Ausstellung
Heinrich Kley – Walt Disneys Vorbild

Die Villa Stuck zeigt groteske und satirische Bilder von Heinrich Kley – er gilt als Urvater vieler Geschöpfe von Walt Disney.

03.03.2011 | Stand 16.09.2023, 21:08 Uhr
Thomas Dietz

München.Bevor man in der Villa Stuck die weißen Treppen zur Heinrich-Kley-Ausstellung emporsteigt, kommt man um die schweren braun-goldenen Wohngemächer des „Malerfürsten“ Franz von Stuck nicht herum. Sie machen uns in ihrer kostbaren Düsternis klar, wie weit das Lebensgefühl der vorletzten Jahrhundertwende verweht ist. Was will man in diesen Räumen eigentlich tun, außer sich müde, schwül parfümiert und in perfekter Abendgarderobe auf dem Diwan zu drapieren, um zu schwersten Rotweinen mit Rauschgift Gedichtvorträgen zu lauschen?

Das Thema Lebensgefühl verlässt einen nicht: „Heinrich Kley (1863-1945) – ein Meister der Zeichenfeder im Kontext seiner Zeit“ heißt die Ausstellung über den ein bisschen vergessenen Maler und Zeichner, der die Ängste der Menschen vor der Industrialisierung, die Furcht vor stählernen Maschinen, dem modernen Maschinenkrieg und dem alles entseelenden, schwindelerregenden Lebenstempo thematisierte. Kley war ein zu Lebzeiten populärer und gut bezahlter Industriemaler. Aber richtig berühmt wurde er mit seinen humoristischen, satirischen und grotesken Federzeichnungen, die meist in der Wochenzeitschrift Simplicissimus und in dem Kultblatt Jugend erschienen.

Elefanten, Lurche und Krokodile

Kleys skurriles Genie hat seinen amerikanischen Kollegen Walt Disney begeistert und inspiriert. Disney plünderte bekanntlich ungeniert die Bilderwelten des alten Europa und baute sie in seine Trickfilme ein. Daher sehen Teile des Entenhausener Stadtbildes so altfränkisch aus; in Cinderellas rosa Schloss ist Neuschwanstein eh leicht zu erkennen. „Walt Disneys wunderbare Welt und ihre Wurzeln in der europäischen Kunst“ hieß eine Ausstellung, die 2008 in der Münchner HypoKunsthalle gezeigt wurde.

München.Heinrich Kley wurde besonders für seine originellen Mensch-Tier-Allegorien geschätzt, mit denen er menschliche Verhaltensweisen pointiert darstellte. Walt Disney liebte ganz besonders Kleys „Boxende Hasen“ von 1920, seine tanzenden oder schlittschuhlaufenden Elefanten, Lurche und Krokodile. „Ohne die wundervollen Zeichnungen von Heinrich Kley hätte ich meine Kunstschulklassen nie zu diesen Animationszeichnungen bringen können“, sagte Disney 1964 in einem TV-Interview. Daraufhin nahm die Witwe Emily Kley mit Walt Disney Kontakt auf, der ihr einige Blätter und Skizzenbücher abkaufte. Aber da war Kley schon fast 20 Jahre tot. Drei Kunststofffiguren (Elefant, Krokodil und Nilpferd, tanzend) und Animationsskizzen unbekannter Künstler der Disney-Studios zeigen die geniale Transformation in die Bewegung.

Kleys Arbeiten werden in der Ausstellung von zeitgenössischen Bildern begleitet – viel Franz von Stuck natürlich, Max Klinger, Alfred Kubin, Karl Arnold. Man spürt die Faszination des lodernden Industrie- und Hüttenwesens, dessen so dämonischen Fortschrittsspirit Kley in seinen Gemälden nicht nur für seine Auftraggeber offenbar genau traf. Man sieht Kleys Naturstudien – Wolken überm Meer, irisierende Muscheln am Strand, nun ja, gut gemacht; nett. Aber es sind immer wieder die eigenwilligen Satiren und Grotesken von virtuoser zeichnerischer Präzision, die beim Betrachter Regungen auslösen: die Affen mit abstrus überdimensionierten Damenhüten der Kaiserzeit, „die Belastungsprobe“ von 1912, wo der Deutsche Michel durch die aufgebürdete Flottenrüstung, die Vollendung gotischer Dome und die zahllosen neuen Reiterstandbilder erschöpft durchhängt. Und dann steckt ihm auch noch ein Bischofsstab im rückwärtigen Unterleib.

Weiber als „Rosinen im Kuchen“

Erotik, Versuchung und Verführung sind starke Themen in Kleys Werk und natürlich besonders bei der allmählich schwindenden Sittenstrenge des Kaiserreiches: 1912 zeichnet er Weiber als „Rosinen im Kuchen“, setzt gern mythologische Wesen ein, z.B. lüsterne Zentauren und anschmiegsame Nymphen. Richtigen Ärger gab es nach Veröffentlichung der Zeichnung „England siegt“ (1910): Da hat nämlich ein englisches Water Closet das deutsche Plumpsklo bezwungen und schwenkt eine Klopapierrolle mit der Aufschrift „Britannia rule the waves“.