Musik
Der Mozart von Altmannstein

Einst tourte er als Star-Pianist durch Europa, dann erneuerte er die Kammeroper: Franz Hummel. Jetzt wird er 80.

02.01.2019 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Meisterhafter Pianist, wegweisender Komponist: Franz Hummel. Am 2. Januar wird er – man mag es kaum glauben, wenn man ihn trifft – 80.Foto: altrofoto.de

Franz Hummel hat auf alles eine Antwort parat. Als vor einiger Zeit die Minimal Music zur weltweiten Mode wurde, setzte er seine eigene Maximal Music dagegen. Das war natürlich ironisch gemeint – aber eben nicht nur. Hummel lebte und arbeitete schon immer nach dem Motto des Punk-Vordenkers Alfred Hilsberg: Lieber zu viel als zu wenig! Er war ein vor Ideen und Gefühlen berstender Neuromantiker. Und er hielt sich streng an die Einsicht von Friedrich Nietzsche: Die Größe eines Menschen und eines Werks bemessen sich daran, was er an Fülle noch in sich zusammenhalten kann, ohne dass er und das, was er geschaffen hat, zerbricht.

Manche nennen Franz Hummel heute noch, nur halb im Scherz, den Mozart von Altmannstein. Dort wurde er am 2. Januar 1939 geboren. Und er war zweifellos das, was das Publikum, das nach derlei süchtig ist, ein Wunderkind nennt. Früh fand er auch bedeutende Förderer, von Richard Strauss bis zum langjährigen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Hans Knappertsbusch. Der junge Franz Hummel war schon, was der etwas ältere heute noch ist: neugierig. Er wollte alles wissen. Er vertiefte sich in Notentexte. Er interessierte sich aber auch dafür, was da im Inneren eines Flügels vor sich geht. Deshalb schaute er gern den Klavierstimmern bei der Arbeit zu. Die stellen das Material zur Verfügung, das jeder Klang zur Voraussetzung hat.

Aber war Altmannstein denn nicht tiefste Provinz? Das verneint Hummel mit der Entschiedenheit, die ihm eigen ist. „Jeder Altmannsteiner“, übertreibt er vielleicht ein wenig, „war musikalisch.“ Auf den „Herrn Faber“, dem er so viel verdankt, lässt er bis heute nichts kommen. Er erwähnt aber auch en passant, dass ein Geiger aus Altmannstein heute zu den Berliner Philharmonikern gehöre.

Franz Hummel machte zunächst Karriere als Pianist. Er sah ja auch aus, wie man sich so einen „Tastenlöwen“ vorstellt: groß, kräftig, mit dichtem, langem Haar. Er tourte quer durch Europa, auch jenseits des Eisernen Vorhangs. Das konnte zum Abenteuer werden. 1968 besorgte er, mitten im besetzten Prag, die Uraufführung von Vladimir Soukops „Sonate gegen die Okkupation“. Wie andere Virtuosen auch wurde der Star-Pianist Hummel zum Förderer zeitgenössischer Komponisten. Einfach dadurch, dass er sie spielte. Er verfügte aber auch souverän über das ganze klassisch-romantische Repertoire. Auf mehr als 60 Alben ist das dokumentiert.

Das hätte noch lange so weitergehen können. Aber mit Anfang 30 beschloss Franz Hummel, das Metier zu wechseln. Naja, das stimmt vielleicht nicht ganz. Er blieb ja der Musik treu, aber jetzt eben nicht mehr als interpretierender Künstler, sondern als Komponist. Es gibt von ihm Sinfonien, Klavier- und Violinkonzerte, Kammermusik, Arbeiten für Klavier solo. Auch als Komponist kannte Hummel weder Grenzen noch Berührungsängste. Sein erstes Violinkonzert mit dem schönen Titel „Archaeopteryx“ aus dem Jahr 1987 wurde im Jahr darauf in Leningrad, wie es damals noch hieß, uraufgeführt. Und er pflegte seine Kontakte. Er kannte Svjatoslav Richter, der so gern im Dunkeln, nur beim Schein einer Kerzte, die Tasten traktierte. Aber auch den Komponistenkollegen Rodion Schtschedrin, mit dem er im Regensburger Theatercafé an dem Abend zusammensaß, als Boris Jelzin die Auflösung der Sowjetunion verkündete. Das war am 1. Dezember 1991.

Nach dem Kollaps des Kommunismus intensivierte Hummel seine Beziehungen zu Musikern im ehemaligen Ostblock eher noch. Die Kollegen hatten mitten im Privatisierungschaos Unterstützung bitter nötig. Franz Hummel gewährte sie, indem er den „Riedenburger Sommer“ aus der Taufe hob, der nicht zuletzt russischen Orchestern, Solisten, Dirigenten Auftrittsmöglichkeiten gab.

Der Künstler Franz Hummel war schon immer ein Zerrissener: ein ewig suchender Avantgardist mit einem unüberhörbaren Faible für die große romantische Tradition. So klingen dann auch viele seiner Werke: betörend, aber doch mit dem nötigen dissonanten Pfeffer. Mit den Jahren fand der Komponist Hummel die Sphäre, die wie für ihn bestimmt schien: die Kammeroper. Nicht dass er sie erfunden hätte, aber er brachte sie zur Meisterschaft. Und er wurde seit Mitte der 1980er zu einer Art Heiner Müller des Musiktheaters. Denn wie der Endzeit-Dramatiker der zerfallenden DDR entdeckte auch Hummel in antiken und modernen Mythen das Material, die weiterbearbeitbaren Bruchstücke für eine scharfe und faszinierende Gegenwartsdiagnose.

Die Stoffe fielen ihm nur so zu: moderne und antike Verdichtungen der conditio humaine („Blaubart“, „Zarathustra“, 2010 im Bismarckplatz-Theater uraufgeführt, „Luzifer“), fragmentierte Biografien von Künstlerkollegen („Gesualdo“, „Beuys“, „Bruckner“), Figuren der Zeitgeschichte („Gorbatschow“, „Joseph Fouché“). Eine Zeitlang sah es so aus, als könne er alles und jedes in eine Kammeroper verwandeln. Sein romantisches Herz war dabei so weit, dass er sich auch auf scheinbar fremdes Terrain traute. Über den bayerischen Märchenkönig Ludwig II. schrieb er ein populäres Musical, für das in Füssen eigens ein Festspielhaus gebaut wurde. Das erinnert schon ein wenig an Richard Wagner, mit dem Hummel eine Hassliebe verbindet und über den er 2009 auch eine Oper geschrieben hat, die aber noch der Uraufführung harrt. Wen plagen da Berührungsängste? Hummel hat sein Ludwig-Werk vollbracht und siehe, es war gut und das Publikum liebte es. Aber leider gab es rund um Ludwig Verschwendungssucht, Intrigen aller Art, die zum Ruin des Projekts führten. Es war nicht Hummels Schuld.

Hummel, das sollte man nicht vergessen, ist auch ein, manchmal verletzbares, Freundschafts-Genie und ein, wie man das heute nennen würde, begabter Netzwerker. So nahm er einst die Laokoon Dance Group unter seine Fittiche, die Regensburg zum Mekka des Tanzes machte und überall Wurzeln schlug, etwa in München am Resi und bei den Wiener Festwochen. Mit Susan Oswell, einst Primaballerina mit Auftritten vor dem Schah, später Choreographin und Librettistin für Hummel-Opern, seit einiger Zeit auch eine bemerkenswerte Komponistin, ist er seit ewigen Zeiten befreundet und seit ein paar Jahren auch verheiratet. Seine „Ost-Kontakte“ stellt er mit großem Erfolg dem Regensburger „tyxart“-Label zur Verfügung und mit viel Liebe und Sorgfalt widmet er sich dem Mentoring seines Stiefsohns Yojo Christen, der ein pianistisches Wunderkind war wie einst er selbst und auch Anlagen zum Komponieren zeigt. Kein Zweifel: Da wächst was nach.

Seit langem lebt Franz Hummel in Riedenburg. Am 2. Januar wird er – man mag es kaum glauben, wenn man ihn trifft – 80.

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