Justiz
Wie Markus R. zum Verräter wurde

Tote Briefkästen, Gier, brisante Unterlagen: Was im BND-Prozess zur Sprache kommt, könnte auch einem Drebuch entstammen.

04.12.2015 | Stand 16.09.2023, 6:59 Uhr
Schon an den ersten drei Prozesstagen sagt Markus R. umfangreich aus, legt ein detailliertes Geständnis ab. Es ergibt sich ein einigermaßen klares Bild über die Taten – auch wenn Fragen offen sind. −Foto: dpa

Die Festnahme: Spur führt zu Markus R.

Frühmorgens schlagen die Spezialkräfte des Bundeskriminalamts (BKA) zu. Als der junge BND-Mitarbeiter am 2. Juli 2014 zur Arbeit fahren will, nehmen sie ihn fest, durchsuchen seine Wohnung und finden, was sie suchen: Laptops, USB-Sticks, einen Multifunktionsdrucker. Der junge Mann verhält sich äußerst kooperativ, gibt freiwillig Passwörter und andere Informationen heraus. Seit Mitte November steht der heute 32-Jährige vor dem Münchner Oberlandesgericht. Die Anklage wirft ihm Landesverrat vor – im schlimmsten Fall steht darauf lebenslange Haft.

Die Arbeit beim BND: Bürojob war nicht genug

Er hatte Schulen und Ausbildungsstätten für körperbehinderte Menschen besucht und viele erfolglose Bewerbungen geschrieben – doch nun, am 1. Dezember 2007, fängt Markus R. beim BND in Pullach an, zuerst in der Personalabteilung. Wenige Monate später wechselt er in die Abteilung „Einsatzgebiete Auslandsbeziehungen“, muss Post und Akten verwalten. Er würde lieber in den „technischen Bereich“ wechseln. Doch das bleibt ihm verwehrt: Eine damit verbundene Höhergruppierung sei nicht möglich gewesen, sagt sein Ex-Chef. Der Büro-Mitarbeiter gibt sich in der Folge als mehr aus, als er ist, bei seinen Eltern und bei seinen beiden Freundinnen: als „Agent“ oder als „Nachrichtendienst-Offizier“.

Der Kontakt zur CIA: Beginn eines Abenteuers

Irgendwann im Sommer 2008 ist Markus R., so schildert er es, so frustriert, dass er das „Abenteuer“ sucht: Er schreibt eine Mail an die US-Botschaft in Berlin, ob Interesse an einer Kooperation bestehe, er arbeite bei einer Sicherheitsbehörde. Es besteht Interesse: Unter dem Decknamen „Uwe“ kommt Markus R. per Mail mit „Alex“ in Kontakt, seinem Verbindungsmann bei der CIA. Es ist der Beginn einer jahrelangen Spitzel-Tätigkeit: Immer und immer wieder, am Schluss fast im wöchentlichen Abstand, schickt Markus R. Dokumente an die Amerikaner, anfangs per Mail, später mit einem versteckten Programm auf einem Computer, den er eigens dafür bekommt. Es kommt zu einzelnen direkten Treffen, meist in Salzburg.

Die verratenen Unterlagen: Datenbank mit Agenten

Mit einem Kopierer, der quasi neben seinem Büro steht, kopiert Markus R. nach Gutdünken geheime Unterlagen, steckt sie in seine Tasche – und nimmt sie im Auto mit nach Hause. Die stichprobenartigen Kontrollen bei der Ausfahrt vom BND-Gelände sind derart selten, dass quasi keine Gefahr besteht. Zu Hause scannt er die Kopien ein, schickt sie an „Alex“ und speichert sie auf zwei USB-Sticks. Besonders brisant sind ein internes Gegenspionage-Konzept – und die Agenten-Datenbank. Die schmuggelt Markus R. auf einem USB-Stick komplett mit nach Hause. Wie geheim die Unterlagen waren und wie schwer somit der Vorwurf des Landesverrats wiegt, ist noch unklar.

Der Agentenlohn: Mindestens 95 000 Euro

Laut Anklageschrift soll Markus R. über die Jahre hinweg mindestens 95 000 Euro von den Amerikanern bekommen haben. Immer in bar, fast immer über „tote Briefkästen“: Stein-Attrappen, in denen bis zu 20 000 Euro stecken, alles in 100-Euro-Scheinen, verschweißt in Folie. Mindestens einen Teil des Geldes gibt Markus R. seinem Vater, damit der die Beträge für ihn einzahlt. Der Vater schweigt dazu.

Die Motive: Frust und Unterforderung

Markus R. gibt Frust und Unterforderung als Motiv für seine Spitzel-Tätigkeit an. „Ich wollte was Neues, was Spannendes erleben“, sagt er. Geld habe dagegen keine zentrale Rolle gespielt. „Ich habe das wirklich gemacht, damit ich ein bisschen Abwechslung in meinem Leben bekomme.“ Und: Beim BND habe man ihm nichts zugetraut – ein Eindruck, den sein Ex-Chef deutlich bestätigt. Bei der CIA schon. „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir das nicht gefallen hätte.“ So tief sitzt sein Frust, dass er sich immer wieder woanders bewirbt. Und er schreibt einen Brief an den BND-Präsidenten, den er allerdings nie abschickt: Darin spricht er von „verschwendeten Jahren“ – und dass ihm der Präsident leidtue, weil er Chef einer solchen Behörde sein müsse.

Die verhängnisvolle Mail: Kontakt zu den Russen

Im April/Mai 2014 will Markus R. – wie er sagt – noch einmal „was Neues erleben“: Er schreibt zwar von einem fingierten Postfach, aber unverschlüsselt eine E-Mail an das russische Generalkonsulat in München, um sich als Informant anzudienen, und schickt sogleich drei Dokumente mit. Doch diese Mail wird vom BND abgefangen. Der BND gibt sich als russisches Konsulat aus, antwortet unter dem Namen „Alexander“ und bittet um ein Treffen. Doch Markus R. lehnt ab, löscht das Postfach. „Da habe ich Bedenken bekommen, dass es doch schon eine andere Hausnummer ist, für die Russen zu arbeiten als für die Amerikaner“, sagt er heute. Auf einem Amsterdam-Trip wird er von den Amerikanern informiert, dass gegen ihn offenbar ermittelt wird – wenig später wird er festgenommen. Eine nachträgliche Veränderung an einem der versandten Dokumente hatte die Ermittler letztlich schnell auf seine Spur gebracht.

Seine Freundin: Die Beziehung hält

Auch wenn Markus R. eine langjährige Haftstrafe droht – seine Freundin, die er 2012/2013 über das Internet kennengelernt hatte, steht zu ihm. „Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, dass jemand wie Markus, der nicht mal bei Rot über die Straße geht, so etwas macht“, sagt die 32-Jährige – und betont, dass sie trotz allem mit ihrem Markus zusammenbleiben wolle. Das Urteil wird das Oberlandesgericht wohl im Frühjahr verkünden. (dpa)