Abenteuer
Neumarkter liebt Reiseziel „Tschernobyl“

Olaf Schumann wollte sehen, wie es dort nach der Reaktorkatastrophe heute aussieht. Aus einem Mal wurde eine Leidenschaft.

14.03.2019 | Stand 16.09.2023, 5:50 Uhr
Lothar Röhrl

Olaf Schumanns Begleiter bei jeder Reise nach Tschernobyl ist dieser Geigerzähler. In der MZ-Redaktion maß er eine Strahlung von 0,15 Mikrosievert pro Stunde; unbedenklich sind bis zu 0,24/Stunde. Foto: Röhrl

Die einfache Nennung des Namens erzeugt weltweit Erschaudern. Als Ende April 1986 die Bilder vom geborstenen Reaktorblock um die Erde gingen, war der Neumarkter Olaf Schumann gerade zwölf Jahre alt. Welche Auswirkungen die Katastrophe in dem ukrainischen Kernkraftwerk bis nach Neumarkt hatte, merkte er, weil sein geliebtes Pilzesammeln aus den Gewohnheiten seiner Familie gestrichen wurde.

Mittlerweile hat einerseits seine Neugierde gesiegt und andererseits wollte er wissen, was aus den Menschen von Tschernobyl geworden ist: Olaf Schumann hat sich dort umgesehen. Mehr noch: Er will das regelmäßig weiter tun. Dabei will er Interessierte aus der Oberpfälzer Heimat mitnehmen. Bei einer Reise dorthin geht es ihm um zwei Botschaften: „Man soll sich bewusstmachen, wie gefährlich Kernkraft ist. Vor allem sollen alle Bemühungen vorangetrieben werden, um Alternativen beim Einsatz anderer Energieträger zu schaffen.“

Warner vor der Kernkraft

Olaf Schumann befürchtet, dasstrotz Tschernobyl 1986und dem GAU (Größter Anzunehmender Unfall) im japanischen Fukushima 25 Jahre später aktuell Kernkraft gar wieder hoffähig als Alternative zur schmutzigen Braunkohle oder zum neue Abhängigkeiten verursachenden Erdgas gemacht werde. Freilich: Zu deutschen Meilern hat er mehr Vertrauen als in jene, die russischer Bauart sind. Er sieht aber auch Probleme in der sicheren Endlagerung und hofft, dass alternative Energiearten bald richtig ausgereift zur Verfügung stehen.

„Wer wissen will, wie gefährlich Kernkraft ist, der soll mal hinfahren.“Olaf Schumann über Tschernobyl

„Wer wissen will, wie gefährlich Kernkraft ist, der soll mal hinfahren“ – sagte Schumann. Das erste Mal, dass er das tat, war im Dezember 2015. Dazu muss man wissen, dass Olaf Schumann mit seinen mittlerweile 44 Jahren ein erfahrener Reisender ist. „Mein Ziel ist, möglichst viel von der Welt zu sehen.“ Doch die Vorbereitung zur ersten Fahrt nach Tschernobyl passte genauso wenig in den üblichen Rahmen wie die Fahrt selbst. Immerhin fand Schumann über die Internetadresse www.chernobylme.com“ einen Anbieter, der auf Touren nach Tschernobyl von der Hauptstadt Kiew aus spezialisiert ist.

Überraschende Normalität

Neugierig machte ihn vor allem, wie es um Mensch, Tier und Pflanzenwelt 30 Jahre nach der Katastrophe steht. Um eines vorwegzunehmen: Genmutierte Hirsche etwa mit einem 50Ender-Geweih bekam er nicht zu Gesicht. Dafür erstaunlich viele Menschen, die in Tschernobyl arbeiten. Vorwiegend sind das Wissenschaftler und Arbeiter. Denn 33 Jahre nach der Kernschmelze im vierten von vier Blöcken des Atomkraftwerks (AKWs) muss alles unternommen werden, um die noch immer mega-tödliche Strahlung im Inneren der beiden Sarkophage, die mittlerweile den havarierten Block vier überspannen, zu halten.

Hier sehen Sie einige Bilder von Schumanns Reisen nach Tschernobyl:

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Und dennoch: Olaf Schumann kann sich noch an das beklemmende Gefühl bei seiner ersten Reise während der eineinhalbstündigen Autofahrt von Kiew aus erinnern. 30 Kilometer vor dem AKW Tschernobyl wurde die erste Kontrolle passiert. Das ist der Punkt, wo die erste der drei Sicherheitszonen rund um das AKW beginnt. Nach weiteren 20 Kilometern war Zone zwei erreicht. In dieser liegt die Stadt Tschernobyl. In der eben von spezialisiertem Personal bewohnten Stadt erinnerten Denkmäler Olaf Schumann an die Menschen, die in den ersten Tagen nach dem GAU schutzlos den Löscharbeiten ausgeliefert waren: die meisten Feuerwehrkräfte und Soldaten die ersten Einsatztage meist nicht überlebt. Übrigens: Bis heute werde laut Olaf Schumann davon ausgegangen, dass an den direkten und indirekten Folgen der Reaktorkatastrophe rund 1,44 Millionen Menschen verstorben sind.

Brutaler Abschied

Das, was man mit menschenleerer Todeszone als Vorstellung von Tschernobyl verbindet, fand Olaf Schumann nicht nur bei dieser ersten Fahrt ausschließlich in Pripyat vor. Diese Stadt liegt in der dritten Zone und damit direkt neben dem Kernkraftwerk. „In der Sowjetunion sollte das die modernste Stadt werden. Rund 50 000 Menschen lebten schon. Ein Erweiterung auf 78 000 war beschlossene Sache, als der 26. April 1986 alles über den Haufen warf“, berichtete Olaf Schumann.

Der Befehl der rigorosen Evakuierung Pripyats am Tag darauf habe alle betroffen. Von einem Moment zum anderen musste alles ver- und damit auch zurückgelassen werden. Dabei war zunächst noch versucht worden, mit primitivsten Mittel gegenzusteuern. Schumann empfand es als grotesk, dass er einen Raum einer Schule voll mit Gasmasken vorfand. „Da liegen gut 10 000 Stück herum. Die müssen damals ungebraucht zur Schule gebracht worden sein.“ So liegen sie noch heute herum. Der Gedanke daran, wie es gerade den Kindern in dieser auf Reißbrettern entworfenen Stadt gegangen sein musste, mache ihn immer noch sehr traurig.

Wie im Horrorfilm gefühlt

„Hier erlebt man, wie es ist, denn mit einem Schlag alles weg sein kann. Hier lernt man Demut.“Olaf Schumann über Tschernobyl

Zu diesem ersten Mal im Jahr 2015 sind noch einige weitere Besuche hinzugekommen. Gerade jeder Aufenthalt wirke wie das Spielen einer Rolle in einem Horrorfilm. „Alleine über von Gras zunehmend überwucherte Straßen gehen, vorbei an leeren Hochhäusern: Das ist so unwirklich“. Angst um seine Gesundheit habe er dennoch nie gehabt. „Es heißt, dass die Strahlung im Freien 80-mal geringer ausfällt als ein Röntgenbild der Brust.“ Das kontrolliere er mit einem Geigerzähler, den er seit der ersten Fahrt dabei hat. Und schließlich gebe es auch noch die offiziellen Kontrollen beim Verlassen der Sicherheitszonen. Die Einnahme von Jodtabletten wird zudem dringend empfohlen. Denn schließlich soll die Schilddrüse geschont werden. Wohl aber sollte man die Finger von Metallteilen lassen. „In Pripyat habe ich mal ein solches gemessen. Der Geigerzähler hat dann einen Dauerton losgelassen – so enorm war die Belastung.“

Olaf Schumann hat einen besonderen Bezug zu Tschernobyl aufgebaut. „Hier erlebt man, wie es ist, denn mit einem Schlag alles weg sein kann. Hier lernt man Demut. Und hier erkennt man, welch eine schöne und auch sichere Heimat wir mit dem Raum Neumarkt haben.“ In Deutschland lebe man in einer absolut heilen Welt. Sein bester Freund, der ihm wie Bruder ist, hat ihn schon bei der ersten Tour begleitet – und tut es immer noch. Für die Zukunft planen sie eine Firma. Weitere Infos gibt es auf derprivaten Homepage www.ukraine-adventures.de.

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