Frauengeschichten
Die Operndiva aus der Oberpfalz

Elisabeth Schärtel war auf den Opernbühnen der Welt zuhause, doch daheim war sie in Weiden. Ihre Nichte Elisabeth Schiffner verwahrt ihren Nachlass.

16.02.2014 | Stand 16.09.2023, 7:23 Uhr
Tanja Rexhepaj

Elisabeth Schiffner kümmert sich um den Nachlass ihrer berühmten Tante: der Opernsängerin Elisabeth Schärtel. Foto: Gabi Schönberger

„Das Schwein und die Künstler haben das gemeinsam, dass man sie erst nach dem Tode schätzt.“ Diese Worte des Komponisten Max Reger (1873-1916), Weidens wohl bekanntestem Sohn, treffen auf Elisabeth Schärtel nicht zu: Im Jahr 1962, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere als Opernsängerin, wurde sie von ihrer Heimatstadt Weiden mit der Max-Reger-Medaille ausgezeichnet. Als Altistin wurde sie geschätzt von Dirigentengrößen wie Hans Knappertsbusch, André Cluytens oder Rudolf Kempe; als Frau hofiert von Schauspieler-Legende Hansjörg Felmy. Doch in ihrer zweiten Lebenshälfte wurde es ruhig um die Operndiva; anderthalb Jahre nach ihrem Tod, ist sie in der Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten.

Bei ihrer Nichte Elisabeth Schiffner aus Theisseil schlummert ihr Nachlass, eine Fundgrube von Originaldokumenten europäischer Operngeschichte: Mehr als 800 Programmhefte von Auftritten, sei es an der Mailänder Scala, der Grand Opera Paris oder der Staatsoper Wien, hat Elisabeth Schiffner in großen Kartons aufbewahrt, Original-Belege über Gagen und Honorare, die ihre Tante erhalten hat, sei es als festes Ensemblemitglied der Festspiele Bayreuth oder als Darstellerin in Fernseh-Opern. Als jüngste Nichte hat Elisabeth Schiffner sich bis zuletzt um ihre Tante gekümmert. „Wir sind schon eng zusammengewachsen, nach dem Tod der beiden Schwestern.“

Schicksalsschlag beendete Karriere

Damit spricht Elisabeth Schiffner einen Schicksalsschlag an: Ende 1972 verunglückten ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz tödlich. Damals war sie zwölf Jahre alt. Besonders tragisch: Auch die Schwester ihrer Mutter und deren Ehemann befanden sich an Bord und kamen bei dem Unglück ums Leben. Elisabeth Schiffner verlor also auf einen Schlag ihre Eltern, ihre Tante und ihren Onkel; Elisabeth Schärtel verlor ihre beiden Schwestern. „Im Dezember 1972 war sie als ältestes von sechs Geschwistern die einzige, die noch lebte. Da konnte sie nicht mehr“, sagt Elisabeth Schiffner über ihre Tante Elisabeth Schärtel.

Nach dieser Tragödie nahm Elisabeth Schärtel ihren Abschied von den Brettern, die für sie so lange Zeit die Welt bedeutet hatten. Sie übernahm die Verantwortung für ihre fünf verwaisten Neffen und Nichten; nebenbei unterrichtete sie Gesang an der Musikhochschule in Nürnberg. Vorbei war es mit stehenden Ovationen für ihre Interpretation der Magdalena aus Wagners „Meistersingern“, vorbei mit Reisen nach Kairo, wo sie 1962 die Fricka in der „Walküre“ spielte oder ins japanische Osaka, wo sie 1967 mit dem Bayreuther Solisten-Ensemble aufgetreten war. Stattdessen musste sie beim Klassenlehrer antreten, wenn sie schulische Angelegenheiten für eine Nichte oder einen Neffen regeln musste. Nun erlebte Elisabeth Schiffner ihre Tante von einer ganz anderen Seite; die Tante, die sie zuvor mit auf den Grünen Hügel genommen hatte, wo sie im Festspielhaus ganz oben an der Seite saß, von wo aus der Vorhang fallen gelassen wurde. Doch trotz ihrer berühmten Tante konnte Elisabeth Schiffner sich nie so richtig für die Opernwelt begeistern. Bei ihr ist es weniger die Musik als der Sport, der in ihrem Leben eine Rolle spielt. Doch auch das ist eine Parallele zu ihrer Tante. Denn Elisabeth Schärtel war nur durch Zufall zum Singen gekommen, zuvor war sie begeisterte Turnerin.

Schon als Jugendliche eiferte Elisabeth Schärtel ihrem Großvater, einem Gründungsmitglied des Weidener Turnerbunds, nach: 1934 wurde sie Stadtmeisterin im Speerwurf. Ihr Vater, der Fleischermeister Fritz Schärtel, und ihre Mutter Käthe Schärtel, geborene Roscher, unterstützten sie dabei, genauso wie sie die jüngere Tochter Lisa bei ihrem Hobby, dem Gesang, unterstützten. Doch Lisa starb, als sie erst zwölf Jahre alt war, an einer Mandelentzündung. Mutter Käthe wollte, dass die Musik im Haus Schärtel nicht verstummte und da übernahm Elisabeth die Gesangsstunden ihrer Schwester. Ganz unbewandert in Musik war sie nicht gewesen: Seit ihrem achten Lebensjahr hatte sie Klavierunterricht bei Adalbert Lindner erhalten, dem Lehrer von Max Reger.

Außergewöhnliche Begabung

Das Singen machte der jungen Elisabeth Spaß, doch mehr als eine Freizeitbeschäftigung sah sie darin nicht – zumal sie das Mädchenlyzeum in Weiden nach fünf Klassen abbrechen musste, um in der elterlichen Metzgerei zu helfen. Irgendwann jedoch nahm sie sich wohl die Worte ihrer Gesangslehrerin, die in ihr eine riesige Begabung sah, zu Herzen: Als 18-Jährige fuhr sie alle zwei Wochen nach München, um Unterricht in Darstellung, Harmonielehre und Stilkunde zu nehmen. Mit knapp 20 Jahren hatte sie es schriftlich: „Die Eignung für den Bühnenberuf scheint gegeben“, bescheinigte ihr die Landesleitung der Reichstheaterkammer München am 27. Juli 1939. Dann kam der Krieg. Als Schwesternhelferin trat Elisabeth Schärtel ihren Dienst im Lazarett an.

Bald aber erinnerte sie sich ihres ursprünglichen Berufswunschs und immatrikulierte sich 1940 an der Akademie der Tonkunst in München. Doch das Heimweh machte ihr zu schaffen: Schon nach wenigen Wochen stand sie wieder zuhause hinter der Metzgerstheke. Ein Jahr später fasste sie sich abermals ein Herz – mit Erfolg: Im April 1942 war Elisabeth Schärtel im Münchner Prinzregententheater bei der Bühnen-Reifeprüfung die Beste mit Prädikat. Richtig in Schwung kam ihre Karriere nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

1946 wurde sie Ensemblemitglied des Stadttheaters Regensburg. Danach war sie ein Jahr lang am Stadttheater in Freiburg, dann sechs Jahre lang am Staatstheater in Braunschweig. 1954 kam sie zu den Bayreuther Festspielen, wo sie unter anderem als Magdalene, als Rheintochter, als Erda und Ortrud auf der Bühne stand. „Wagner war ihre große Leidenschaft; diese mystischen Sachen, da fing sie teilweise sogar zu weinen an, wenn sie davon sprach“, sagt Elisabeth Schiffner. Ihr bleiben die Erinnerung und kistenweise Fotos und Dokumente, die von der Welt der Operndiva aus der Oberpfalz erzählen.