Installation
Kupfer schlecken an der Isar: Eine Performance mit Geang und Glockengeläut

24.04.2024 | Stand 24.04.2024, 17:38 Uhr
Joachim Goetz

In den Isarauen, zwischen Alpinem Museum und Muffathalle, steht der 400 Millionen Jahre alte Kalkstein. Jeden Dienstag singen zarte Stimmen gegen mächtiges Glockengeläut an. Foto: Joachim Goetz

Lina Lapelyté hat unter dem Titel „Copper Lick“ (also: Kupfer schlecken) in den Isarauen einen zig Tonnen schweren Kalksteinfindling auf kreative Weise zum Klangobjekt gemacht.

Die Künstlerin lässt zarte Gesangsstimmchen gegen ein kraftvolles Glockengeläut von Münchner Kirchen ansingen – ein Wettstreit mit ungleichen Mitteln und Möglichkeiten. Genau das macht den Reiz dieses zunächst absurd klingenden Vergleichs aus.

Die Idee, so sagt die litauische Künstlerin Lina Lapelyté, sei ihr schon lange im Kopf herum geschwirrt. Nun konnte sie das Projekt auf Einladung von Public Art München, einer Art Zweigstelle des Kulturreferats für Kunst im öffentlichen Raum, in den Isarauen zwischen dem kürzlich wieder eröffneten Alpinen Museum und der Muffathalle am Kabelsteg realisieren. Lapelyté, die 2019 im vergleichsweise jugendlichen Künstleralter von 35 Jahren mit ihrer performativen Oper „Sun & Sea“ das internationale Publikum begeisterte und den Goldenen Löwen der Kunstbiennale in Venedig (für den Pavillon von Litauen) gewann, hat das Werk speziell auf die Münchner Situation hin konzipiert.

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Zu den akustischen Elementen ihrer Klangperformance gehören neben dem Chor, der jeden Dienstag kurz nach dem 17–Uhr-Läuten die eigens für die Arbeit komponierten Gesänge intoniert, auch das Wasserrauschen vom nahen Isarwehr, das Windrauschen der Laubbäume und das eigens bestellte, übermächtige Glockengeläut von sieben umliegenden Gotteshäusern, darunter Lukas-, Frauen- und Nikolai-Kirche. Das nahe St. Lukas übertönt so ziemlich alles. Da gerät selbst der permanente Autolärm der viel befahrenen Isarparallele in den Hintergrund.

Gegen all die Klänge und Geräusche anzusingen ist schwer. Selbst der gemeinsam mit dem litauischen Architekten Mantas Peteraitis entworfene zweieinhalb Meter hohe Kalksteinbrocken, den die beiden Künstler konkav wie einen Parabolspiegel aushöhlen ließen, hilft da kaum weiter. Das Steinobjekt soll zwar den Schall bündeln und reflektieren. Aber der Chor steht ja davor und singt in die entgegengesetzte Richtung. Klar, das weiß Lapelyté, die crossover als Komponistin, Musikerin, Regisseurin, bildende Künstlerin agiert.

Das Klangerlebnis dürfte daher eher für die Flaneure interessant sein, die zufällig des Wegs kommen und in die Muschel hineinsprechen. Die Steinhöhlung wirft den Schall dann wie eine Art Klangverstärker zurück und verblüfft den ahnungslosen Spaziergänger - oder die Kids vom Spielplatz nebenan. Für die wird der Stein bestimmt noch ein großer Spaß. Ansonsten entsteht durch die steinerne Hohlform eher symbolisch ein Verstärker und ein Spiegel der akustischen Vielfalt der Stadtlandschaft. So soll man das begreifen. Aber der Stein ist schon alleine skulptural.

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Das zig Tonnen schwere Stück ist über 400 Millionen Jahre alt und stammt aus den Phanerozoikum, dem „Zeitalter des sichtbaren (tierischen) Lebens“ – also aus der Frühzeit unseres Planeten. Im „Devon“ – so nennt sich die exakte Unterkategorie – entstanden damals im Ur-Ozean immer mehr Fischarten. Dazu kamen erste Amphibien und Insekten, die in dem warmen und trockenen Klima kurz vor der Entstehung des ersten globalen Riesenkontinents lebten. Im bearbeiteten Findling, der sich aus Sedimenten gebildet hat, spiegelt sich das wider. Und man kann es sehen. Denn der Glattschliff zeigt in seinem Inneren diverse Einschlüsse, Versteinerungen, Schlieren, die auf den Zustand der Welt in längst vergangener Zeit verweisen.

Dazu kommen Kleinigkeiten, die der Künstlerin wichtig sind. Der Stein ist sozusagen ein Wanderer zwischen den Welten und Zeiten. Vom Eiszeit-Gletscher wurde er aus Skandinavien einst in die Region Litauen transportiert – und jetzt mit dem Lkw von dort zu uns. Ein Zeitzeuge der besonderen Art.

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Das Besondere an den Kunst-Projekten von Public Art ist die ungewöhnliche Sichtweise von Kunst im öffentlichen Raum. Da geht es nicht um Denkmäler im herkömmlichen, etwas antiquierten Sinn. Die Veranstalter mögen den Austausch, die Begegnung – und das Anregen von Dialogen. Kulturgeschichte, soziale und gesellschaftliche Zusammenhänge sollen erspürt werden. Kunst soll auf Tuchfühlung mit Menschen gehen.

Wichtig war Lina Lapelyté bei „Copper Lick“ deshalb auch die Feststellung, dass die Glocken von St. Nikolai am Gasteig nicht von einer Maschine, sondern (noch) von einem echten Glöckner mit einem Seil unter Einsatz seiner Hände geläutet werden. Ebenso spielen die Themen Gemeinschaft und Gemeinsamkeit eine wichtige Rolle. Das Ritual, das jeden Dienstag stattfindet, lädt etwa Passanten und auch zielorientierte Besucher ein, die Harmonie zwischen dem Glockengeläut und dem menschlichen Gesang in einem kontemplativen Hörraum bewusst zu erleben.


„Copper Lick“ steht bis 18. Juni an der Ecke Kabelsteg/Meillerweg/Zellstraße. Jeden Dienstag (17 Uhr) gibt es eine 15-minütige Performance, alle Details bei: www.publicartmuenchen.de.