Regensburg
Vom Holzkopf zum echten Jungen : Pinocchio als Familienoper

07.11.2022 | Stand 15.09.2023, 3:02 Uhr
Michael Scheiner
Mezzosopranistin Patrizia Häusermann (l.) und Puppenspielerin Johanna Kunze (verdeckt) erwecken Pinocchio zum Leben. Rechts Jonas Atwood als herrischer Theaterdirektor und Feuerschlucker −Foto: Fotos: Marie Liebig

„Pinocchios Abenteuer“ feierte in Regensburg Premiere. Die opulent ausgestattete Inszenierung ist ein Opernerlebnis für die ganze Familie.

Pinocchio – kaum ein Kind, das diesen Holzkopf nicht kennt. Auch kaum Eltern, welche die durch Lügen immer länger werdende Nase der freiheitsliebenden Figur nicht missbrauchen, um ihre Kinder zu erziehen. Natürlich zu „besseren Menschen“. Am Wochenende hatte dieser kleine Kerl – als sich wandelnde Holzpuppe – seinen großen Auftritt in Regensburg. In einer prallen, opulenten Inszenierung erlebte die als Familienoper etikettierte Oper „Pinocchios Abenteuer“ des englischen Komponisten Jonathan Dove Premiere am Theater.

Spartenübergreifend packte Regisseurin Kerstin Steeb alles zusammen, was das Haus am Bismarckplatz hergibt: Orchester, Chor, Sänger und Sängerinnen selbstverständlich, dazu noch Tänzerinnen aus der Tanzcompany und Puppenspielerin Johanna Kunze. Sie erweckt zusammen mit der großartigen Mezzosopranistin Patrizia Häusermann den Holzklotz, aus der eine Gliederpuppe und schließlich ein Junge wird zum Leben. Es ist ein sich über Abenteuer, Reinfälle und tölpelhafte Fehler entwickelndes Leben, an dessen Ende die Verwandlung, die Transformation einen Menschen aus Fleisch und Blut, einen echten Jungen eben, steht.

Umwerfende Choreografie

Inhaltlich folgt die Oper (Libretto: Alasdair Middleton), die vor 14 Jahren ihre Deutschlandpremiere in Chemnitz erlebte, weitgehend der Geschichte Carlo Collodis. Aus einem sprechenden Holzklotz, mit dem er eigentlich heizen möchte, schnitzt Geppetto (Seymur Karimov, Bariton) einen groben Jungen mit Stummelbeinchen. Bei seinen Bemühungen ein echter Junge zu werden, scheitert der neugierige, kleine Holzkerl ein ums andere Mal, weil er nicht zur Schule gehen und lernen will, und muss von der Blauen Fee (Eva Zalenga) gerettet werden.

Von zu Haus ausgerissen, begegnet er auf seinem Weg durch Welt – der sich nach und nach als Weg zu sich selbst als verantwortungsbewusster Mensch entpuppt – dem herrischen Theaterdirektor Feuerschlucker (Jonas Atwood), dem sängerisch fantastischen Gaunerpärchen Fuchs (Joel Vuzik, Countertenor) und Kater (Paul Kmetsch, Tenor), einem Bauern und dem Trommelmacher (beide: Roger Krebs, Bass), die ihn jeder auf seine Art ausnutzen, betrügen oder bestrafen wollen.

Begleitet wird der kleine Kerl neben Puppenspielerin Kunze und Häusermann von drei ebenfalls blau gekleideten Tänzern. Sie begleiten seine Streiche und Abenteuer in einer umwerfenden Bewegungssprache (Choreografie: Andrea Danae Kingston) kommentieren und überspitzen sie auf köstliche, amüsante Weise.

Mit jedem neuen Erlebnis Pinocchios bevölkert sich die Bühne mehr. Gleichzeitig wird sie vom düsteren dunklen Wald, in dem er kopfunter an der Eiche hängt, weil die Gauner an seine Goldstücke kommen wollen, bunter und bunter. Im Funland, wohin er verführt vom lässig-coolen Klassenkamerad Lampwick (Carlos Moreno Pelizari) schließlich mitfährt, bekommen die Zuschauer fast Augenkrebs vor soviel knallgelb, grün, pink, orange und lila.

Bei der Ausstattung hat Kristopher Kempf, der auch mit Kunzes Unterstützung die Gliederpuppe selbst gebaut hat, in die Vollen gegriffen. Allein die Kostüme der Grille (großartig Selena Altar, Sopran), des Feuerschluckers und Affenrichters (J. Atwood) und der wunderbar humorvoll gespielten und gesungenen Schnecke (Svitlana Slyvia) verdienen Fantasypreise.

Verheißungsvolles Spieleland

Bewegt sich die Oper von der Geschichte und dem durchaus an realistischen Ereignissen gekoppelten Erzählstrang auch an kindlichen Erfahrungswelten, transportiert sie musikalisch eine reine Erwachsenenwelt. Klar setzt Dove in schrecklichen Momenten, wie dem Überfall im Wald und den Ängsten zu sterben absteigende, dunkle Bläserklänge ein. Es gibt heitere Momente mit Trillern und leichten Flötenmotiven. In der Theaterszene nutzt er einen Tango, im Zirkus erklingt Varietémusik und wenn sich im Funland das Blatt zur kapitalistischen Ausbeutung wendet, sorgen Pauken und krachend schräge Akkorde für die passende Stimmung. Gerade hier aber hätte auf dem Weg in das verheißungsvolle Spieleland jugendtypische Musik und deren Formen wie Hip-Hop, Rap oder Popmusik eine Rolle spielen müssen, um dem Anspruch einer Familienoper gerecht zu werden.

Letztlich ist der Komponist für sein ambitioniertes Werk mit der eklektischen Form von Film- und Tanzmusik, einer starken Betonung von Holz- und Blechbläsern auf halbem und halbmodernem Weg stehengeblieben.

Mit fast drei Stunden, einschließlich einer Pause, ist die fantastische, schillernde Inszenierung allerdings zu lang, um ohne Abstriche als kinder- und jugendtauglich durchzugehen.

 Nächste Vorstellungen: 8.und 10. November, 19.30 Uhr, Bismarckplatz