Nach 250 Metern Fahrt ist die praktische Fahrprüfung schon missglückt: Beim Autohaus Baumer steht ein Lkw zum Entladen auf der rechten Seite, vorm Hellinger Kreisel staut sich der Verkehr und es ist Gegenverkehr. Man fährt halt dann einfach weiter, am Lkw vorbei. Der Entgegenkommende hat ja auch eine Bremse …
Pkw- und Lkw-Führerschein
Ich habe mir die Aufgabe gestellt, meine These zu überprüfen, der ich bis zu diesem Tag felsenfest vertraut habe: Ich bin ein guter Autofahrer. Seit dem 28. Dezember 1977 habe ich den Führerschein der Klasse B (alter Dreier) in der Tasche, am 25. März 1981 bei der Bundeswehr noch den Lkw-Führerschein gemacht. Den habe ich aber mittlerweile verfallen lassen, (hoffentlich) kein Bedarf mehr, mir mit Kieskutschen den Lebensunterhalt zu verdienen. Ich habe bei jährlicher Fahrleistung von mindestens 30 000 Kilometern in knapp 39 Jahren rund 1,17 Millionen Kilometer zurückgelegt, also fast 30 mal den Erdball umrundet, drei Unfälle gehabt, bei denen ich, jeweils von der Polizei festgestellt, nicht selber schuld war und ich habe bislang keinen einzigen Punkt in Flensburg – kurzum, ich würde mich als guten Autofahrer bezeichnen.
„Nein“, sagt da Manfred Wöhrmann, Chef der gleichnamigen Fahrschule in Abensberg zu mir. Aber eine weitere Grundannahme von mir, dass man nach Jahren des Fahrens vieles vergisst und dass es manchmal ganz sinnvoll wäre, sich eine Fahrstunde zu gönnen, ist schon vorher bestätigt worden: Bei der theoretischen Prüfung wäre ich mit 30 von 100 Fehlerpunkten ebenso nicht durchgekommen.
Freilich, bevor das Ergebnis zu sehr am Selbstbewusstsein nagt, richten Manfred und seine Gattin Sonja mich mental wieder ein bisschen auf. Unisono sagen sie, dass sie keine Angst gehabt haben, mit mir mitzufahren, dass mein Fahrstil, drücken wir es euphemistisch aus, eben individuell ist.
So kann man auch beschreiben, dass bei der simulierten „Prüfungsfahrt“ halt die 20-er-Zone durch die Stadt, so manches „versteckte“ Rechts- vor Links“ und auch das richtige Abbiegen in einer Einbahnstraße (na, wo darf das Auto fahren bei einem Abbiegen aus einer Einbahnstraße nach links, Hand aufs Herz, hätten Sie das gewusst, dass man da ganz nach links muss?) eben nicht mehr so dem Lehrbuch entsprechen. Freilich, das Fahrzeug war neu, der 3-er Audi entpuppt sich trotz aller äußerlichen Schnuckeligkeit denn doch als größeres Gefährt als angenommen und so ist die ausgesuchte „nächste Wendemöglichkeit“ folgerichtig auch zu klein, um in einem Zug rumzukommen… Tja, ich war schon immer groß im Erklären...
Beispiele aus dem Jahr 2016
Es ist wohl nicht bloß eine gefühlte Wahrheit, dass sich die Unfälle mit Beteiligung von Senioren Gefühlt mehren. Ein Beispiel ist diese Unfallmeldung der Polizei Mainburg: „VU ohne Verletzte:
„Gegen eine Hausmauer und in ein Schaufenster krachte am 12. Juli 2016 gegen 09.05 Uhr in Mainburg, Bahnhofstraße ein 75-jähriger Mercedes-Fahrer aus Mainburg. Anstatt aus einem Parkplatz rückwärts herauszufahren, prallte er vorwärts an die Hausmauer und in das Schaufenster. Verletzt wurde dabei niemand, der Sachschaden beläuft sich auf insgesamt rund 4500 Euro.“
Aber so glimpflich geht es manchmal nicht ab, wie diese Meldung der dpa aus der Oberpfalz Anfang Mai beweist: „Eine 86 Jahre alte Autofahrerin hat in der Oberpfalz beim Ausparken aus ihrer Garage eine Fußgängerin angefahren und getötet. Die 83 Jahre alte Rentnerin wurde zwar noch in das Klinikum Bayreuth geflogen, dort verstarb die Frau aber nach wenigen Stunden. Die greise Fahrerin war am späten Freitagnachmittag rückwärts aus ihrer Garage gefahren und hatte das Opfer, das in der Hofeinfahrt stand, erfasst. Wie die Polizei berichtete, wurde die 83-Jährige überrollt und einige Meter mitgeschleift.
Sind Senioren also eine tickende Zeitbombe? Wenn schon ein 56-Jähriger zumindest nach den strengen Prüfungsregeln nicht mehr die Fahrprüfung bestehen würde?
Die Polizeiinspektionen im Landkreis Kelheim, die Inspektion Kelheim und die Inspektion Mainburg unterfüttern meine These mit Zahlen aus dem Jahr 2015: „Insgesamt kam es im Landkreis Kelheim zu 3802 Verkehrsunfällen.
Bei den Fahranfängern im Alter von 18 bis 24 Jahren kam es zu 281 Verkehrsunfällen. Die Hauptursachen für die Unfälle in diesem Altersbereich ist die nicht angepasste Geschwindigkeit. Zusätzlich zur Geschwindigkeit kommt dann das Abkommen von der Fahrbahn. Anzumerken ist, dass hier ein leichter Rückgang im Gegensatz zum Jahr 2014 feststellbar ist.
Bei den über 55-jährigen Verkehrsteilnehmern kam es insgesamt zu 432 Verkehrsunfällen.
Die Hauptursache in dieser Altersgruppe sind Vorfahrtsverstöße und Abbiegefehler sowie Fehler beim Wenden und Rückwärtsfahren. „Hier ist ein minimaler Anstieg im Vergleich zum Jahr 2014 zu vermerken“, teilt die Polizei mit.
Nun, mit meinen 56 Lebensjahren zähle ich mich noch nicht zum alten Eisen, aber zugegeben, so taufrisch, dass ich Bäume ausreißen könnte, fühle ich mich zunehmend seltener. Die Augen lassen nach, was wohl nicht zuletzt an jahrzehntelanger Computerarbeit liegt. Die Reaktion, so bestätigt mir Manfred Wöhrmann, bei einer Gefahrbremsung ist indes gut. Na, wenigstens was.
Und dass es bei der theoretischen Prüfung nicht klappte, war für ihn klar: „Manches vergisst man halt wieder“, sagt der 47-Jährige und zudem sei die Sache anders aufbereitet als zu der Zeit, als ich den Führerschein machte. Das stimmt, denn die Fragen, die mittels Tablet und Filmchen gestellt werden, sind teilweise schon recht kompliziert und lassen Möglichkeiten offen, die man als erfahrener Autofahrer zwar weiß, aber so eben nicht bedenkt. Bei 30 Fragen in der theoretischen Prüfung darf man maximal zehn Fehlerpunkte haben, ansonsten kommt man gar nicht mehr dazu, die praktische Fahrprüfung abzulegen. 30 Minuten hat man dafür Zeit, vier Fahrlehrer bereiten in der Fahrschule Wöhrmann die Prüflinge darauf vor. Und natürlich gilt heute wie damals: Man muss den Stoff lernen, heute per Tablet und App.
Grundvoraussetzung, um zur Führerscheinprüfung zugelassen zu werden, ist nicht nur die Einschätzung des Fahrlehrers, wie gut jemand den theoretischen Stoff gepaukt hat, sondern auch eine Reihe von Pflichtfahrstunden: Fünf Überlandfahrten, vier Autobahnfahrten und drei Nachtfahrten (die Stunde ist in der Fahrschule 45 Minuten lang) sind Voraussetzung, dass Manfred Wöhrmann oder seine Gattin Sonja jemandem vorschlagen, sich zur Prüfung anzumelden.
Zwischen 1500 und 2000 Euro
Und im Gegensatz zu früheren Zeiten ist der Führerschein mittlerweile ein kostspieliges Vergnügen: Zwischen 45 und 55 Euro liegen die Stundensätze in Abensberg, Sonderfahrten kosten zehn Euro mehr, so dass zwischen 1500 und 2000 Euro zusammenkommen, bis man den begehrten Schein in Händen hält. Und wenn jemand durchfällt, wie das mir passiert wäre, ist man weitere 500 Euro los.
Dabei liegt die Durchfallquote bei 19 Prozent in der Fahrschule der Wöhrmanns – wesentlich besser als die 35 Prozent, welche im Durchschnitt bundesweit das erste Mal durchrasseln. „Es ist immer schön, wenn alle bestehen“, sagt Manfred Wöhrmann, aber gleichzeitig gibt er zu bedenken: „Wenn nie einer durchfällt, führt das zu Nachlässigkeit. Sowohl beim Fahrlehrer als auch beim Fahrschüler“. Zudem sei der gesenkte Daumen des Prüfers in den allermeisten Fällen völlig gerechtfertigt, weil es halt vorkommen könne, dass jemand etwas übersieht oder einfach zu aufgeregt ist, wenn es in der Dreiviertelstunde um den Erwerb des Führerscheins geht.
Bestrebungen, vor allem von Versicherern, eine Blackbox wie bei einem Flugzeug im Auto zu integrieren, sieht Manfred Wöhrmann positiv. Er fände es aufgrund dann vorliegender Daten gerechter, wenn eine Versicherung sagt, sie zahlt oder zahlt nicht – Stichwort Teilschuld.
Dass ältere Verkehrsteilnehmer in der Regel schlechter fahren als jüngere, will Wöhrmann nicht bestätigen. Viele Ältere aber kämen zum Beispiel zu Vorträgen, die er beispielsweise beim VdK halte, viele zeigten zudem Einsicht, dass sie eben nicht mehr so fit sind, wie jemand der mitten im Leben steht. Aber es müsse immer eine Einzelfallentscheidung bleiben, ob jemand den Führerschein behalten darf. „Wo anfangen, wo aufhören?“, sei die Frage.
Eine Chance sieht der Fahrlehrer in der fortschreitenden Technik: Fahrsimulatoren werden immer ausgereifter und können genauestens abprüfen, wie fit ein Verkehrsteilnehmer ist. Das wäre nicht nur für die Ausbildung eine große Erleichterung. Allerdings sind die Dinger noch teuer: 50 000 Euro sind eine Menge Holz. Mit der Gewissheit, besser aufzupassen, bin ich seither unterwegs. Die Nachhaltigkeit des Willens ist beschränkt, nach Unfällen, über die es leider immer wieder in meinem Beruf zu berichten gibt, wieder stärker, auf der Heimfahrt über die Autobahn mit der Aussicht auf ein arbeitsfreies Wochenende oder während der Woche auf der Fahrt „schnell zum Termin“ wesentlich geringer.
So ist er halt, der Autofahrer. Halt auch bloß ein Mensch.
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