Ukraine-Krieg
Eine Plattform für Hilfsangebote fehlt

Die Geflüchteten haben alles verloren – und viele Neumarkter wollen helfen. Für die Koordinierung braucht es noch Akteure.

21.03.2022 | Stand 15.09.2023, 6:15 Uhr
Ob Eintopf oder Möbel, Kleidung oder Spielzeug: Viele Bürger unterstützen in diesen Tagen Geflüchtete mit Sachspenden. −Foto: Jens Kalaene/picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Bei Vera Finn steht das Telefon in diesen Tagen kaum still. Die zweite Vorsitzende der Bürgerstiftung Neumarkt versucht ihr Bestes, um Helfer und Hilfsbedürftige zusammenzubringen. „Es gibt so viele Menschen, die helfen wollen, aber nicht wissen, an wen sie sich wenden können.“ Ein Verteilzentrum für Sachspenden wäre eigentlich ideal, denn auf der einen Seite gilt es, Räume für Geflüchtete einzurichten – auf der anderen gibt es Anbieter, die vom Wickeltisch bis zum kompletten Hausstand vieles abzugeben haben.

Ein Verteilzentrum wäre allerdings sehr personalaufwendig, denn es braucht Leute, die die Spenden sichten, ordnen und die Verteilung koordinieren. Darüber hinaus erinnert sich Anna Lehrer vom Haus des Engagements in Pölling an 2015, als in der Eggenstraße Waren angenommen wurden. „Damals musste auch viel aussortiert werden, was unbrauchbar war.“ Deshalb wäre eine virtuelle Plattform sehr viel besser, ist sie überzeugt.

Wie so eine Plattform aussehen könnte, beweisen die Rotarier: Unter https:/rotary-fuer-ukraine.de/#angebot hat der weltweit aktive Service-Club auf nationaler Ebene eine Website eingerichtet, auf der nach Städten und Postleitzahlen geordnet Angebot und Nachfrage koordiniert wird. „So etwas bräuchten wir für den Landkreis Neumarkt“, sagt Vera Finn.

Landkreis fehlt das Personal

Der Landkreis, der von Rechts wegen für die Aufnahme der Flüchtlinge zuständig ist, hat derzeit keine Kapazitäten für so eine Einrichtung. „Es wäre ideal, wenn über die Bürgerschaft so etwas realisiert werden könnte“, sagt Pressesprecher Michael Gottschalk. Ganz abgesehen davon, dass etliche Mitarbeiter wegen einer Corona-Infektion fehlen, bindet die Unterbringung und Registrierung der Geflüchteten viel Personal. Sozialamt und Ausländerbehörde täten ihr Möglichstes, versichert Gottschalk, allerdings seien die Abteilungen auch schon vor der Flüchtlingswelle sehr gut ausgelastet gewesen. Deshalb könne es durchaus ein paar Tage dauern, bis Bürger eine Antwort erhielten, die eine Unterkunft angeboten haben. „Es geht vor allem darum, Geflüchteten die passende Wohnung zuzuordnen.“ Deshalb bittet er um etwas Geduld.

Ehrenamt:Dolmetscher: Unterkünfte:Treffpunkt:
Mimoza Marku leitet die Integrationsdienste des Malteser Hilfdiensts. Sie fungiert als Ansprechpartnerin für Bürger, die sich ehrenamtlich für Geflüchtete engagieren wollen. Kontakt: (0151) 11171231.Wer einen Dolmetscher sucht, kann sich an Sümeyra Aytar wenden, die im Pöllinger Haus des Engagements der Stadt Neumarkt arbeitet. Sie ist Ansprechpartnerin für Menschen mit Migrationshintergrund, ehrenamtliche Initiativen im Bürgerhaus sowie Integrationsangebote allgemein. Kontakt: (09181) 255-2612 , (0160) 892228, suemeyra.aytar@neumarkt.de.Wer ein Zimmer oder eine Wohnung für Geflüchtete zur Verfügung stellen möchte, wendet sich an das Landratsamt. Es bearbeitet alle Angebote und versucht, Geflüchtete und passende Unterbringungsmöglichkeiten zusammenzubringen. Kontakt: (09181) 470-1165 oder an wohnungsangebote-ukraine@landkreis-neumarkt.de.Wer das Angebot „Razom“ im Pöllinger Bürgerhaus der Stadt Neumarkt oder konkret Geflüchtete unterstützen möchte, kann sich direkt an Anna Lehrer wenden, Tel. 255-2610 oder anna.lehrer@neumarkt.de.

Von den mehr als 400 Menschen, die inzwischen offiziell aus der Ukraine nach Neumarkt gekommen sind, seien gut 300 von ihnen in eine Unterkunft weitervermittelt worden. Das sind die Personen, die sich bei Behörden haben registrieren lassen. Wie viele bereits über private Kontakte eine Bleibe gefunden haben, ist unklar.

Bis zum Ende der Woche soll gemeinsam mit den Bürgermeistern der Gemeinden ein Netzwerk entstehen, damit in jeder Kommune vor Ort ein Ansprechpartner für Fragen rund um die Flüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung steht. „Wir befinden uns gerade in der Abstimmung, damit wir die Hilfe in die Fläche bekommen“, sagt Gottschalk.

Mit demTreffpunkt „Razom“besteht bereits ein wichtiger Anlaufpunkt für Geflüchtete. Von Montag bis Donnerstag zwischen 15 und 17 Uhr bietet das Haus des Engagements in Pölling einen Raum für Gespräche mit geschultem Personal. Dolmetscher helfen bei der Beantragung von Unterstützung und Behördengängen, außerdem besteht eine Kinderbetreuung.

Anna Lehrer, Koordinatorin Engagierte Stadt, freut sich über weitere ehrenamtliche Unterstützung. „Die Hilfsbereitschaft ist enorm“, sagt sie. „Es ist bemerkenswert, wie viele Leute sich einbringen.“ Gesucht würden beispielsweise Personen, die Geflüchtete vom Rathaus oder Bahnhof in Neumarkt bis nach Pölling begleiten, wenn sie mit Bus oder S-Bahn zum Haus des Engagements fahren. Wer seinen ukrainischen Pass dabei hat, kann Stadtbusse und S-Bahn umsonst nutzen. „Es wäre ideal, wenn sie nicht allein gelassen würden, sondern sie jemand begleitet“, erklärt Lehrer. Abgesehen von Ukrainisch- oder Russisch-Kenntnissen wären zumindest Englisch-Kenntnisse sinnvoll.

Fuhrmann bietet Beratung an

Doch auch vonseiten des Bürgerhauses gibt es derzeit keine Pläne, um eine Plattform zu etablieren, auf der sich Ehrenamtliche wie auch Geflüchtete mit ihren Angeboten und Nachfragen zusammenfinden können. Bei der letzten großen Flüchtlingswelle 2015 hatte genau so eine Plattform der Neumarkter Verein Chancen statt Grenzen etabliert und betrieben. Der Verein wurde inzwischen aufgelöst.

„Ich habe gerade ein Déjà-vu“, sagt der damalige Vorsitzende, der FDP-Stadtrat und Unternehmer Peter Fuhrmann. Schon damals habe der große Bedarf an einem Austausch bestanden, deshalb habe sich der Verein gegründet. Er frage sich jedoch, warum die Behörden aus der Vergangenheit nicht gelernt hätten und selbst eine Börse betreiben.

Seine Mitstreiter und er haben jedenfalls nicht vor, den Verein wiederzubeleben. „Aber wenn jemand so eine Plattform begründen möchte, stehe ich jederzeit als Berater zur Verfügung“, verspricht Fuhrmann. „Es braucht jemanden, der den Hut aufhat.“ Finanzielle Unterstützung könnte nach Angaben von Vera Finn die Bürgerstiftung leisten.