Quantenphysik
Er war klüger als Einstein

Vor 100 Jahren wurde Richard Feynman geboren. Er hat die Nanotechnologie und den Quantencomputer „erfunden“.

10.05.2018 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Richard Feynman war Physiker und Bongospieler, Hobbyzauberer und Nobelpreisträger. Er war einer der bedeutendsten Physiker unseres Jahrhunderts und wahrlich kein gewöhnliches Genie. Neben seinen Arbeiten in der Physik, für die er mit dem Nobelpreis ausgezwichnet wurde, beteiligte er sich am Bau der Atombombe, trug zur Entwicklung völlig neuartiger Computer bei und klärte das Geheimnis um die Explosion der amerikanischen Raumfähre „Challenger“ auf. Foto: Richard Feynman/arte/dpa |

Ende der 1950er Jahre erregte C. P. Snow mit seiner These von den „zwei Kulturen“, die sich nicht verstehen können oder wollen und sich auch nicht füreinander interessieren, großes Aufsehen: Naturwissenschaftler und Sozial- oder Geisteswissenschaftler verhielten sich, so Snow, zueinander wie Angehörige zweier Stämme, die keine gemeinsame Sprache sprechen. Und obendrein seien den sogenannten Bildungsschichten Mathematik, Naturwissenschaft und Technik weitgehend fremd, ihre Resultate nur eine Sache für Spezialisten und nicht für eine breitere Öffentlichkeit.

Gilt diese These noch oder bröckelt sie bereits? Sie bröckelt vermutlich. Vor Kurzem erhielt ich auf meine ein wenig vernuschelte Frage nach Feynman in philosophischer Runde die prompte Rückfrage: der Physiker oder der österreichische Politiker? Der Physiker natürlich.

Dieser Richard Feynman, der vor 100 Jahren, am 11. Mai 1918, im New Yorker Stadtteil Queens als Sohn säkularer osteuropäischer Juden geboren wurde, ist der Hauptverantwortliche dafür, dass sich immer mehr Menschen auf das scheinbar abstrakt-unzugängliche Terrain avancierter Physik vorwagen. Und zwar mit populären, auch für gebildete Laien verständlichen Bestsellern („Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie“) und mit seiner speziell für den Universitätsbetrieb konzipierten Vorlesungsreihe „The Feynman Lectures on Physics“, die weit verbreitet war, lange bevor es Internet oder YouTube gab.

Ein begnadeter Vermittler

Feynman, der 1988 starb, war aber nicht nur ein begnadeter Vermittler, sondern auch ein bedeutender, innovativer Physiker, der 1965, im vergleichsweise jugendlichen Alter von 47 Jahren, für seine Forschungen zur Quantenelektrodynamik (QED) den Nobelpreis erhielt. Manche sind der festen Überzeugung, seine Beiträge zur Physik seien sogar wichtiger und wegweisender als die Einsteins. Andere weisen darauf hin, dass beispielsweise die Nanotechnologie oder der Quantencomputer durch Ideen und frühe Forschungen Feynmans aus den 1950er bzw. 1980er Jahren begründet wurden.

Verglichen mit den meisten seiner Kollegen war Feynman ein politisch bewusster und kritischer Physiker. Was sicher damit zu tun hatte, dass er als ganz junger Mann in den 1940er Jahren in Los Alamos entscheidend am sogenannten „Manhattan-Project“, also am Bau der ersten Atombombe beteiligt war, die ihre Vernichtungskraft dann in Hiroshima und Nagasaki unter Beweis stellte. Feynman fühlte sich mitschuldig, weil er als „reiner“ Forscher die politischen und militärischen Folgen seiner Arbeit nicht genügend bedacht hatte. Es ist die alte Geschichte vom Zauberlehrling. Feynman zog für sich die Konsequenzen und wurde unbequem. Bis kurz vor seinem Tod.

Lesen Sie auch: Astrophysiker Stephen Hawking ist tot

1986 wurde er in eine Untersuchungskommission berufen, welche die Challenger-Katastrophe untersuchen sollte, bei der sieben Astronauten ums Leben kamen. Gedacht war das von der US-amerikanischen Regierung eher als Alibi-Veranstaltung zur Beruhigung der aufgebrachten Öffentlichkeit. Feynman aber nahm seine Aufgabe ernst und gab in einem Minderheitenvotum der Nasa-Bürokratie die Hauptschuld an der Katastrophe.

Gut, C. P. Snow hatte mit seiner These vielleicht unrecht; aber doch nicht ganz. Es macht jedenfalls wenig Sinn, Feynmans wesentliche Arbeiten etwa zur Pfadintegralformulierung der Quantenphysik, zur Quantenchromodynamik oder zur Quantisierung der Graviation feuilletonistisch darstellen zu wollen. Obwohl Feynman zu den Physikern gehörte, die auf die „Anschaulichkeit“ ihrer Methoden und Resultate großen Wert legten. Den inhaltsleeren Formalismus von Teilbereichen seiner Disziplin verabscheute er und beschimpfte ihn als „Cargo Cult Science“.

Populär durch einen Kinofilm

Verständlicher und für den menschlichen Alltag folgenreicher wurden seine Forschungen seit den späten 1950er Jahren. Da wandte er sich zunehmend der Festkörperphysik zu. 1959, also im selben Jahr wie C. P. Snow, hielt er am Caltech in Pasadena eine berühmte Rede. Ihr deutscher Titel: „Ganz unten ist eine Menge Platz“. Von vielen wird sie als Gründungsdokument der Nanotechnologiue betrachtet. Er forschte auch zu makroskopischen Quantenzuständen – scheinbar ein Widerspruch in sich –, die bei sehr, sehr tiefen Temperaturen auftreten. Anfang der 1980er Jahre schließlich hielt er einen Workshop zu der Frage, ob man denn quantenphysikalische Zustände mit herkömmlichen Computern simulieren könne. Seine Antwort: Nein, man brauche dazu einen anderen, leistungsfähigeren Typ. Das war die Geburtsstunde des sogenannten Quantencomputers, der mittlerweile kurz vor der Marktreife steht und von dem sich viele in den verschiedensten Bereichen Revolutionäres erwarten. Populär wurde Feynman übrigens auch durch den Film „Infinity“ (1996, mit Matthew Broderick und Patricia Arquette), der die zu Herzen gehend romantische, weil todgeweihte Liebe zwischen Feynman und seiner ersten Frau Arline schildert, die 1945 ganz jung an einer schweren Tuberkulose gestorben war.

Hier geht es zum Ressort Panorama.