Musik
Ein Jodler aus tiefstem Herzen

Jodeln war ursprünglich ein Verständigungsmittel, heute existiert eine urbane Variante – auch in Amerika und Afrika.

27.01.2017 | Stand 16.09.2023, 6:41 Uhr
Fred Filkron
Christian Zehnder aus Basel jodelt auf seine ganz eigene Art – in Anlehnung an Gesänge aus Tuva und der Mongolei. −Foto: Fotos: www.fotografin-giesder.de

Ein kräftiger Jodler kann die Welt retten! In Tim Burtons überdrehter Science-Fiction-Klamotte „Mars Attacks“ zerschmettert das kraftvolle Jodeln von Cowboy Slim Whitman die Gehirne eindringlicher Aliens. Dass das „unartikulierte Singen aus der Gurgel“, wie es in einem Reisebericht von 1810 noch heißt, derzeit fröhliche Urstände feiert, hat sicherlich andere Gründe als die Abwehr aggressiver Außerirdischer.

Im Jodeln taucht das Bild einer heilen Bergwelt auf, in der Ruhe und Gelassenheit herrscht. Gerade gestresste Großstädter entdecken deshalb das Jodeln für sich. Workshops werden in London, Wien und Prag angeboten. In Berlin-Kreuzberg hat gar eine eigene Jodel-Schule eröffnet. Die Kurse in München sind Monate im Voraus ausgebucht.

Sicherlich hat die neue Jodel-Welle auch mit unserer schnelllebigen Zeit zu tun: Ein Trend ersetzt schnell den nächsten. Aus Lust auf etwas Neues werden alte Kulturtechniken ausgegraben, die vormals noch als provinziell verspottet wurden. Doch die neue Jodelbegeisterung hat noch eine andere Dimension.

Im Gegensatz zum Singen erlaubt das Jodeln den einen oder anderen stimmlichen Schwenker. Die Angst, als Falschsinger entlarvt zu werden, ist gering. Der kraftvolle Ruf von Lauten und Silben und der hörbare Wechsel von der resonanten Brust- in die hohe Kopfstimme macht es eben auch ungeübten Sängern möglich, sich mit Verve ins Zeug zu legen.

Da der Jodler zudem ohne Text auskommt, funktioniert die Verständigung ganz ohne Sprache – ideal in unseren globalisierten Zeiten. Auf der anderen Seite muss man beim Jodeln aus sich herausgehen, muss die Töne laut vor sich herschmettern. Damit stärkt der Jodler sein Selbstbewusstsein.

Jodeln für ein breites Publikum

Geboren aus der Idee, den neuen Trend einem breiten Publikum anzubieten, stellte das Giesinger Trikont-Label in Zusammenarbeit mit dem Münchner Kulturreferat im Sommer vergangenen Jahres das „LAUT Yodeln“-Festival auf die Beine. In Workshops, beim Frühschoppen im Fraunhofer und vor allem im Münchner Volkstheater und der Allerheiligen-Hofkirche wurde gejodelt, was das Zeug hielt. Die CD „LAUT yodeln“ dokumentiert diese intensiven Tage.

Dass das Jodeln keine ausschließlich alpenländische Angelegenheit ist, bewiesen Künstler aus Amerika, Afrika und Großbritannien. Denn oft erfüllt das Jodeln die gleiche Funktion: über größere Entfernungen hinweg Informationen zu übermitteln. Der Stimmumschlag von Brust- in Kopfton ist lauter und durchdringender als ein normaler Ausruf. Den Bewohnern im Alpental wird mit einem Ruf angezeigt, dass oben auf der Alm alles in Ordnung ist – oder eben auch nicht. Im innerschweizerischen Muotatal werden die „Juuz“, wie die Jodelrufe dort heißen, bis heute zum Heimrufen der Kühe verwendet. Wenn man genau hinhört, soll man die Namen der Tiere heraushören können.

Im afrikanischen Regenwald wird das Jodeln hingegen als Lockruf bei der Jagd verwendet. Seit vielen Jahren schon verbringt das britische Paar Su Hart und Martin Cradick Wochen und Monate beim Volk der Baka-Pygmäen in Kamerun. 1992 entstand das Bandprojekt „Baka Beyond“, das die Baka-Jodel-Gesänge mit keltischem Folkrock, modernen Afro-Beats und westafrikanischem High-Life verbindet. Ob in den hohen Alpen oder im tief liegenden Tropengebiet: Aus den kurzen Jodelrufen kann sich auch ein komplexer, mehrstimmiger Gesang entwickeln, wie die Gruppen Baka Beyond oder Natur Pur aus der Schweiz beweisen.

Immer auf der Suche nach ausgefallenen Sounds ist bekanntermaßen auch die improvisierend-minimalistische Avantgarde-Szene. Der Basler Christian Zehnder stellt sein Jodeln in den Kontext von Oberton- und Kehlkopfgesängen, wie man sie aus Tuva und der Mongolei kennt. Eidgenossin Erika Stucky „jodelfiziert“ mitunter Gassenhauer von Dean Martin und verwendet ungewöhnliches Instrumentarium wie Spielzeugakkordeon und Schaufel.

Was den Alpen der Jodler, ist dem Bayerischen Wald die „Ari“. Dabei bezeichnet „Ari“ ein langsames Musikstück mit einfacher Melodie. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts kam der Begriff „Arie“ aus Italien nach Deutschland. Zweistimmig vorgetragene Lieder voller Melancholie gehen direkt ins Herz. Gar Dreistimmiges hat man bei nach Rumänien ausgewanderten Böhmer- und Bayerwäldlern wiedergefunden. Monika Drasch aus Hengersberg bei Deggendorf singt „Ari’n“ seit vielen Jahren. Ihren glockenhellen Sopran ergänzt sie mit Geige, Dudelsack und Flöte.

Lieder im „mountain style“

Einen gar amerikanischen Zugang zum Jodeln haben Yellow Bird aus Berlin und das Münchner Duo Black Patti gefunden. Wobei das Jodeln in den USA auf eine lange Tradition zurückblickt: Im Zuge der europäischen Auswanderung kommt es im 19. Jahrhundert in die Neue Welt. Reisende Jodelgruppen aus Tirol und Bayern gaben ihre Lieder im „mountain style“ zum Besten. In den bayerischen „Communities“ in New York oder im „German Triangle“ zwischen Milwaukee, Cincinnatti und St. Louis wurde in den landsmannschaftlichen Gastwirtschaften und Auswanderervereinen die Kultur der alten Heimat gepflegt.

Mit der Zeit eroberte der Jodelgesang auch die frühe Countrymusik. Der erste Hillybilly-Sänger, der ein Jodellied auf Schellackplatte veröffentlichte, war der blinde Gitarrist Riley Puckett. Der „Caruso der Berge“, wie man ihn nannte, löste 1924 einen wahren Jodel-Boom in den USA aus. Es dauerte nicht lange, bis auch schwarze Musiker auf den Jodel-Zug aufsprangen und Jodelrefrains anstelle kurzer Gitarrenläufe in ihren zwölftaktigen Blues einbauten. Jodelartige „Field Hollers“ hatten bisher schon die anstrengende Feldarbeit begleitet.

Vorbild für Slim Whitman aus „Mars Attacks!“ war übrigens der erfolgreiche US-amerikanische Country-Jodler Jimmie Rodgers, der nicht nur wie im Film dargestellt, sondern auch tatsächlich in Kenia wie ein Heiliger verehrt wird. Das Jodeln: auch damals schon ein wahrlich internationales Phänomen.

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