Zeitgeschichte
Zugunglück jährt sich zum 50. Mal

Wegen einer falschen Weichenstellung kam es 1969 am Obertraublinger Bahnhof zu dem Unfall. Ein junger Familienvater starb.

26.10.2019 | Stand 16.09.2023, 5:16 Uhr
Karl Matok

Am 22. Oktober 1969 raste der Eilzug Regensburg-München (links) mit solcher Wucht auf den Kohlenwaggon, dass dieser schwerbeschädigt auf die Zugmaschine des Schwerkleinwagens (rechts) geworfen wurde. Repro: Karl Matok

Wer erinnert sich an das Jahr 1969? Genau vor 50 Jahren ereignete sich am Bahnhof Obertraubling wegen einer falschen Weichenstellung das erste Bahnunglück, bei dem ein Menschenleben und mehrere Schwerverletzte zu beklagen waren. Weder in Geschichtsbüchern noch in der Obertraublinger Ortschronik ist darüber etwas vermerkt.

Es war Mittwoch, der 22. Oktober 1969, als der planmäßige Eilzug Hof-München mit ca. 110 Stundenkilometern um 14.17 Uhr im Bahnhofsbereich auf einen abgestellten Kohlenwaggon raste, der mit einem Schwerkleinwagen (SKL-Zugmaschine) gekoppelt war. Stundenlang hatten drei Männer aus dem Wagen im Hauptgleis Regensburg-München unterhalb des Stellwerks dicht am damaligen Bahnübergang Obertraubling-Neutraubling Briketts ausgeladen: der damals 30-jährige verheiratete Bundesbahnbedienstete Hermann H. und sein 39-jähriger Kollege Fritz L., beide aus dem südlichen Landkreis Regensburg, sowie Franz-Xaver F. aus Mintraching.

Enorme Wucht des Aufpralls

Bis dahin waren die nachfolgenden Züge umgeleitet worden. Durch den enormen Aufprall gabelte der Eilzug den Waggon auf und schob diesen circa 300 Meter weiter in Richtung Niedertraubling, wo er dicht am Bahngangerl zum Stehen kam. Auf der ganzen Schubstrecke war der Bahnkörper aufgewühlt. Weggeschleuderte Schottersteine, Briketts und Fragmente des total zertrümmerten Waggons zeugten von der enormen Wucht des Aufpralls. Der Kohlenwaggon wurde vollkommen zertrümmert, Schwerkleinwagen und E-Lok schwer beschädigt.

Zugführer sah Unglück kommen

Nach Angaben der Bundesbahnpressestelle Regensburg gab es im Eilzug zwei Verletzte. Sie erlitten Prellungen und setzten nach ambulanter Behandlung ihre Reise fort. Der 41-jährige Lokführer Lorenz B. aus Langquaid sah den Zusammenstoß kommen. Er rannte vom Führerstand nach hinten in den Lok-Maschinenraum. Er erlitt starke Prellungen und einen Schock. Nach ambulanter Behandlung setzte er als tausendprozentiger Eisenbahner mit einer anderen E-Lok und Ersatzzug seine Fahrt fort. Nach Auskunft seiner Frau und seines Sohnes ist er vor sieben Jahren 84-jährig verstorben.

Standort:Zeitzeugen:
Die Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahn am 7. Dezember 1835 von Nürnberg nach Fürth revolutionierte das Verkehrswesen. Als am 12. Dezember 1859 der erste Zug durch Obertraubling dampfte, war den Obertraublingern die Eisenbahn regelrecht in den Schoß gefallen. Das Dorf lag an der Bahntrasse Nürnberg-Regensburg nach Straubing und Passau und der Abzweigung über Landshut nach München. Obertraubling bekam mit der Einweihung eine Haltestelle und ein Bahnhofsgebäude. In den Folgejahren fuhren viele Personen- und Güterzüge durch, ohne dass es einen Unfall gab.Einige Obertraublinger können sich an den Unfall erinnern. Franz K., der zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes in der Nähe war, wurde sofort nach dem Unglück im Stellwerk zu Schreibarbeiten eingesetzt. Die im Bahnhofsgebäude am Schalter diensthabenden Angestellten Raimund S. und Hermann T. hatten mitbekommen, dass der Eilzug ins verkehrte Gleis fuhr, konnten aber nichts mehr unternehmen. Den Aufprall hat S. heute noch im Gedächtnis. Karl Inkofer hatte als junger Bursche bei den Aufräumungsarbeiten zugeschaut. Er begann 1971 seinen Beamtendienst bei der Bundesbahn.

Ursache für das tragische Unglück war, dass der Fahrdienstleiter Josef Eisenschenk aus Vilsbiburg das Signal und die Strecke freigab. So haben es die Kriminalpolizei der damaligen Bayerischen Landpolizei Regensburg und die Bahnpolizei ermittelt. Eisenschenk hatte am Vormittag mehrere Züge um den auf dem Hauptgleis abgestellten Waggon umgeleitet, als ihm der in Regensburg planmäßig abfahrende Eilzug nach München gemeldet wurde. Der sofort vom Dienst suspendierte Bundesbahn-Obersekretär habe vollkommen „vergessen“, dass der Kohlewaggon auf dem Hauptgleis stand. Er habe schon vorher versäumt, die vorgeschriebenen Hilfssperren anzulegen, so die Polizei. Der Fahrdienstleiter wurde verurteilt. Das Strafmaß ist nicht bekannt. Er wurde nach Landshut zur Güterabfertigung versetzt und später befördert. Auch er lebt nicht mehr. Ermittlungsakten liegen nicht mehr vor.

Keine Entschädigung für Witwe

Kurz nach dem Unglück begann die Deutsche Bundesbahn mit den Aufräumarbeiten. Gleisarbeiter überprüften, ob der Bahnkörper deformiert wurde, andere schafften die weit verstreuten Trümmer des zerfetzten Waggons beiseite. Eine schwere Dampflokomotive mit Bauzug rollte an und zog vor den Augen zahlreicher Zuschauer die E-Lok aus dem mit ihr verkeilten Waggon-Wrack. Beide Streckengleise waren am Unglückstag gegen 17 Uhr wieder frei befahrbar.

Oberrat Trautwein von der Bundesbahndirektion Regensburg, der die Arbeiten an der Unfallstelle leitete, bezifferte den Schaden auf rund 500 000 Mark. „Mit einem technischen modernen Stellwerk hätte der Unfall nicht passieren können, denn menschliches Versagen wäre ausgeschlossen“, sagte er. Das Stellwerk wurde später abgerissen, an dessen Stelle steht heute die Straßenüberführung der B 15 neu.

Das größte Leid trug die Witwe Therese H. Alleine musste sie vier Kinder im Alter von einem bis sieben Jahren groß ziehen. Eine richtige Entschädigung der Deutschen Bundesbahn für den unverschuldeten Dienstunfall bekam sie nicht.

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