Medizin
Arznei-Engpass beunruhigt Krebspatienten

Der Wirkstoff Tamoxifen wird bei Brust- und Prostatakrebs eingesetzt. Eine Betroffene aus Miltach schildert das Problem.

04.03.2022 | Stand 15.09.2023, 6:42 Uhr
Tamoxifen wird bereits seit Jahrzehnten in der Brustkrebsbehandlung eingesetzt. −Foto: Hannibal Hanschke/dpa

Lucia Heigl aus Miltach (Lkr. Cham) hat Krebs. Seit vier Jahren kämpft sie gegen die Krankheit. Gewinnen kann sie nicht, aber Zeit gewinnen sehr wohl. Dafür braucht sie das Medikament Tamoxifen. Es hält die Knochenmetastasen in Schach, die sich parallel mit dem Brustkrebs entwickelt haben. Doch nun gibt es in Deutschland einen Versorgungsmangel, wie das Gesundheitsministerium im Februar bestätigte. Rund 130 000 Brustkrebspatientinnen und etwa ein Prozent der Männer mit Prostatakrebs sind betroffen.

Medikament für Langzeit-Therapie

Tamoxifen wird eingesetzt, um das Wachstum hormonbedingter Tumore zu hemmen. Deshalb ist es ein Medikament, das den Patienten über einen langen Zeitraum verschrieben wird. Fünf bis zehn Jahre lang nehmen es Frauen nach einer Brustkrebserkrankung ein, um einem Rezidiv, also einer erneuten Krebserkrankung, vorzubeugen. Bei Lucia Heigl ist die Behandlung begleitende Maßnahme im Rahmen einer palliativen Therapie. Sie kann nicht mehr geheilt werden. Umso fataler wäre es, wenn sie keinen Zugang mehr zu dem Medikament hätte. Denn bei einer Umstellung könnte es nicht nur zu Neben-, sondern auch zu Wechselwirkungen mit den weiteren Präparaten kommen, die sie täglich braucht.

Josef Kammermeier, Sprecher der Regensburger Apotheker und stellvertretender Vorsitzender im bayerischen Apothekerverband, kennt die Probleme nur zu gut.

„Die sich anbahnenden Lieferschwierigkeiten beobachten wir ja nicht erst seit Februar, sondern schon seit etwa einem halben Jahr.“ Tamoxifen sei das Krebsmittel der ersten Wahl und das seit vielen Jahrzehnten. „Für mich ist es einer der bestwirkenden Arzneistoffe in der Krebstherapie. Es ist wie Aspirin bei Kopfschmerz“, sagt der Apotheker. Die hohe Akzeptanz und Wirksamkeit bestätigt Prof. Olaf Ortmann, Direktor der Universitätsfrauenklinik am Caritas-Krankenhaus St. Josef Regensburg und Vorstandsmitglied der Deutschen Krebsgesellschaft. Er beruhigt aber auch: „Betroffene müssen keine Angst haben, dass sie jetzt nicht mehr behandelt werden können. Wir können Alternativen anbieten.“

Tamoxifen ist ein sogenannter Selektiver-Estrogen-Rezeptor-Modulator. Er wird einmal täglich in Tablettenform in einer Konzentration von 20 mg eingenommen. Der Wirkstoff blockiert die Rezeptoren hormonabhängiger Tumorzellen, an die sonst die Östrogene andocken und den Wachstumsreiz auslösen würden. Etwa 80 Prozent der Brustkrebsfälle sind hormonbedingt.

„Die Frauen haben Angst“

Seit Monaten, so berichtet Lucia Heigl, werden in den Selbsthilfegruppen, in denen sie sich engagiert, die immer knapperen Vorräte an Tamoxifen thematisiert. „Seit letzter Woche gibt es nun große Probleme bei der Beschaffung und die Besorgnis wächst.“ Die Frauen haben Angst, dass sie das Medikament absetzen müssen und der Krebs dann zurückkehrt. Warum Menschen mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung in eine solche Stresssituation versetzt werden, stoße auf großes Unverständnis, sagt Heigl.

Auch Apotheker Kammermeier ist verärgert. Er sagt: „Das ist ein hausgemachtes deutsches Problem, denn der Fokus wird nicht auf die Versorgungssicherheit sondern auf den Preis gelegt.“ Inzwischen würden 70 Prozent der Arzneimittel in China und Indien produziert. Und nun seien zwei Faktoren zusammengekommen. Zum einen die weltweite Pandemie, die zu einer Verknappung bei den Rohstoffen geführt habe. Zum anderen hätten einige Zulieferer wegen sogenannter Rabattverträge die Produktion aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Der Preisdruck mache die Herstellung nicht mehr rentabel. „Das ist ein massives Problem, das wir nicht nur bei Tamoxifen haben“, sagt Kammermeier.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat inzwischen Maßnahmen ergriffen. So können für Einzelkunden Tamoxifen-Packungen aus dem Ausland importiert werden. „Das ist aber aufwändig und teuer“, sagt Kammermeier. Alternativ könne auch statt auf Generika auf das Originalpräparat zugegriffen werden, was aber ebenfalls teurer sei. Unter den aktuellen Bedingungen müssten die Krankenkassen diese Kosten aber wohl tragen. Sollte sich das Problem aber ausweiten, müssten wohl manche Patientinnen nach Alternativen suchen.

Und die gibt es, sagt Prof. Ortmann. „Niemand muss befürchten, dass die Behandlung abgebrochen wird.“ Zum Einsatz kämen Aromatasehemmer, die die Östrogenproduktion hemmen. Allerdings hätte die Umstellung auf diese alternative Therapie für Frauen vor den Wechseljahren mehr Auswirkungen als für Frauen in oder nach den Wechseljahren. Jüngere Frauen müssten pharmakologisch in die Post-Meno-Pause versetzt werden. Die Präparate würden aber bereits jetzt bei Frauen mit einem etwas höheren Rückfallrisiko eingesetzt, sagt Ortmann. „Das ist also keine Notlösung, sondern eine wirksame Alternative.“ Frauen mit Tamoxifen-Behandlung empfiehlt der Brustkrebs-Spezialist das Gespräch mit dem behandelnden Onkologen oder Gynäkologen zu suchen. Die medikamentöse Behandlung bis zur Nachlieferung von Tamoxifen einfach abzusetzen, sei nicht anzuraten.

Wie lange dauert der Engpass?

Wie lange der Engpass dauern könnte, wagen weder Apotheker Kammermeier noch Prof. Ortmann zu sagen. Vielleicht bis Ende des Jahres, vielleicht länger. Mittel- bis langfristig müsse ein hochindustrialisiertes Land wie Deutschland in der Lage sein, Standardwirkstoffe wie Tamoxifen jederzeit vorrätig zu haben. „Das, was jetzt passiert, ist ein Armutszeugnis für Deutschland“, sagt Kammermeier.

Lucia Heigl hatte Glück und einen vorausschauenden Apotheker in Miltach, der besonders darauf angewiesene Patienten rechtzeitig versorgte. Noch bis zum Sommer reicht ihr Tablettenvorrat.