Lesung
Der Grat zwischen Heil und Wahnsinn

Die Dosis macht das Gift: Paul-Philipp Hanske diskutiert in Regensburg über die Renaissance psychedelischer Drogen.

17.01.2016 | Stand 16.09.2023, 6:52 Uhr
Matthias Kampmann
Paul-Philipp Hanske stellte im Regensburger Ostentorkino sein bundesweit vielbeachtetes Buch vor: „Neues von der anderen Seite. Die Wiederentdeckung des Psychedelischen“. −Foto: Kampmann

Der Freund liegt wie ein Blatt Papier zweidimensional auf dem Boden. Die Decken bei ihm erscheinen normal, dreidimensional. Diese abgefahrene Story ist keine absurde Szenerie aus einem surrealistischen Film, sondernTeil einer Fallgeschichte, die Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter für ihr Buch „Neues von der anderen Seite“ recherchierten. Am Freitagabend war das Buch Thema einer Lesung im Ostentor-Kino nach der Vorführung derMartin-Suter-Verfilmung „Die dunkle Seite des Mondes“.

Rund 100 Besucher lauschten Vorleser André Ehmann, der Passagen im Wechsel mit Gesprächen zwischen Autor Hanske und Moderator Christian Sailer vorlas. Im Fokus: die Renaissance psychedelischer Drogen. Wer eine Lobrede auf schräge Trips oder ihre Verdammung erwartete, lag falsch. Der Abend vermittelte einen differenzierten Blick auf diese Erscheinung gemäß journalistischer Prinzipien.

In einem beinahe dreistündigen, überaus kurzweiligen Abend offenbarte sich das scheinbar widersprüchliche Panoptikum gegenwärtigen Gebrauchs von vermeintlich seelenheilendem Sud namens Ayahuasca, LSD oder psilocybinhaltigen Pilzen. Hanske, der keinen Zweifel an der Kritikwürdigkeit restriktiver Drogenpolitik hierzulande ließ, zog einen weiten Bogen: „Alle Drogen wurden in medizinischen Labors von Pharmakonzernen erfunden“, berichtet er. Etwa LSD, das der Chemiker Albert Hoffmann 1938 entdeckte. Hanske berichtete von zwei findigen Medizinern, die mit LSD in den USA der 1950er Jahre ihre Psychoanalysen ergänzten. Populärster Patient damals war Cary Grant. „Das wurde in Frauenzeitschriften propagiert und klang so, als würde man sich heute unter Freunden empfehlen, Botox zur Faltenbeseitigung zu probieren.“

Rachel Hope fühlt sich geheilt

Heute sind Therapien in der Entwicklung, die etwa MDMA nutzen, entdeckt 1912 beim Pillendreher Merck und heute besser unter Ecstasy bekannt: effektiv und wirksam, wie Studien aus den USA belegen. Die Autoren besuchten etwa Rachel Hope in Los Angeles. Sie erlitt als Kind über lange Zeit Vergewaltigungen und mit elf Jahren einen schweren Unfall. Sie berichtete von einer Reaktion in ihrem Kopf, der unverarbeitete Teile ihres Bewusstseins wieder zusammenfügte, so dass sie sich heute als geheilt von der posttraumatischen Belastungsstörung empfindet.

Das Heilen ist das Eine, der Konsum in der Freizeit das Andere. Paracelsus’ Bonmot zitierend, die Dosis mache das Gift, belegte Hanske, dass der Genuss fragwürdige Folgen zeitigen kann. Das belegten auch die teils spannenden Publikumsfragen am Ende. Aber Hanske stellte klar, dass es keine Fakten gebe, wonach ein Mensch ohne psychische Belastung durch den Konsum eine Psychose erlitten hätte. Vielmehr zeigten die bekannten Fälle, dass stets eine Krankheit vorweg ging, wenn es zu schwerwiegenden Folgeerscheinungen kam.

Hanske parlierte eloquent im abgedunkelten Kinoraum, stilecht vor einer wabernden, wolkigen Farbanimation auf dem Barhocker. Kontrollverlust, wie beim Konsum der angesprochenen Substanzen, stand zu keiner Zeit zu befürchten. Allenfalls bereichert konnte man sich recht spät auf den Heimweg begeben.

Das Buch „Neues von der anderen Seite – Die Wiederentdeckung des Psychedelischen“ von Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter ist erschienen in der edition suhrkamp (327 Seiten, 18 Euro).

Hier geht’s zur Kultur.