Begriff
Was ist Punk? Mit der Jugendkultur auf Zeitreise

Plötzlich war der Punk in der Welt. Er wird bleiben, denn er erfindet sich in jeder Generation neu: immer anti, immer spießig.

26.10.2012 | Stand 16.09.2023, 21:05 Uhr

Punk – das ist irgendwie Musik, Szene und Lebenseinstellung zugleich. Nur können Bands wie Continents aus Sachsen – hier im Lederer in Regensburg – etwas mehr als drei Akkorde spielen.

Ich kann mich zwar nicht mehr daran erinnern, welche Band an diesem Abend vor zehn Jahren aufgetreten ist – doch dieser Typ ist mir unvergesslich geblieben. Ein Spätsommerabend im Innenhof der „Köpi“, Berlins berühmtem besetzten Haus und Szenemekka „echter“ Punks: Ich war 16 Jahre alt, schwatzte mit Freunden bei einer Molle feinstem Sternburg-Bier über irgendeine neue Platte, als sich wenige Meter entfernt eine Nachwuchspunkerin in eine Lache aus Undefinierbarem setzte. Als sie realisierte, was sich da unter ihrem schottenrockbemusterten Rock befand, sprang sie auf und schrie „Ihhhhhh.“ Ich lachte mich schlapp. Dann bog die Szenepolizei um die Ecke. Ein versiffter Irokesenträger trottete schwankend zum Mädchen herüber und setzte zur Mahnung an: „Ey, is doch voll Punkrock.“ Sie solle nicht so einen Aufstand machen.

Punk – das große Sammelbecken

Ich fing gar nicht erst an, mich zu fragen, ob das wirklich so „punk“ wie behauptet sei – das war einfach nur unglaublich ekelhaft. Erst vor wenigen Tagen fiel mir diese Geschichte wieder ein, als ich mir die Frage stellte, ob ich mich jemals „Punk“ genannt habe – und ob ich es heute noch bin. Ich bin keine 16 mehr, höre heute aber noch mitunter die Platten, die seit zehn Jahren in meinem Regal stehen. An meinen Wertvorstellungen hat sich nichts geändert. Um eine Definition von Punk habe ich mich nie geschert.

Auch Manuel Trummer fällt das schwer. Er ist Kulturwissenschaftler an der Uni Regensburg und kennt sich mit Jugendkulturen aus. Punk – das sei eine Musikrichtung und eine Szene zugleich, die sich seit den Achtzigern immer weiter aufsplitte. „Punk ist die bewusste Absage an bürgerliche Ideale, Ästhetik und Geschmacksvorstellungen“, fasst er zusammen. Aber: Insbesondere das „No future“-Postulat der Sex Pistols werde seiner Meinung nach oft missverstanden. Es gehe nicht darum, vor der Zukunft zu kapitulieren – sondern, dass man im „Jetzt“ lebe und eben das beeinflussen will. Punk – das sei eine typische Jugendkultur. Über die Jahre seien hier eigene Traditionen und Eliten ausgebildet worden. Die Szene wachse, weil der Stil immer wieder nachgeahmt werde. Weil Normüberschreitungen (Piercings, Nieten, Verhalten) die Regel seien, bilde sich ein eigenes Regelwerk (Szenepolizei) aus. „Dadurch wirkt die Szene für viele trotzdem spießig.“

Immer wieder haben Buchautoren versucht, Punk zu erklären – und genauso regelmäßig scheiterten sie dabei. Deswegen wollen „Pappe“, „Dreck“ und „Assel“ auch nicht ihre richtigen Namen in der Zeitung lesen (sondern nur ihren Punknamen, den punkname.de generiert hat), weil sie sich nicht die Blöße geben wollen.

Als ich mich mit meinen Freunden in Regensburgs Punkrockkneipe, dem Plan9 in der Werftstraße, treffe, wissen sie nicht genau, auf was sie sich eingelassen haben. Ich hatte die drei hierher gebeten, um mit ihnen nach jener Antwort zu suchen, die seit Jahrzehnten die Szene spaltet. „Was ist eigentlich Punk?“ Ich hoffte, Pappe (Ex-Hundepunkerin; heute Kulturwissenschaftlerin), Dreck (dreifacher Vater und Frontmann einer Punkband) und Assel (angehender Lehrer; ebenfalls Sänger einer Punkrock-Kapelle) würden drauflosplaudern; keiner ist älter als 35; alle haben eine Punkrock-Vita. Ich hoffte, irgendwann einen gemeinsamen Nenner beziehungsweise „die“ Antwort zu finden.

Aber wir scheiterten. Punk, ja, das sei irgendwie Anti-Establishment, der gelebte Protest gegen die Bonzen da oben, den Staat, seinen Handlangern und natürlich gegen die Gesellschaft mit ihren Rassisten, Sexisten und sonstigen Auswüchsen. Punk, ja klar, das heißt Do-it-yourself, das heißt Mitmachen, Gestalten, Handeln, Demonstrieren, Aufklären – und es ist doch noch so viel mehr; und oft auch nur eine Ausrede für Alkoholismus am Bahnhofsvorplatz. Es gibt keine Checkliste, keinen Aufnahmetest, keine Mindestanforderungen – und keine Punker-Knigge, wie „Dreck“ es ausdrückt. „Es ist ein großartiges Sammelbecken für alle, die sonst in kein Klischee passen“, schiebt er hinterher. Dann zitiert er „Normahl“, eine Deutschpunkband, die sich mal wichtig vorkam und die Charts stürmen wollte, mit „Punk ist keine Religion.“ Auch da hat er Recht.

Punk – der Ideenvermittler

Pappe sagt, sie habe als pubertierendes Mädchen früher einfach alle Menschen scheiße gefunden. Das Umfeld spiele also ebenso eine Rolle. Assel glaubt, dass ihn vor allem der DIY-Gedanke und die Musik lockte. Punk – das sei, wenn die einen etwas partout nicht wollen, und man es dann genau so mache. Man habe keine vorgefertigte Meinung, man glaube nicht alles und man stelle sich dabei auch nicht auf ein Podest. Rebellieren und Anderssein – darum ging es. Vor zehn Jahren. Und heute? „Da kümmert man sich um die Kleinen“, sagt Familienvater Dreck.

Nach drei Stunden des Hirnzermarterns brechen Assel und ich auf. Eigentlich wollten wir direkt nach Hause, bis wir auf der Eisernen Brücke auf Büchse treffen und wieder ins Plaudern geraten. Büchse kommt gerade von der Bandprobe; er ist fast zehn Jahre jünger als Assel. Ein Generationentreffen. Assel stand auf der Bühne – Büchse stand im Publikum und sang mit. Heute, so sagt Büchse, kann es so etwas wie einen alles-erklärenden Punkbegriff nicht geben. Wichtiger sei es, Werte daraus zu ziehen. Für ihn bedeute das, einen kritischen Umgang mit seinem Verhalten zu zeigen. Seit seinem 16. Lebensjahr habe Punkrock sein Leben beeinflusst. Wie alle an diesem Abend will auch er sich nicht als Punk bezeichnen, das passe irgendwie nicht zu dem Hinterfragen. Die kanadische Band Propagandhi habe mal gesagt, dass ihnen die Musik und die Texte Ideen vermittle. Vielleicht sei Punk daher einfach nur ein Vermittler von Ideen, über die man nachdenken sollte.