Schicksal
Der Überlebende aus Regensburg

Eine Gehirnblutung riss Impresario Reinhard Söll aus dem Alltag. Pünktlich zum Musiksommer kehrt der Konzertmanager zurück.

09.05.2018 | Stand 16.09.2023, 6:16 Uhr

Lebensfroh und zuversichtlich: Konzertveranstalter Reinhard Söll nahm sich an seinem 59. Geburtstag Zeit fürs MZ-Interview. Foto: Lex

Gut gelaunt ruft Reinhard Söll „Tschaui!“ und hängt den Telefonhörer ein. Sein typischer Gruß. Er organisiert Konzerte wie eh und je. Kaum zu glauben, dass der 59-Jährige im vorigen Sommer dem Tod knapp entronnen ist und wochenlang im Koma lag. Eines fällt auf: Wenn er lange spricht, verschwimmt die Artikulation ein wenig.

Zur Begrüßung springt Reinhard Söll nicht auf wie sonst, obwohl er ein ausgesprochen galanter Mensch ist. Das selbstständige Gehen verlangt ihm ungeheuere Kraft und Konzentration ab. Noch stützt er sich meistens auf einen Rollator.

Mitte Juli beginnen die 16. Thurn und Taxis-Schlossfestspiele in Regensburg. 25 000 Musikliebhaber aus der Region und der ganzen Welt reisen an. Dafür arbeitet Reinhard Söll schon wieder zwei Tage pro Woche. Nach der Zwangspause 2017 fiebert er auf die Konzerte hin.„Die Festspiele sind mein Ein und Alles“, schwärmt er. „Im letzten Jahr habe ich mir nach Möglichkeit erzählen lassen, wer da war, wie das Konzert lief und wer was gesagt hat.“ Lebensgefährtin Swetlana Panfilow und Sohn Ludwig haben ihm berichtet. „Swetlana musste am Abend die schöne Lady spielen und während des Tages ist sie zu mir ins Bezirkskrankenhaus gefahren“, erzählt er. Höhepunkt wird für ihn heuer der Abend mit der Chansonlegende Charles Aznavour sein.

Die Entgleisung der Mimik

Reinhard Söll spricht offen über die „Krankheits-Attacke“, wie er die lebensbedrohliche Gehirnblutung vom 13. Juni 2017 nennt. Er redet sich die traumatische Erfahrung von der Seele. Zusammen mit Swetlana genoss er spanische Spezialitäten und trank Rotwein. Wie jeden Abend fuhr Söll nochmals in seine Agentur Odeon Concerte in einer kleinen Villa in der Schenkendorfstraße. In den Räumen, wo Hunderte Künstlerporträts hingen und Pfeifenrauch waberte, packte Söll plötzlich ein extremer Schwindel. „Ich hatte das Gefühl, das ist jetzt nicht normal. Ich habe meine Liebste angerufen, sie soll den Notarzt verständigen.“ Als der eintraf, kauerte Söll auf der Gästetoilette. Er schaffte es noch, Swetlana Panfilow zu sagen, wo die Schlüssel liegen und was sie unbedingt erledigen muss.

„Da sah sie die Entgleisung meiner Mimik. Ein Auge hat in die falsche Richtung geschaut, der Mund war schief“, erinnert er sich. Der Notarzt sprach von Herzinfarkt oder Schlaganfall. „Es war der schlimmste Fall, eine Gehirnblutung“, sagt Söll. Und, nein, er hatte „vorher überhaupt nichts gemerkt, null“. Er fiel in tiefe Bewusstlosigkeit. Die Stroke Unit des Bezirksklinikums für Schlaganfallpatienten nahm ihn auf. Schwere „Zwischenfälle“ setzten ihm zu: Lungenentzündung, Beinahe-Nierenversagen, Thrombose.

„Meine Liebste hat dann trotzdem einmal ein Cordon bleu gebracht.“Konzertveranstalter Reinhard Söll

Der 59-Jährige, der beim Interview im karierten Hemd und schwarzer Hose am Computer sitzt, ruft sich jedes Detail ins Gedächtnis. Im künstlichen Koma träumte er davon, im Luxushotel Copacabana Palace in Rio, wo er in Wirklichkeit nie abgestiegen war, zusammen mit seinem Sohn Ludwig Festspielkarten zu verkaufen. „Ich bin in der Münchner U-Bahn eingeschlafen, dann plötzlich war ich im englischen Parlament. Wie der Karlsson vom Dach bin ich mit Propeller über die Alpen geflogen.“ Söll begegnete Startenor José Carreras, den er auch in der Realität kennt, traf in Siegenburg MZ-Rezensenten und im Landgasthof Meier in Hilzhofen Gäste der T&T-Schlossfestspiele. Das Koma erlebte er als angenehm, nicht aber das Erwachen. Er deutet auf eine Narbe am Hals. Sie markiert, wo der Schlauch für die künstliche Ernährung eingeführt wurde. „Ich wurde zum Reden gebracht und hatte eine komische Stimme.“

Der erste Gedanke: Abhauen

Sein erster Gedanke: mit Swetlanas Hilfe aus dem Krankenhaus abzuhauen. Der Patient verspürte Lust auf ein Cordon bleu vom Bischofshof. Natürlich musste er bei der Flüssignahrung bleiben. „Meine Liebste hat dann trotzdem einmal ein Cordon bleu gebracht“, erzählt Söll. Selbstständig konnte er sich kaum bewegen. Bis heute trainiert der Konzertmanager in der Tagesklinik des Bezirksklinikums mit Physio- und Ergotherapeuten. Er erhält über Facebook internationale Genesungswünsche, darunter von vielen befreundeten Künstlern.

Im Oktober besuchte das Paar erstmals wieder ein Konzert: Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielte unter Leitung von Dirigent Mariss Jansons im Audimax. Daniil Trifonow war am Klavier zu hören. Söll ließ den Rollstuhl draußen stehen und setzte vorsichtig Fuß vor Fuß, um seinen angestammten Platz zu erreichen. „Ich war nervös. Man möchte nicht vor 2000 Leuten auf die Nase knallen“, sagt er.

Vor der Erkrankung steuerte er sein Cabrio gerne nach Italien, um dort in Gourmetlokalen zu schlemmen. Heute arbeitet Reinhard Söll an seinem Gewicht. Die Pfeife rührt er nicht mehr an. Im Umzug der Agentur von der in die Jahre gekommenen Villa in einen Neubau spiegelt sich seine eigene Veränderung wider. Im renovierten Firmensitz wohnen Söll und Panfilow inzwischen. Der 59-Jährige will unbedingt einen Pool. „Das ist der Inbegriff des Urlaubsmäßigen“, erklärt er.

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