Sammler
Kenner schnuppern am Zinndeckel

Menschen, die Bierkrüge sammeln und lieben, trafen sich am Wochenende in Beilngries – zu einer großen Tauschbörse für die bunten Kostbarkeiten.

09.09.2012 | Stand 16.09.2023, 7:26 Uhr
Thomas Dietz

Insgesamt 250 historische Krüge wurden vorgestellt. Foto: altrofoto.de

Mittags juckt es den Vereinsvorsitzenden in den Fingern: „Jeder Krug 1 Euro“, ruft Harald Busse in den Tagungsraum. Alles zuckt zusammen, der Scherz hat gesessen. Irritiert wenden die Krugsammler ihre Blicke von den bunten Kostbarkeiten auf den Tischen: „Der Busse wieder!“ Nein, für einen Euro gibt’s hier nix. Das teuerste Stück – ein seltener Reservistenkrug aus China um 1900 („Kanonendonner ist unser Gruß!“) mit Flasche und Pfeife – ist auf 6000 Euro angesetzt.

Sonniger Samstagvormittag im schönen Beilngries im Altmühltal. Oben im 3. Stock des Romantikhotels „Der Millipp“ beginnt die erste Tauschbörse des Vereins „Die Krugsammler e.V.“ Man hat sich erst im November vorigen Jahres in Dinkelsbühl neu gegründet – eine Abspaltung vom Krugverein „Alte Germanen“. Sammler und Händler hätten sich, wie man hört, voneinander getrennt und „die echten Krugsammler“ wären nunmehr unter sich.

R. Ron Heiligenstein, eine US-Kapazität der Bierkrugsammler und Verfasser des Standardwerkes „Regimental Beer Steins – Reservistenkruge 1890-1914“ kam eigens aus Tucson, Arizona, um hier seine ohnehin schon spektakuläre Sammlung mit erlesenen Stücken zu vervollständigen. Die meisten seiner Schätze pflegt er aber in der US-Abteilung von E-Bay zu finden. Im Amerikanischen heißt Krug „stein“, Engländer sagen „mug“.

Krüge, die noch nie jemand sah

Viele Gäste haben den Hinweis in der Zeitung gelesen und bringen, dick in Papier eingewickelt, ihre Bierkrüge vorbei, damit sie einer der hiesigen Experten begutachten kann: Günter Motzet und seine Frau packen einen schönen Krug aus, der einen jungen Mann mit Studentenmütze, roter Fahne und der Aufschrift „Gleiches Recht für Alle!“ zeigt, außerdem „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Das gute Stück aus dem Umkreis SPD/Arbeiterbewegung ist rund 100 Jahre alt und dürfte etwa 150 Euro wert sein.

Alle hier ausgestellten Bierkrüge sind eine wahre Augenweide, da gibt es Steinzeug- oder Figurenkrüge, Berufs- und Zunftkrüge, Mettlach-, Studenten- und Fayencekrüge, Brauereikrüge und die Reservistenkrüge, die offenbar eine besondere Stellung innerhalb der Krugkultur einnehmen: „Das ist ja das Tolle an diesem Sammelgebiet“, erklärt Harald Busse, „es tauchen immer wieder Krüge auf, die noch nie jemand gesehen hat.“ Krüge, die jahrzehntelang wohlgehütet auf ihrer Filzunterlage in der Vitrine standen und von Erben, die nichts damit anfangen können, auf dem Flohmarkt oder bei E-Bay angeboten werden.

So ein Reservistenkrug war im 19./20. Jahrhundert ja praktisch eine Ehrbarkeits-Urkunde für den Mann. Die Frage „Haben Sie gedient!?“ (aus dem „Hauptmann von Köpenick“ wohlbekannt) war in der kaiserlichen Gesellschaft von elementarer Bedeutung. Wer gedient hatte, signalisierte, dass er nicht vorbestraft, körperlich unversehrt war und den Dienst durchgestanden hatte, also zu etwas taugte.

„Allerdings sind auch viele Replikate von Bierkrügen im Umlauf“, sagt Harald Busse, die meiste Neuware stammt aus dem Westerwald und kostet so um die 20 Euro. Dabei ist es gar nicht schwer, einen neuen Krug zu erkennen: Wenn z.B. das Bodenbild eine erotische Szene zeigt. In alter Zeit war dergleichen undenkbar. Oder wenn ein Soldat mit Blumenstrauß dargestellt wird: Die ganze Kaserne hätte sich damals halb tot gelacht, wäre ein „stolzer Soldat“ mit einem Blumenstrauß umhergelaufen.

„Reserve hat Ruh!“

Krugsammler Wolfgang Gult aus dem nordbadischen Kraichtal pflegt am Zinndeckel zu schnuppern, um das Alter zu prüfen: „Alte riechen gar nicht, neue riechen nach Legierung“, sagt er. Besonders Blei schnuppert man heraus. Wolfgang Gult wurde 2011 die US-Würde „Master of Steinologist“ der SCI (Stein Collectors International) verliehen, der Vereinigung, der auch Bierkrugpapst Ron Heiligenstein angehört. Gult kann sich noch gut an den ersten Reservistenkrug seines Lebens erinnern: Es war 1972 in Ost-Berlin. Er stand in einer Kneipe. Die Wirtin hat ihn für 50 DM abgegeben, weil sie eine neue Perücke brauchte – die bekam man damals nur für Westgeld.

Nach drei Stunden ist der Vereinsvorsitzende Busse zufrieden: „Es war mehr los, als ich’s mir für das erste Mal erträumt habe.“ Schöne Krüge mit Aufschriften wie „Reserve hat Ruh!“, „Meine Dienstzeit ist nun aus/ sei gegrüßt, liebes Vaterhaus“, „Ich hab gedient zu Pferd und Fuß/ ich hab gegeben manchen Kuß“ oder „An des Kessels heißer Wand/ schwitzen wir fürs Vaterland“ fanden neue Besitzer. Im nächsten Jahr trifft man sich „irgendwo zwischen Dresden und Meißen. Wir wollen ja auf die Leute zugehen.“