre Familien verlassen und damit all das, was sie geprägt hat.

Auch Shokofeh Kosari ist es so ergangen: Aufgewachsen in einer großen Familie konnte sie in ihrem Heimatland, im Iran, ihren Traumberuf erlangen und wurde Schauspielerin. Sie spielte Beckett auf der Bühne und war in TV-Produktionen zu sehen. Als das Regime von Schah Reza Pahlavi durch die Islamische Revolution unter der Führung von Ayatollah Khomeini beseitigt wurde, änderte sich der Alltag für Frauen spürbar. Weshalb Shokofeh Kosari 1986 entschied, ihr Land zu verlassen. Eigentlich wollte sie in die USA. Nach Zwischenstationen in der Türkei und der DDR, aber blieb sie hier, in der Bundesrepublik, hängen.

Ein Leben wie ein Romanstoff

Christine Kelm ist eigentlich Realschullehrerin, hat aber ihrerseits ein Faible für die Bühne wie auch fürs Filmemachen. Weshalb sie hellhörig wurde, als sie vor ein paar Jahren die in Regensburg lebende Shokofeh Kosari bei einer Party kennenlernte. Deren Satz „Über mein Leben, da müsste man eigentlich einen Roman schreiben!“, der elektrisierte die langjährige Schultheatermacherin. So begann sie zu recherchieren. Sie schrieb ein Skript. Warb Gelder ein. Suchte sich einen Kameramann, einen Komponisten und eine Zeichnerin. Und so legte sie die Basis für den Dokumentarfilm, der 2019 schon entstanden ist und nunmehr den Vornamen seiner Protagonistin als Titel trägt.

Bei der Vorführung im Ostentor-Kino ist der Saal ziemlich voll. Auch wenn diese 52 Filmminuten hauptsächlich aus Gesprächen bestehen: Die Dokumentation, sie ist durchwegs spannend und kurzweilig. Weil die Personen, die hier zu Wort kommen, jeweils für Stationen stehen, die Shokofeh zu bewältigen hatte, auf ihrem oftmals steinigen Weg, hier anzukommen. Und uns Einblicke gewähren, in Sphären, die ansonsten „terra incognita“ blieben. Am meisten rühren dabei die Szenen an, in denen zwei Schwestern des in Landshut ansässigen Solanus-Ordens von „ihrer“ Shokofeh erzählen. Gleichzeitig lässt die Regisseurin die Vergangenheit dieser Ankunftsjahre lebendig werden, indem die Bilder sepiafarben werden und Pia Clara Börtecene in die Rolle ihrer Mutter schlüpft.

Der Film ist plötzlich hochaktuell

Ebenfalls anwesend ist die in Berlin lebende Exil-Iranerin Nasrin Bassiri: Die Politologin und Hochschullehrerin war in den 1980er Jahren in der Flüchtlingshilfe tätig und später im Bezirk Schöneberg Beraterin von Immigrantinnen. Auch Shokofehs Übersiedlung aus dem Ostteil der damals noch geteilten Stadt begleitete sie. Hier im Ostentor-Kino ist sie im Anschluss an die Filmvorführung eine gefragte Ansprechpartnerin: Denn der Film, der ein Frauenschicksal erzählt, er ist durch die jüngsten Ereignisse im Iran – nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die ihre Weigerung, ein Kopftuch zu tragen, mit dem Leben bezahlen musste – plötzlich hoch aktuell.

Nasrin Bassiri beantwortet die dringendste Frage aus dem Publikum, was Deutschland dazu beitragen könnte, dass die Anliegen der Protestierenden nicht verhallen, damit, dass rund Bundestagsabgeordnete bereits Patenschaften übernommen haben. Um so Demonstrierende, die nunmehr vom brutal seine Macht verteidigenden Regime zum Tod verurteilt wurden, zu schützen. In einer Welt globaler Vernetzung ganz bestimmt kein aussichtsloses Unterfangen.