Mundart
Holzhauer und Blöcherzoiger

Zum Monatsende gibt es wieder Wissenswertes rund um den Dialekt. Der Sprachwissenschaftler Ludwig Zehetner beantwortet die Fragen der MZ-Leser.

30.12.2014 | Stand 16.09.2023, 7:15 Uhr
Im Sägewerk wird ein „Bloch“ geschnitten. −Foto: dpa

Im „Zeiserlwagen“ werden Gefangene transportiert

Ein Polizeifahrzeug, mit dem Gefangene transportiert werden, heißt in Berlin „Grüne Minna“. Wir sagen dazu „Zeiserlwagen“. Man fragt sich, was so ein Wagen mit dem „Zeiserl“ zu tun hat, dem kleinen Singvogel Zeisig, der in einem Kinderlied besungen wird: „Stieglitz, Stieglitz, ’s Zeiserl is krank ...“. Es besteht kein direkter Zusammenhang. Die Häftlinge werden keinesfalls in den Wagen gelockt wie ein Zeisig in den Käfig. Das Polizeigefährt heißt eigentlich „Zeiselwagen“, gebildet mit dem selten gewordenen Verb „zeiseln“ (mundartliche Aussprache „zoasln“) mit der Bedeutung ‚eilen‘. Ein „Zoasler“, eine „Zoaslerin“ ist eine Person, die es ständig eilig hat, unkonzentriert und ineffektiv arbeitet, oder ein/e Umstandskramer/in. In seinem „Bayerischen Wörterbuch“ aus der Mitte des 19. Jahrhunderts beschreibt Johann Andreas Schmeller den „Zeiselwagen“ als ‚Eilwagen der wohlfeilsten Art, meist ein ganz gewöhnlicher Leiterwagen mit Querbrettern zum Sitzen‘ (Band II, Spalte 1156). Als man das Verb „zeiseln, zoasln“ nicht mehr verstand, ersetzte man das Bestimmungswort „Zeisel-“ durch den Vogelnamen „Zeiserl“. Man nennt so etwas eine volksetymologische Umdeutung, wenn ein undurchsichtiges Wort mit einem bekannten in Verbindung gebracht und an dieses angeglichen wird. In unserem Fall wurde auch der Zwielaut „ei“ aus dem Vogelnamen übernommen (wo er lautgesetzlich ist: mittelhochdeutsch „zîsic“, entlehnt aus dem Tschechischen, wo der Vogel „ciž“ heißt, Verkleinerungsform „cižek“), während das mundartliche Verb „oa“ hat („zoasln“). Doch niemand sagt je „Zoaslwong“, sondern immer „Zeiserlwagen, Zeisalwong“.

Um die Worterklärung bat Ulrike Ferstl.

„Bloch“ ist keine rein mundartliche Bezeichnung

Der Duden führt „Bloch“ auf als eine in Süddeutschland und Österreich übliche Bezeichnung für ‚Holzblock, Holzstamm‘. Wir verstehen darunter eher einen gefällten, von Ästen befreiten und entrindeten Baumstamm, insbesondere einen etwa 3 Meter langen Abschnitt eines solchen. Das Wort tritt entweder als Neutrum oder als Maskulinum auf: „das / der Bloch“. Die Mehrzahl lautet bei uns „Blöcher“; laut Österreichischem Wörterbuch kennt man dort die Mehrzahl „Bloche“. Bei „Bloch“ handelt es sich zwar um ein Wort, das im Dialekt gebraucht wird, jedoch keineswegs um eine rein mundartliche Bezeichnung. In einer Schilderung der Vorgänge in einem Sägewerk heißt es: „Die Blöcher sind von selber auf den Bock gerollt. Kaum ist ein Bloch ans Blatt gekommen, ist es schon geschnitten gewesen.“ Emerenz Meier, die Dichterin aus dem Bayerischen Wald, schreibt in einer Erzählung: „Die ganze Stub’n war voller Holzhauer und Blöcherzoiger“, also mit Waldarbeitern gefüllt.

Die Auskunft wünschte Walter Loders aus Regensburg.

„Der alt Huaber-Vatter zepft scho lang a so umanand“

Es gibt eine gewisse Geflügelkrankheit, bei der sich die Zungenspitze verhärtet, so dass das Tier nicht mehr fressen kann. Diese heißt schriftsprachlich „Pips“, bairisch-mundartlich aber „Zipf“, ausgesprochen „Ziebf“. Von einem kränkelnden Menschen, der mit einer undefinierbaren schleichenden Krankheit einhergeht, sagt man, er „zipft“, womit er mit einer Henne verglichen wird, die am „Zipf“ leidet. Zu „zipfen“ gibt es die Variante „zepfen“. Man hört zum Beispiel: „Der alt Huaber-Vatter zepft scho lang a so umanand“, d. h. er ist schwächlich, kränklich – mundartlich „zipfert, zepfert“. Die Grundbedeutung von „Zipf“ ist ‚äußerstes Ende, Spitze‘ und deckt sich weitgehend mit der von „Zipfel“. So kann auch der sog. Bierzipfel von Corps-Studenten oder das Gehänge an der Uhrkette als „Zipf (Ziebf)“ bezeichnet werden. „Den Zipf hängen lassen“ bedeutet so viel wie ‚niedergeschlagen, depressiv sein‘. Nicht weit entfernt davon liegt „Zipfel“ als abfälliger Ausdruck für einen ungeschickten, unzuverlässigen, faden Kerl, einen Langweiler. Das Verb „zipfeln“ schließlich wird gebraucht im Sinne von ‚zeitverschwenderisch arbeiten, trödeln‘.

Die Frage stellte Peter Biehler aus Vohenstrauß.

Warum heißt ein Altwasser-Arm der Donau „Rinsen“?

Ein Altwasser-Arm der Donau in Sarching (Gemeinde Barbing, Landkreis Regensburg) heißt „Rinsen“. Es dürfte sich um eine Ableitung zum Verb „rinnen“ handeln, ebenso wie etwa „Rinnsal“ als Wort für ein kleines fließendes Gewässer. Heute heißt es hochsprachlich „das Rinnsal“, im 19. Jahrhundert galt „der Rinnsal“ (so bei Schmeller). Andere Substantive auf „-sal“ sind Feminina, z. B. „die Mühsal, die Trübsal“. Ähnlich unsicher bleibt die Genuszuordnung von „Rinsen“: Die Einheimischen sagen „die Rinsen“, Auswärtige aber „der Rinsen“. Es scheint mir eine Wortbildung auf „-e“ vorzuliegen – „Rinnse“, was mundartlich ein zusätzliches „n“ erhalten hat (wie etwa „Hosn, Wiesn“ für ‚Hose, Wiese‘). Aus diesem Grund dürfte dem weiblichen Geschlecht der Vorrang gebühren: „die Rinsen“.

Die Frage kam von Simone Heitzer aus Auburg.

Undurchschaubare Ausdrücke werden zurechtgebogen

In der Mundart sind witzige Umdeutungen von Wörtern keine Seltenheit. Nicht durchschaubare Ausdrücke werden so zurechtgebogen, dass man sich darunter etwas vorstellen kann. Einige Beispiele: Wenn eine herrschsüchtige, bösartige Frau, eine Xanthippe, als „Bißgurke(n), -gurka“ oder „Bißgurgel“ bezeichnet wird, so hat dies im Grund nichts mit „Gurke“ oder „Gurgel“ zu tun. Die genannten Ausdrücke sind lautliche Verdrehungen von altdeutsch „Bissgurre(n)“, was ursprünglich ‚bissige alte Stute‘ bedeutet hat. Die Angler nennen einen bestimmten kleinen Fisch „Bißgurn“. Dies ist eine Umformung von „Misgurnus fossilis“ – so der zoologische Name dieses Fisches, der deutsch ‚Schlammpeitzker‘ heißt. Der wissenschaftliche Name des Erd- oder Alpensalamanders ist „Atra salamandra“, und daraus wurde volkstümlich „Tattermànndl“, quasi ‚Zittermännlein‘. Zu den Fremdwörtern ‚Chauffeur, Konditor, Oblate‘ existieren die mundartlichen Varianten „Schafeer [šaféa], Kanditter, O-blattn“ – angelehnt an ‚Schaffner, kandieren, Platte‘. Scherzhaft wird der ‚Apotheker‘ zum „Abdecker“, der ‚Professor‘ zum „Brotfresser“. Das Wort ‚Eier-Einschlagsuppe‘ spricht man in der Region Altmühl-Jura „Oia-Schloochsuppm“ aus. Wenn manche daraus „Oaschlochsuppm“ machen, so besteht der Witz in der originellen Anlehnung an „Arschloch“.

Die Anregung lieferte Alexander Delacroix aus Berching.

Schubkarren, Ràdltrage, Ràdltruhe, Rawérn

Einrädrige Karren, die zur Beförderung von Baumaterialien, Feldfrüchten, Humus, Mist usw. dienen, werden unterschiedlich benannt, je nachdem, ob sie eine offene Ladefläche mit Querhölzern haben oder einen kastenartigen Aufbau, heutzutage meist eine Wanne aus Eisen: „Schubkarren (der, nicht: die Karre!), Ràdltrage(n) (-droong), Ràdltruhe(n), Scheibtruhe(n) (-druuchan), Rawérn“. Letzteres Wort gilt als besonders urig bairisch; viele prahlen damit, es zu kennen und zu verwenden. Ungewöhnlich erscheint die Betonung auf der 2. Silbe. Es ist zusammengesetzt aus „Rad-“ und „-bere(n)“, das ist der Wortstamm des althochdeutschen Verbs „beran“ = ‚tragen‘, von welchem auch „(Trag-) Bahre, gebären, Geburt“ abgeleitet sind, ebenso „Zuber“, althochdeutsch „zwibar“, also ‚Gefäß mit zwei Henkeln‘.Die Frage stellte Anita Eisgruber.

Noch mehr Bayerisch mit dem Dialektpapst Prof. Dr. Ludwig Zehetner gibt esin unserem Podcast „Basst scho!“.