Schulden
Wenn das Erbstück aus der Not hilft

Wer zur Pfandleihe geht, hat oft Angst, gesehen zu werden. Dabei ist selten Armut im Spiel, wenn Goldschmuck gegen Bargeld eingetauscht wird.

24.12.2013 | Stand 16.09.2023, 7:16 Uhr
Erika Neufeld

Im Pfandhaus können Verbraucher unbürokratisch und schnell Wertgegenstände gegen Geld eintauschen. Foto: dpa-Archiv

Der Mann bleibt kurz stehen, schaut etwas unsicher nach rechts und links und presst seine Ledertasche etwas fester an seinen Körper – dann verschwindet er schnell durch den Eingang zum Pfandleihhaus in der Roten-Hahnen-Gasse in Regensburg. Es ist aber nicht so, wie es aussieht. Der Mann steckt weder in der Schuldenklemme noch ist er arm. Er braucht nur Bargeld, um seine Frau mit einem Geschenk zu überraschen.

Weil die aber aufpasst wie ein Luchs, jede kleinste Bewegung auf dem Kontostand bemerkt und ihn dann zur Rechenschaft zieht, muss er auf einem möglichst geheimen Wege an das Geld kommen. Also geht er mit der alten Goldbrosche, einem Erbstück seiner Großmutter, zum Pfandleihhaus und bekommt an ihrer statt ein Sümmchen Bares.

Erinnerungen wiegen schwerer

„95 Prozent der beliehenen Schmuckstücke werden wieder abgeholt“, erzählt Georg Weigl von der Pfandleihe in Regensburg. Die wenigsten Kunden verkaufen ihren Schmuck oder lassen ihn einschmelzen. Denn oft sind es Erbstücke, an denen nicht nur Wert, sondern vor allem Erinnerungen hängen.

Seit rund dreißig Jahren führen Georg und Andrea Weigl gemeinsam das Geschäft in der Regensburger Altstadt – und das mit Stolz. Denn ihre Pfandleihe zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Es ist eines der ältesten aller 200 Pfandleihhäuser in Deutschland – und das einzige, das schon seit 1650 durchgehend besteht. „Damals war es eine kirchliche und königliche Einrichtung“, erzählt Mitarbeiter Philipp Demeter. Erst 1818 ging das Pfandamt in die Verwaltung der Stadt über, knapp 70 Jahre später zog es dann als „Regensburger Leihanstalt“ in den ehemaligen Salzstadel an der Steinernen Brücke. „Als Ende der 60er Jahre die städtische Pfandleihe geschlossen werden musste, übernahm mein Vater die Leihanstalt“, erzählt Andrea Weigl.

Seitdem sie in privater Hand ist, hat sie sich stetig weiter verändert. Früher wurden die unterschiedlichsten Wertgegenstände beliehen. Gerieten Regensburger in Geldnot, konnten sie Pelze, Ölgemälde, Vasen – und sogar Fahrräder – als Pfand gegen Bargeld eintauschen. „Im Salzstadel war eine gesamte Etage mit Rädern und Pelzen gefüllt“, erinnert sich Weigl. Seit dem Umzug in das Gebäude in der Roten-Hahnen-Gasse, werden nur noch hochwertige Uhren und Goldschmuck beliehen.

Die wenigsten Kunden sind arm

Das Verhältnis zwischen Georg und Andrea Weigl, Philipp Demeter und den Kunden ist sehr persönlich. Die meisten sind Stammkunden und kommen seit Jahren regelmäßig. „Die wenigsten von ihnen sind arm“, widerlegen sie das weit verbreitete Gerücht. Oft sind sie von Rechnungen überrascht worden – sei es durch erhöhte Heizkosten oder Autoreparaturen. Um ihr Konto nicht zu überziehen, beleihen sie ihre Wertsachen. Die holen sie sich meistens zurück, sobald sie können. Gerade weil das Vorurteil – „nur Arme machen ihren Schmuck zu Geld“ – so verbreitet ist, wird die Türschwelle zur Pfandleihe oft mit einer gewissen Beklemmung und Scham überschritten. „Viele fahren in eine andere Stadt, wenn sie einen Pfandkredit aufnehmen wollen“, erzählt Andrea Weigl. „Sie wollen nicht von Bekannten gesehen werden.“ Viele ihrer Kunden kommen daher aus München oder Nürnberg. Auch Regensburger beleihen ihre Wertsachen eher in einer der Nachbarstädte. „Dabei sind wir eigentlich nichts anderes als eine Bank“, sagt Georg Weigl. Dann lacht er und ergänzt: „Wir sind nur sehr viel unbürokratischer und preisgünstiger.“

Festtage bescheren Kundschaft

Vor allem in der Weihnachtszeit brummte das Geschäft. „Vor den Festtagen kamen pro Tag etwa 40 Prozent mehr Kunden als sonst“, sagt Andrea Weigl. „An einem Tag waren es knapp 200.“ Die kommen aber nicht nur, um Wertgegenstände zu beleihen, sondern auch, um welche zu kaufen. „Wir haben herrlichen Schmuck, der dazu auch noch deutlich weniger kostet“, sagt Andrea Weigl und zwinkert mit den Augen.

Die drei Kollegen bemerken auch rund ums Jahr: In der zweiten Hälfte des Monats nimmt stets die Kundschaft zu. „Vor allem am Monatsende machen wir unser Hauptgeschäft“, sagt Georg Weigl. Das Geld wird knapp, die Rechnungen müssen aber trotzdem beglichen werden. „Zu uns kommen Personen aus verschiedensten Verhältnissen“, erzählt er. Die Rentnerin, die ihre Enkel zu Weihnachten beschenken will, aber nicht genügend Geld hat; der Hartz-IV-Empfänger, der seine monatliche Miete nicht bezahlen kann; die Hausfrau, die die Haushaltskasse aufbessern will. Oder auch der Unternehmer, der seine Ehefrau mit einem Geschenk überraschen will und dafür eine geheime Geldquelle braucht.

Unterschiede werden zwischen den Kunden aber nicht gemacht. „Die meisten kennen wir gut“, erklärt Andrea Weigl. „Das Vertrauen liegt deshalb auf beiden Seiten.“