Pilotprojekt in Regensburg: Menschen ohne medizinische Fachkenntnisse werden zur Praxisassistentin qualifiziert. Und das soll erst der Anfang sein.
Gesprengte Lieferketten, explodierende Energiepreise, coronabedingte Einschränkungen – das alles belastet die Wirtschaft erheblich. Doch über all dem steht, so vermeldete erst dieser Tage die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft in der Oberpfalz, der Mangel an Arbeitskräften. Nicht mehr nur Fachkräfte fehlen, sondern überhaupt Menschen, die eine Beschäftigung übernehmen, beklagen die Arbeitgeber.
Besonders angespannt ist die Situation im Bereich Medizin. Es sind zu wenige Mitarbeitende im Gesundheitssystem tätig, und die ohnehin schon zu wenigen müssen sich auch noch mit vielen Aufgaben herumschlagen, für die sie keine medizinischen Kenntnisse benötigen.
Großer Bedarf an Personal
Genau an diesem Punkt setzt ein Pilotprojekt in Regensburg an: „Quereinsteiger*innen in Arztpraxen“. Die ersten elf Absolventen haben dieQualifizierungbereits abgeschlossen. Zehn Frauen und ein Mann bestritten den ersten Kurs – mit unterschiedlichen Vorkenntnissen. Auf Ärzteseite beteiligten sich sechs Hausarzt- und drei Facharztpraxen. Die nächste Maßnahme startet Ende Februar. Am Donnerstag präsentierten die Beteiligten ihre Erkenntnisse bei einer Online-Pressekonferenz.
Daniela Hoxhold ist Geschäftsstellenleiterin beim Ärztenetz Regensburg. Darin haben sich rund 200 Ärzte in und um Regensburg zusammengeschlossen. „Alle haben Probleme, Fachkräfte zu bekommen“, erzählt Hoxhold. Vier große Kliniken, dazu eine gute Versorgung mit Arztpraxen und eine immer weiter ausufernde Bürokratie – Regensburg hat immensen Bedarf an Personal im Gesundheitswesen. Deshalb habe das Netz 2019 bei der Agentur für Arbeit angefragt, ob man ein Programm Quereinsteiger in Arztpraxen auflegen könnte. „Es gibt so viele Tätigkeiten, bei denen man keine medizinischen Kenntnisse braucht.“
Kathrin Kromas ist in der Oberpfalz die Ansprechpartnerin für das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw). Dieses hat das Pilotprojekt „Anpassungsqualifizierung für Quereinsteiger in Arztpraxen“ Hand in Hand mit der Agentur für Arbeit Regensburg und dem Ärztenetz konzipiert. Sie nannte Beispiele, welche Tätigkeiten für Quereinsteiger in Frage kommen: Sie könnten medizinisches Fachpersonal etwa am Empfang oder in der Verwaltung ersetzen. Auch bei der Diagnostik könnten sie helfen.
Eine Hürde: der Fachjargon
Als Herausforderung hat sich laut Hoxhold für die neuen Praxisassistenten der Fachjargon der Ärzte entpuppt. „Da müssen die Teilnehmer viel Eigeninitiative einbringen, auch privat weiterzulernen.“
Bettina Weyh ist eine der ersten Quereinsteigerinnen. Die Innenarchitektin ist bei ihrem Ehemann in dessen Hausarztpraxis in Regensburg eingestiegen. Zwei der MFAs (medizinische Fachangestellte) wurden fast gleichzeitig schwanger. „Da habe ich einen Kaltstart gemacht, bin einfach reingegangen und habe losgelegt“, berichtete sie. Zuvor war sie in ihrem Beruf sehr viel unterwegs, was mit vier Kindern immer schwieriger geworden sei. Nun macht sie Ernährungsberatung und die Abrechnung, die sich kaum von ihrem vorherigen Job unterscheide. Neu ist, dass sie mit kranken, „auch mal gestressten Menschen“ arbeitet. Zuvor habe sie versucht, mit den MFAs mitzulernen, aber keine für sie erlaubte Bildungsmöglichkeit entdeckt. „Erst mit dem Quereinsteigerkurs habe ich das Richtige gefunden.“ Ihre Erfahrung: Sie habe alle Wissenslücken schließen können, endlich Fragen hochwertig beantwortet bekommen. Und als Praxisassistentin habe sie nun auch einen Titel für ihren Job.
Die Erfahrungen sei ermutigend, resümierte Hoxhold und empfahl: „Wir sollten das jetzt bayernweit ausrollen, bekanntmachen und auch deutschlandweit anstoßen.“ Das könnte sich über die Grenzen von Regensburg schnell verbreiten.
Für die zweite Runde ab Ende Februar seien fünf Teilnehmer gemeldet, weitere befänden sich in der Warteschleife der Arbeitsagentur. Diese habe offene Stellen zur Verfügung. „Auf jeden Fall werden wir wieder über zehn Teilnehmer haben.“ Die Nachfrage sei vorhanden. Erste Fragen beantworte das Ärztenetz gerne, der nächste Weg führe zur Agentur für Arbeit.
Die Förderung
Taskforce:Um betroffene Betriebe bei der Deckung ihres Personalbedarfs zu unterstützen, hat die vbw zusammen mit der Staatsregierung die Initiative Fachkräftesicherung FKS+ gegründet.Die Taskforceanalysiert den Bedarf, qualifiziert Beschäftigte, berät zu Fördermitteln, unterstützt bei der Gewinnung von Mitarbeitern aus dem In- und Ausland.
Hilfe:Die Arbeitsagenturen fördern die Weiterbildung. Sie können die Kosten für Fortbildung und Teile der Lohnkosten übernehmen. In Bayern gibt es bereits 10.000 Förderfälle, bundesweit 30.000.
Praxisassistenten:Anfang 2022 hat das bbw dafür ein Qualifizierungskonzept entworfen. Binnen 121 Stunden erlernen Teilnehmer: Assistieren bei Diagnostik, Empfang, Verwaltung. Der Kurs findet montags und mittwochs statt.
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