Neben der Uni kellnern – für einen Studenten ist das nicht ungewöhnlich. Für einen Dozenten dagegen schon. Zweimal die Woche, mittwochs und freitags, steht Privatdozent Dr. Günter Fröhlich im Regensburger Café Drei Mohren hinter dem Tresen – und das seit zweieinhalb Jahren. „Manche Studenten sind schon überrascht, wenn sie mich hier treffen“, sagt der 47-Jährige. Fröhlich ist habilitierter Philosoph, im Sommersemester hält er an der Uni Regensburg eine Vorlesung zur „Geschichte der Philosophischen Anthropologie von Montaigne bis Cassirer“. Über Wasser halten muss er sich aber mit seinem Teilzeit-Job als Kellner und dem Verkauf seiner Bücher. Denn für seine Lehrtätigkeit wird Fröhlich nicht bezahlt.
„Titellehre“ nennt sich dieses Phänomen, gegen das der Philosoph mittlerweile vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof klagt. Denn laut dem Bayerischen Hochschulpersonalgesetz sind Honorarprofessoren, Privatdozenten und Außerplanmäßige Professoren „zur unentgeltlichen Lehrtätigkeit im Umfang von mindestens zwei Lehrveranstaltungsstunden“ verpflichtet. Kommen sie dem nicht nach, verlieren sie ihre Lehrbefugnis – und damit auch den Titel. Beides sei aber Voraussetzung für die Bewerbung um eine Professorenstelle, argumentiert Fröhlich. Er sieht darin einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit, spricht gar von „Erpressung“ – und fordert eine „angemessene Vergütung“ für Privatdozenten.
Eine Karriere in der Wissenschaft ist mit vielen Unsicherheiten behaftet. „Man weiß, dass es schwierig ist, noch dazu mit dem Fach Philosophie“, sagt Fröhlich. „Als junger Wissenschaftler denkt man, wenn man sich gut qualifiziert und gut arbeitet, wird sich schon etwas ergeben.“ Doch mit fortschreitendem Alter steigen die Zweifel. Fröhlich ist jetzt 47 – die Einstellungsaltersgrenze für Professoren im Beamtenverhältnis liegt in Bayern bei 52. Der Philosoph hat Assistenzen an den Universitäten Trier und Regensburg vertreten, von April 2009 bis September 2012 war er Gastprofessor an der Universität Ulm. Seiner Verpflichtung zur Titellehre in Regensburg musste er trotzdem weiter nachkommen. „Nicht einmal meine Lehraufträge zur Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Regensburg wurden mir darauf angerechnet.“
Fröhlich ist einer von derzeit 258 Privatdozenten an der Universität Regensburg, bundesweit sind es über 7000. Sie gehören statistisch zur großen Gruppe der Lehrbeauftragten. Rund 100 000 davon lehren der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zufolge „unentgeltlich oder für geringe Vergütungen“ an den Hochschulen – mehr als doppelt so viele wie es in Deutschland hauptamtliche Professoren gibt (im Jahr 2014 rund 45 700). Daueraufgaben in der Lehre müssten auf Dauerstellen erledigt werden, fordert die GEW. „Soweit Lehrbeauftragte ergänzende Lehrangebote machen, sind diese angemessen zu vergüten“, sagt der stellvertretende GEW-Vorsitzende Dr. Andreas Keller. Dabei seien auch Vor- und Nachbereitungszeiten für die Lehre einzubeziehen. Keller nennt auch eine Zahl, was denn eine angemessene Vergütung sei: 50 bis 100 Euro pro Unterrichtsstunde.
Wie aus zwei Stunden 300 werden
Aktuell sehen die Lehrvergütungsvorschriften des Bayerischen Wissenschaftsministerium einen Höchstbetrag von 55 Euro pro Einzelstunde vor. „Das ist aber eine fiktive Größe, das bekommt kaum jemand“, sagt Fröhlich. Tatsächlich zahlen die meisten Universitäten und Hochschulen nur 25 bis 35 Euro pro Stunde, manche sogar weniger. An der Universität Regensburg liegt die Regelvergütung für Lehraufträge bei „bis zu 30 Euro“ je Einzelstunde. Die Titellehre von Privatdozenten wie Fröhlich wird jedoch über „nicht vergütete Lehraufträge“ abgewickelt – sie bekommen gar nichts. Darin sieht Fröhlich einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in der Bayerischen Verfassung: Obwohl die verschiedenen Gruppen – hauptamtliches wissenschaftliches Personal, Lehrbeauftragte und Privatdozenten – im Wesentlichen die gleiche Lehre leisteten, würden die einen dafür bezahlt und die anderen nicht.
Im Sommer 2014 trug der Philosoph im Café Drei Mohren sein Anliegen dem Regensburger Landtagsabgeordneten Franz Rieger vor, der sich damit wiederum an Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle (CSU) wandte. Dieser sah die Voraussetzungen in einem Schreiben allerdings als „nicht zu streng“ an, „weil die Titellehre ja nur zwei Semesterwochenstunden im Jahr beträgt“. Das sei eine „verbale Verniedlichung“, kontert Fröhlich. Denn zwei Semesterwochenstunden bedeuteten tatsächlich 26 bis 30 Stunden reine Unterrichtszeit – dazu kämen noch Vorbereitung, Prüfungen und Verwaltungsaufgaben. „Unter 110 Stunden ist es unmöglich, eine universitäre Lehrveranstaltung abzuhalten – der Aufwand kann aber insgesamt bis zu 300 Stunden betragen“, so der Philosoph.
Als sich Fröhlich 2005 habilitierte und zum Privatdozenten ernannt wurde, galt noch eine Lehrverpflichtung von einer Lehrveranstaltungsstunde. Mit der Änderung des Bayerischen Hochschulpersonalgesetzes 2006 wurde diese jedoch auf zwei Stunden erhöht. Dazu komme der in den vergangenen Jahren deutlich gestiegene Aufwand für Prüfungen: „Durch die Bologna-Reform gelten Lehrveranstaltungen durch Studierende nur als besucht, wenn diese in Form von Credit Points eingebracht werden. Dazu ist aber eine Prüfung abzulegen“, sagt Fröhlich. In Vorlesungen könnten das bis zu 100 oder mehr Prüfungen sein, die er korrigieren müsse.
Neuer Titel – alte Probleme
Niemand sei gezwungen, Privatdozent zu bleiben, heißt es im Schreiben von Wissenschaftsminister Spaenle weiter. Wer nach der Habilitation die Universität verlasse, könne mit dem 2008 wieder eingeführten Titel „Dr. habil.“ seine akademischen Leistungen zum Ausdruck bringen. Die Privatdozentur sei „als Titel in erster Linie für Menschen bestimmt. die Freude an der Lehre haben und diese gerne neben ihrem eigentlichen Broterwerb betreiben“, so der Minister. Gerade für Selbstständige sei der Titel „ein attraktives Werbemittel“.
Für Fröhlich stellen die „Ehre und Würde“ der Privatdozenten dagegen keine angemessene Vergütung für die Titellehre dar. Ende 2014 reichte der Philosoph beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eine Popularklage gegen die entsprechenden Artikel des Bayerischen Hochschulpersonalgesetz ein. Die Bayerische Staatsregierung hält diese Klage einer offiziellen Stellungnahme zufolge für unbegründet. Eingriffe in die Berufsfreiheit oder eine Verletzung des Gleichheitssatzes würden nicht vorliegen, heißt es darin. Wann der Verfassungsgerichtshof eine Entscheidung fällt, ist derzeit noch unklar. „Das Verfahren ist anhängig“, heißt es auf MZ-Nachfrage lediglich.
Ende März wird Fröhlich von Uni-Präsident Prof. Dr. Udo Hebel zum Außerplanmäßigen Professor ernannt. An seiner Situation ändert der neue Titel jedoch nichts: Auch im Sommersemester wird der Philosoph für seine Vorlesung nicht bezahlt werden – und er wird weiter kellnern.
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