MZ-Serie
Seinem scharfen Blick entgeht nichts

Nikolausi, Osterhasi, Leberkäs Hawaii – mit Gerhard Polt schaut man in Abgründe. Der Humorist ist eine Institution.

19.07.2016 | Stand 16.09.2023, 6:47 Uhr
Der Kabarettist und Schauspieler Gerhard Polt vor drei Jahren während der Dreharbeiten zu seinem bisher letzten Film „Und Äktschn!“ −Foto: dpa

„I sag nix.“ Allein mit diesem Satz hat sich Polt 1980 ein Denkmal gesetzt. Volle zehn Minuten lang schwieg er bei der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises in Mainz live im Fernsehen. Das ZDF hatte ihm verboten, während seines Auftritts die Bezeichnung „Old Schwurhand“ für den CSU-Politiker Friedrich Zimmermann zu verwenden – eine Anspielung auf dessen im Bundestag geschworenen Meineid. Lapidar hatte Polt daraufhin seine Rede zur Preisverleihung als Beitrag zur „Satire-Freiheit im Fernsehen“ angekündigt. Dann betrat er die Bühne des Mainzer Theaters mit einer Eieruhr in der Hand, stellte diese demonstrativ vor sich auf den Tisch und sagte – fast nichts. Ein typischer Polt war das.

Seit 40 Jahre steht der Kabarettist und Geschichtenerzähler schon auf der Bühne. Gesagt hat er in all den Jahren eine ganze Menge. Hunderte Male trat er mit den Well-Brüdern auf, aber auch mit den Toten Hosen stand Polt schon auf der Bühne. Ans Aufhören denkt der 74-Jährige noch nicht, auch wenn er seine Bühnenpräsens inzwischen dosiert. Nur im Fernsehen mag er nicht mehr auftreten. Er betrachtet sich selbst als Fossil, sein Homor sei „in vieler Hinsicht altbacken“, sagte er vor kurzem der „Süddeutschen Zeitung“ und fügte hinzu: „Das leiste ich mir einfach.“

Kinderstube in der Metzgerei

Schon die Kindheit des Künstlers war wie gemacht für eine kabarettistische Laufbahn. 1942 in München geboren und evangelisch getauft, ist Polt die ersten Lebensjahre im Wallfahrtsort Altötting aufgewachsen, eine tiefkatholische Gegend und strammes CSU-Land. Als Bub verbrachte er viel Zeit in einer Metzgerei, was er später so kommentierte: „Im Gegensatz zu Brutstätten trostloser Fadheit wie Kindergärten ist eine Metzgerei ein Eventparadies.“ Das klingt lustiger als es war: Zumindest hat Polt auch als Erwachsener nicht vergessen, wie ihn ein als Nikolaus verkleideter Metzgergeselle zum Spaß in einen Sack gesteckt hat – und ihn darin im Schweinestall aufgehängt hat. „Ich kann heute leicht darüber reden. Aber das wird, solange ich lebe, hängen bleiben“, erzählte Polt vor drei Jahren in einem Interview.

Nach dem Abitur studierte der Oberbayer in München Politik, Geschichte und Kunstgeschichte. Ab 1962 lebte er für vier Jahre in Schweden und studierte in Göteborg weiter: nordische Sprachen. Wieder zurück in München arbeitete Polt zunächst als Lehrer, Übersetzer und Dolmetscher. 1976 stand er zum ersten Mal in der „Münchner Kleinen Freiheit“ auf der Bühne. Dann ging es Schlag auf Schlag: Es folgten Auftritte am Berliner Schillertheater und an den Münchner Kammerspielen. 1979 startete die TV-Sketchreihe „Fast wia im richtigen Leben“, mit der Polt über Bayern hinaus bekannt wurde.

Legendär sind auch seine Kinofilme, allen voran die Faschingssatire „Kehraus“ (1983) und die Urlaubssatire „Man spricht deutsh“ mit Gisela Schneeberger als Filmpartnerin. Polt und Schneeberger sind ein perfektes Paar, grantelnd und schnippisch – oft an der Grenze des Erträglichen. Auch der jüngste gemeinsame Film „Und Äktschn“ lebt von dem kantigen Duo.

Mit Polt kann man in Abgründe schauen. Seine Figuren sind oft intolerant, kleinkarierte Spießer und Möchtegerns. Er karikiert Intellektuelle, Politiker, Beamte – Menschen in all ihren Ausprägungen. Polt kann boshaft sein, aber auch vergnüglich, scharfzüngig und radikal. Ohne derbes Fluchen und Schimpfen geht gar nichts. Das Beobachten seiner Mitmenschen, gern auch im Wirtshaus, hat Polt zur Kunstform gemacht. Dafür ist er im Laufe seines Lebens mit Preisen überhäuft worden. Aber er ist auch immer wieder angeeckt – bei der Preisverleihung in Mainz, aber auch in Dieter Hildebrandts „Schweibenwischer“-Sendung: In den 1980er Jahren hat sich Polt dort mit ätzender Satire über den Ausbau des Rhein-Main-Donau-Kanals ausgelassen. Der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß soll getobt haben.

„Rotzbub, frecher!“

Polts kann auf viele Highlights zurückschauen, seine Texte sprechen für sich. Kostprobe gefällig? Da wäre zum Beispiel „Mai Ling“, ein Sketch, in dem Polt beschreibt, wie er eine Asiatin „aus dem Katalog“ bestellt: „2785 Mark ab Bangkok Airport hab ich bezahlt, das ist relativ preiswert. (...) Sie ist auch sehr sauber, sie schmutzt nicht.“ Ebenso genial wie entlarvend ist „Longline“, wo ein Vater am Tennisplatz die Beherrschung verliert und in seiner Wut ruft : „Noel, blas’ den Krüppel weg vom Platz.“ Die Frau neben sich beschimpft er hemmungslos: „ So was wie du gehört doch mit der Scheißbürsten rausg’haut.“

In „Democracy“ sagt Polt als CSU-Politiker auf Dienstreise in Afrika Sätze wie diese: „The idea of Freibier in Bavaria is deeply religious. The more you drink the earlier the ghost of democracy is visible.“ Unvergessen ist auch der „Nikolausi-Osterhasi“-Sketch, der für Vater („Rotzbub, frecher!“) und Kind zur Zerreißprobe wird.

Polts Sprüche gibt es inzwischen auf Postkarten, seine Texte füllen Bücher. Polt ist Kult, doch er stapelt gern tief. „Ich bin Humorist und erhebe keinen Anspruch auf die Wahrheit“, lautet seine Botschaft an alle, die ihn aufs Treppchen heben möchten. Lieber genießt er sein Leben am Schliersee, er liebt die Ruhe und Langsamkeit. Gut vorstellbar, dass er tatsächlich einmal Bootsverleiher werden wollte. Zumindest hat ihn die Würde und das Insichruhen bei dieser Tätigkeit schon früh fasziniert. Doch daraus ist nichts geworden, zum Glück.

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